PUBLIKATION

Stadtmagazin

ZUSAMMENARBEIT

Sabine Windlin (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

25.3.2025

DAS BüSCHNI-PRINZIP - SCHEITERN UND WAGEN

 

Der (Überlebens-) Künstler Werner Iten hat sich bewusst für ein Dasein ohne regelmässiges Einkommen entschieden. Das beschert ihm viel Freiheit, Freude und ab und zu schlaflose Nächte.

 

«Fühlt man sich als Lebenskünstler in Zug nicht manchmal etwas an den Rand gedrängt?» Werner Iten blickt irritiert. «Warum an den Rand gedrängt … ich bin doch mittendrin!» Stimmt. Die Wirkstätte des 71-jährigen Kunstmalers und Musikers befindet sich an bester Lage: im Erdgeschoss des «Sakramentspfrundhauses» an der Zugerbergstrasse 2, einem kleinen Riegelbau aus dem 17. Jahrhundert. Ein Hotspot, wo viele Passanten verkehren – auf dem Weg in die Bibliothek Zug, ins Theater Casino, zur Bushaltestelle oder zum See.

 

Werner Iten kennt halb Zug, halb Zug kennt Werner Iten, genannt «Büschni». Macht er eine Pause, stellt er sich in den Türrahmen, trinkt ein Bierchen, raucht eine Zigarette und beobachtet, wie sich der Rauch verzieht. «Büschni» ist ein Stadtoriginal, ein äusserst produktives zudem. Das wird im Gespräch mit dem sympathischen Zeitgenossen sofort deutlich. Doch was treibt er konkret?

 

«Bilder – Musik – Sprachen» steht auf dem Schild neben dem Eingang. Und tatsächlich hat «Büschni» hier eine Art multifunktionale Werkstube eingerichtet … musste er einrichten. Denn vor kurzem war er gezwungen, sein geliebtes Atelier in der Gewürzmühle zu räumen, um anderen, jüngeren Kreativen Platz zu machen. Seitens der Stadt war eine Neukonzeption angesagt. Stichwort «Nutzung von Potenzialen». Büschni rollt mit den Augen. «Ich bin darum eigentlich nicht so gut auf die Stadt zu sprechen», meint er ein wenig zerknirscht, knippst aber sofort wieder ein Lächeln an. Er ist nicht der Typ, der Griesgram bläst. Und offensichtlich hat er sich mit der Situation arrangiert. Der rund 50 Quadratmeter grosse Raum ist zu seiner neuen kreativen Heimat geworden. Ein gemütlicher Ort des Schaffens, gefüllt mit Kunst und Farbe, Büchern, Skizzen, Papierrollen, persönlichen Gegenständen, Erinnerungsstücken und einer kleinen Kaffeemaschine – ein Erdgeschoss, das lebt!

 

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Büschni ist ein ernstzunehmender, anerkannter Künstler. Er ist an Ausstellungen in Museen präsent, steht bei Galerien unter Vertrag und hat in seiner Karriere schon ordentlich Bilder verkauft. In den Kunstsammlungen der Stadt und des Kantons ist er mit seinen ausdrucksstarken, figürlichen Werken ebenfalls vertreten, weshalb seine Bilder auch an repräsentativen Orten zu finden und entsprechend bekannt sind. Ebenso kam er immer mal wieder in den Genuss von Stipendien und konnte zweimal die vom Kanton finanzierten Ateliers in Berlin beziehungsweise Kairo belegen – Anerkennung, die ihm viel bedeutet.

 

Finanziell abgesichert sei er aber dennoch nie gewesen. Vor allem vor der Pensionierung und dem AHV-Bezug hätten ihn ab und zu schlaflose Nächte, gar Existenzängste geplagt. Diese hätten sich nun aber – dank gutem Zureden und Unterstützung seiner Partnerin – wieder gelegt, und er blicke positiv nach vorne. Schliesslich hat er vor über 40 Jahren bewusst seinen Job als Sekundarlehrer in Walchwil an den Nagel gehängt, sich also freiwillig für dieses Lebensmodell entschieden: ein Modell voller Experimente, mit viel Freiheit und Risiko. «Es passt zu mir. Jammern ist nicht angesagt», betont Büschni.

 

Im Gegenteil: Werner Iten wirkt sehr zufrieden und dankbar. Er lacht viel. Denn er macht das, was er am liebsten macht und am besten kann: zeichnen und musizieren. Bei beiden Aktivitäten steht für ihn jedoch nicht das Resultat, sondern das Erlebnis, der Prozess im Mittelpunkt. «Die Aktivitäten erfüllen mich, sind ein wichtiges Ausdrucksmittel.» Mit dem Begriff «Künstler» kann Büschni allerdings nicht viel anfangen, klingt ihm zu abgehoben. «Ich zeichne einfach gerne.» Und als «Musiker» sieht er sich auch nicht, diese Zuordnung ist ihm zu elitär. «Ich bin Musikant», hält er fest. Genauso wie bei seinen Zeichnungen setzt Iten auch in der Musik nicht auf Mainstream oder Harmonie, sondern bewegt sich in unkonventionellen Sphären.

 

Legendär ist seine Band «Ossobucco», mit der er vor allem in den 1990er Jahren zahlreiche Auftritte in der Schweiz bestritt. Büschni sang, spielte Euphonium, Perkussion oder blies das Tin Whistle, eine kleine irische Flöte in Form eines Blechrohrs mit Plastikkopf. Als die Band einen Auftritt an einer Hochzeit eines Marc Rich Traders im Restaurant Aklin hatte, musste dieser allerdings nach zwei Stücken abgebrochen werden. Die feine Gesellschaft goutierte die gewagten Klänge der wilden Kerle nicht und jagte die Gruppe fort. «Die Gage haben wir aber erhalten», berichtet Büschni und grinst.

 

Aus der Reihe tanzen, das Unerwartete liefern, sein Ding drehen, ausprobieren, provozieren – so lautet das Büschni-Konzept. Legendär und vielen Zugern seiner Generation in bester Erinnerung bleibt jene Aktion, die Büschni Mitte der 1980er Jahre mit Künstlerfreund Jürg Wylenmann realisierte. Drei Tage lang verbrachte das Duo im Restaurant Widder, setzte sich mit Farbstiften und Pinseln an einen der grossen Wirtshaustische und verewigte das bunte Treiben der illustren Gäste auf Papier. Anschliessend wurden sämtliche Werke an einer Ausstellung im oberen Stock präsentiert. Auch hier stand nicht der kommerzielle Gedanke im Mittelpunkt, sondern die pure Lust, die Stimmung im stadtbekannten «Spunten» künstlerisch festzuhalten und der Wirtin, dem Publikum – und nicht zuletzt sich selbst – ein paar vergnügte Stunden zu bescheren. Mit seiner Künstler-Kollegin Gisela Bitterli setzte er sich regelmässig als Performer in der Lorze in Szene und thematisierte in derb-denkwürdiger Art die Sinnlosigkeit alles Seins. Bis heute engagiert sich Büschni zudem in der von ihm gegründeten Werkstatt für improvisierte Musik WIM. «Nicht immer gab es Applaus», räumt Büschni ein und berichtet von einem Auftritt, den er mit einer Tanzgruppe im Zürcher Volkshaus bestritt, der sowohl technisch wie dramaturgisch «völlig in die Hose ging». Scheitern – so sieht er es – als wertvolle Erfahrung und Antrieb für Neues.

 

Jetzt aber nochmals zurück zum Geld: Wohnungsmiete, Krankenkasse, Versicherungen, Lebensmittel – dies alles muss letztlich auch von einem (Lebens-)Künstler wie Werner Iten finanziert werden. Wie hält er sich über Wasser? «Ich wohne günstig, habe kein Auto, kein teures Hobby und wenig Ansprüche», meint er, «Ferien mache ich selten. Ich arbeite lieber.» Kurzum: Er strecke sich nach der Decke. Die teuerste Anschaffung, die er sich je geleistet habe, sei diese … Büschni greift unter seine lockige Mähne und zieht zwei winzige Hörverstärker aus den Ohren. «Die haben ein Vermögen gekostet, 7600 Franken.» Leider beteilige sich die Krankenkasse nicht an den Kosten. Eine Zusatzversicherung hat Büschni nicht.

 

Regelmässig ein paar Franken dazu verdient sich Werner Iten mit einer Tätigkeit, die man ihm nicht ohne weiteres zutrauen würde: mit Sprachkursen, die ebenfalls in der Werkstube an der Zugerbergstrasse 2 stattfinden. Hier kommt dem vielseitig talentierten und kommunikativen Tausendsassa sein Phil-I-Studium mit Schwerpunkt Französisch und Italienisch zugute. Dank Eigenstudium unterrichtet er allerdings auch noch Spanisch und Englisch. Not bad! Pro Woche empfängt er bis zu 15 Männer und Frauen, die am grossen Holztisch Einzelunterricht geniessen. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert. Und die Preise sind mit 75 Franken pro Stunde mehr als nur fair. «Mir reicht das», kommentiert Büschni. Möglich sei dies allerdings nur, weil der Eigentümer der Liegenschaft eine äusserst bescheidene Miete für den Raum verlange. Und das Beste daran: Büschni kann ihn so lange zu diesen Konditionen nutzen, wie er will. Er strahlt.

 

Maler, Musikant, Performer, Sprachlehrer, Lebenskünstler – das also ist Büschni – einer, der in keine Schublade passt. Oder haben wir etwas vergessen? Büschni lacht. «Ich glaube nicht.» Nach einem Moment des Schweigens hebt er energisch die Hand und interveniert: «Doch! Mensch bin ich auch!»