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Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

10.7.2025

IN DIESEM HAUS TRAFEN SICH EINST JASSER, FASNäCHTLER UND MARXISTEN

 

Am Restaurant Bären in Zug lässt sich ein faszinierendes Stück Zuger Sozial- und Gastrogeschichte ablesen. Sah ein rechtsgültiger Bebauungsplan von 1970 noch den Abbruch vor, wurde das Gebäude nun für vier Millionen Franken aufwändig saniert. Und auch die beiden Schweine im Hof sind längst Geschichte.

 

Könnten Häuser sprechen, hätte das Restaurant Bären in Zug eine abenteuerliche Geschichte zu erzählen. Doch was heisst hier «Restaurant»? Beim markanten Eckbau an der Baarerstrasse 30 handelte es sich ursprünglich um eine sogenannte Tavernenwirtschaft: um eine einfache Gaststätte mit Übernachtungsmöglichkeit.

 

1897 gebaut – der Zuger Bahnhof wurde gerade eröffnet – war das Haus von Anfang an eine wichtige Anlaufstelle für die Fabrikarbeiter der Metallwarenfabrik und der Landis & Gyr. Hier tranken sie ihren Most, eine Stange Bier, bestellten einen «Kafi Träsch» oder ein einfaches Tagesmenü für zwei bis drei Franken.

 

Am Mittag wurden bis zu hundert Personen verpflegt. Auch Angestellte des städtischen Werkhofes und der SBB reichten sich im «Bären» die Türklinke und fanden dort ein Stück Heimat. Hinzu kamen hungrige und durstige Touristen, die einen Tagesausflug in die Kantonshauptstadt unternahmen. Jeder war im einfachen Spunten willkommen.

 

Morgens um sechs Uhr ging die schwere Holztür auf, spätabends machten die Wirtinnen den Laden dicht. Der «Bären» war immer offen – sieben Tage die Woche, sogar an Weihnachten. Bis in die 1960er-Jahre verkehrten hier – abgesehen von den mitunter legendären Wirtinnen und Serviertöchtern – allerdings nur Männer. Erst später realisierte man im östlich angrenzenden Gebäudeteil eine «Frauenabteilung» mit 40 Plätzen für die Fabrikarbeiterinnen.


Die Fenstersimse des «Bärens» waren stets mit Geranien dekoriert. Auf dem Dach wehte eine riesige Schweizerfahne. In einer kleinen Stallung im Hinterhof grunzten noch bis in die 1970er-Jahre zwei Schweine. Sie frassen die Essensreste, die man ihnen durchs Küchenfenster reichte. Zweimal im Jahr war Metzgete. An der Fasnacht herrschte hier Hochbetrieb mit Maskenball und Tanzmusik, und zwar durchgehend vom Schmutzigen Donnerstag bis Aschermittwoch.

 

Dank einem geräumigen Säli im ersten Stock war der «Bären» zudem ideal für Geburtstagsfeste und Familienfeiern, für «Liichämöli» und Versammlungen aller Art. Der Arbeiterturnverein Satus traf sich hier, der Radfahrerbund, die Jodler und die Harmoniemusik. Auch die Zuger Sozialisten und Gewerkschafter verkehrten hier und solidarisierten sich für ihre Rechte und Anliegen. Kurz und gut: Der «Bären» lebte, der «Bären» bebte. Hier wurde politisiert, debattiert, musiziert, gestritten, gelacht, getanzt, gejasst – Generationen über Generationen.

 

Im Jahre 2007 ging die Liegenschaft an eine neue Besitzerin, deren Pächter die Gäste mit Schnitzeln und Cordon bleu verwöhnten. Legendär das «Fleisch auf heissem Stein», welches zischend auf dem Tisch der Kundschaft landete und eine intensive Duftwolke verströmte. So toll es roch, der Rauch, der hartnäckig in der Luft hängen blieb, war auch ein untrügliches Zeichen, dass die Lüftung ihren Zenit überschritten hatte. Und nicht nur diese! Die gesamte Haustechnik entsprach nicht mehr den nötigen Anforderungen.

 

Dies gab den Ausschlag, das Haus und die drei dazugehörigen Wohnungen 2023/2024 einer Gesamtsanierung zu unterziehen. Investiert wurden rund vier Millionen Franken. Im Zentrum standen die Erneuerung der Installationen, die Ertüchtigung des Brandschutzes sowie eine hindernisfreie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit. Ebenso wurden suboptimale bauliche Eingriffe rückgängig gemacht und die bauzeitliche Farbigkeit der Fassade und des Treppenhauses wiederhergestellt.

 

Als die Sanierung startete, suchte die Eigentümerin Zug Estates, der auch das Parkhotel Zug gehört, einen Restaurantbetreiber mit gutbürgerlicher Küche. Unter anderem reichte Tibits ein Konzept ein und überzeugte. Das Familienunternehmen wollte in Zug schon länger Fuss fassen und sah im denkmalgeschützten Haus den idealen Standort für eine neue Filiale.

 

«Auch unsere vegetarische Küche geht auf eine langjährige Tradition zurück. Der Charme des alten Gemäuers und die historische Ausgestaltung passen gut zu unserem Gastrokonzept», so Reto Frei. Er führt das Schweizer Buffet-Restaurant mit seinem Bruder Daniel, das er ursprünglich zusammen mit Rolf Hiltl gegründet hat. Am Zuger Architekt Patrick Röösli lag es schliesslich, sämtliche Anliegen unter einen Hut zu bringen, eine Aufgabe, die kreativ und souverän gelöst wurde.

 

Bis heute bildet der «Bären» an der 1830 angelegten Baarerstrasse einen markanten Zeitzeugen. Und durch seinen vorgeschobenen Kubus behauptet er sich tapfer in der durch Grossüberbauungen geprägten Strassenflucht. Der dreigeschossige Ursprungsbau steht auf annähernd quadratischem Grundriss und ist mit einem Mittelrisalit ausgezeichnet, der als Turm das Dach überhöht. Prägnante Fensterachsen und markanter Granit, Sandstein und verputzte Brüstungsschilder prägen das Fassadenbild.

 

An der Ecke tritt ein in Backstein gefasster Erker in Erscheinung, gekrönt durch ein verziertes Metallgeländer. Dass der Kanton das Haus im Jahr 1993 unter Schutz stellte, mag aus heutiger Sicht kaum erstaunen, ist aber insofern bemerkenswert, als ein rechtsgültiger Bebauungsplan von 1970 noch den Abbruch und Ersatz der Liegenschaft vorsah.

 

Im August 2024 wurde der «Bären» unter der neuen Führung eröffnet. Mit dabei: Unzählige ehemalige Stammgäste, darunter Politiker und Zünftler, die noch im alten, verrauchten Spunten verkehrten und ihre Geschichten zum Besten gaben. So etwa alt Regierungsrat Hanspeter Uster, der eloquente Zuger Linke, der sich an bewegte politische Zeiten der 1970er-Jahre erinnerte. «Hier versammelten wir uns mit der Revolutionären Marxistischen Liga (RML), bereiteten die Armeeabschaffungsinitiative und die Abstimmung über die Verhinderung des Kernkraftwerkes von Kaiseraugst vor – unvergessliche Abende!»

 

Im neuen Restaurant treten die historischen Elemente und Oberflächen – insbesondere die hölzernen Decken, Böden und Wände – durch die Wahl des stylischen Mobiliars, futuristisch anmutender Deckenlampen und farbenintensiver Textilien noch kraftvoller in Erscheinung als zuvor. Mit 120 Innenplätzen und 40 Aussenplätzen hat es jetzt deutlich mehr Platz als im alten «Bären». Und den beiden Schweinen im Bretterverschlag braucht niemand nachzutrauern. Überschüssige Lebensmittel aus dem Restaurant finden über eine Anti-Food-Waste-App zur Kundschaft.