PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2024

EIN IDENTITäTSSTIFTER FüR WALCHWIL

 

Nach zehnjährigem Leerstand wurde in der Walchwiler Ortsbildschutzzone ein Wohnhaus von 1788 saniert und energetisch ertüchtigt. Damit leistet der private Bauherr Walter Schwendeler einen Beitrag zum Erhalt des ursprünglichen Dorfkerns. Die Gemeinde kann sich glücklich schätzen.

 

Erwähnt man in Walchwil die Dorfstrasse 13, dürfte den wenigsten Leuten klar sein, welches Haus gemeint ist. Es muss sich wohl um eine Liegenschaft an jener kurvenreichen Strasse handeln, die am See zwischen «Engel» und «Sternen» den Hang hinaufführt. Spricht man in Walchwil hingegen vom Schwendelerhaus, wissen Einheimische – oder zumindest ältere Semester – sofort, wovon die Rede ist: vom stattlichen Wohnhaus mit dem grossen Ziegeldach, der kraftvollen Holzfassade und den vielen, mit grünen Läden flankierten Sprossenfenstern.

 

Das Schwendelerhaus kann man nicht übersehen. Es sticht ins Auge, steht an prominenter Lage, direkt gegenüber der katholischen Kirche. Der dreigeschossige Blockbau, 1788 erstellt, hat sich – abgesehen von einem nachträglich erstellten Flachdachanbau – in seinem äusseren Erscheinungsbild seit der Bauzeit nicht wesentlich verändert. Auch nicht, als es 2023 umfassend saniert und energetisch ertüchtigt wurde. Das Schwendelerhaus war, ist und bleibt für Walchwil ein Identitätsstifter. Ein Haus, das aufgrund seiner historischen und heimatkundlichen Bedeutung seit 2014 unter Denkmalschutz steht.

 

«Hier sind wir aufgewachsen, haben wir unsere Kindheit und Jugend verbracht», erzählen Walter Schwendeler und seine Schwester Rita Rust-Schwendeler, die sich für einen Augenschein Zeit genommen haben. In einem grossen Raum werden gerade die frisch sanierten Kassettendecken angeschliffen und geölt. Es ist laut. «Dieser Raum war früher die ‹Sunntigsstube›», erinnert sich Rita. «Nur an Sonn- und Feiertagen durften wir sie nutzen und bei speziellen Gelegenheiten, wenn beispielsweise Besuch kam.» Im geräumigen, verhältnismässig hellen Raum, in den Tageslicht von zwei Seiten dringt, stand auch das schöne Nussbaumbuffet , dem die Kinder auf Geheiss des Vaters besonders Sorge tragen mussten. Es wurde im Rahmen der Sanierung ausgebaut, sorgfältig restauriert und von den Fachleuten wieder an Ort und Stelle installiert. In einem guten Zustand befindet sich der grüne Kachelofen. Er verleiht der «Sunntigsstube», die künftig wohl eine Alltagsstube sein wird, viel Charme und ist mit zwei dekorativen Wappen der Familien Schwendeler und Hürlimann versehen.

 

Die gesamte Konstruktion und Statik des Hauses sowie sämtliche Räumlichkeiten in den drei Etagen befanden sich zum Zeitpunkt des Sanierungsstarts in einem erstaunlich guten Zustand. Dennoch gab es allerhand zu tun: Nebst der Erneuerung sämtlicher Nasszellen wurden Wände, Böden und Decken saniert und die erforderlichen Brandschutzmassnahmen umgesetzt. Im Aufbau der Aussenwände wurde eine zusätzliche Installationsebene realisiert, in der Kabel und Rohre für Heizung und Wasser verlegt wurden. Im ganzen Haus hat man zudem die Fenster ersetzt und dank Zweifachverglasung die Schallschutzwerte deutlich verbessert. Wo sinnvoll, wurden die neuen Fenster sogar wieder mit den alten, historischen Scharnieren bestückt. Viel Aufwand bescherte auch die Sanierung des Daches. Hier wurden einzelne, bis zu 200 Jahre alte Biberschwanzziegel, die in schlechtem Zustand waren, entfernt, sorgfältig gebürstet und wieder montiert. Ziegel, die stark beschädigt waren und nicht mehr gerettet werden konnten, wurden durch neue ersetzt. Im zweiten Stock liess die Bauherrschaft wieder die originale Raumstruktur herstellen und entfernte nachträglich eingebaute Zwischenwände. Statt drei kleiner Kammern befinden sich dort wieder zwei grosse Räume.

 

Eine Heizung, Warmwasser, eine Toilette mit Spülung – dies alles gab es in der Kindheit von Walter Schwendeler noch nicht im Haus. Derartiger Luxus hat sich die Familie erst spät – in den 1960er Jahren – sukzessive geleistet. «Wir kannten aber nichts anderes. Primär fanden wir es toll, mitten im Dorf zu wohnen», so Walter und Rita. Die siebenköpfige Familie bewohnte allerdings zu keinem Zeitpunkt das gesamte Haus, sondern immer nur einen Teil davon, was gemäss Rita auch mit Unannehmlichkeiten verbunden war. Weil eine separate Eingangstür zum oberen Wohnbereich fehlte, mussten die Mieter des zweiten und dritten Stocks immer den Weg durch die Wohnung der Schwendelers wählen – ein Setting, das heute undenkbar wäre.

 

Deshalb nutzte die Bauherrschaft die Sanierung, um zwei unabhängig voneinander funktionierende Wohneinheiten zu schaffen. Nötig war eine zusätzliche Erschliessung mit Aussentreppe im hinteren Bereich des Hauses. So hat Walter Schwendeler die Möglichkeit, die beiden Wohnungen künftig an zwei verschiedene Parteien zu vermieten. Während die untere Wohnung einen direkten Zugang zum lauschigen Gartensitzplatz hat, profitiert die obere Wohnung, die sich über zwei Stockwerke erstreckt, von einer grosszügigen, mit einem Holzrost versehenen Terrasse auf dem Dach des bestehenden Anbaus. Sie bietet einen fantastischen Blick auf See und Rigi.

 

Mindestens so attraktiv ist die Sicht auf die noch wenigen historischen Häuser in der Nachbarschaft, die überlebt haben. Zu viel alte Bausubstanz musste aufgrund des immensen Wachstums und Verdichtungsdrucks Neubauten weichen. Von einem «bedrohten Ortskern» warnte die Direktion des Innern schon 2014, als sie als zuständige Instanz die Unterschutzstellung des Schwendelerhauses verfügte und hielt fest: «Ohne originale Bauten wird die Ortsbildschutzzone bedeutungslos.» Unmissverständlich schwingt in der Aussage eine Sorge mit: Was bringt es, wenn die Gemeinden zwar in der Nutzungsplanung die Zone des Ortsbildschutzes definieren, sich aber im konkreten Fall nicht für den Erhalt historischer Bauten starkmachen? Zumindest im Fall Schwendeler befürwortete der Gemeinderat die Unterschutzstellung von Anfang an. Beantragt wurde sie von den Eigentümern selber.

 

Ein Abriss der Liegenschaft war nie ein Thema. Zu hoch war der emotionale Wert, mit welchem die Familie das Haus verband. Allerdings musste sich die Erbengemeinschaft nach dem Tod der Eltern zuerst darüber klarwerden, wie es mit dem Haus weitergeht: Soll man es im Familienbesitz behalten, der Gemeinde verkaufen oder einem privaten Käufer abtreten? Angebote hätte es gegeben. Als sich jedoch abzeichnete, dass Walter Schwendeler die Liegenschaft seinen Geschwistern abkaufen wird, konnte ein Projekt geplant und das Haus 2021 für die bevorstehende Sanierung geleert werden. «Zeitschriften, Notizblöcke, Bilder, Geschirr – alles erinnerte noch an meine am 4. Mai 2007 verstorbene Mutter Marie», blickt Walter Schwendeler zurück. «Sogar ihre Lesebrille lag noch auf dem Nachttisch.»

 

Werfen wir noch einen Blick ins Sockelgeschoss mit direktem Ausgang auf die Strasse. Diese Räumlichkeiten wurden im Laufe der Jahrzehnte unterschiedlich genutzt: Über viele Jahre hinweg praktizierte darin ein auf Kröpfe spezialisierter Arzt. Später befand sich darin abwechselnd zuerst eine Bäckerei, dann ein Coiffeursalon, eine Modeboutique und zuletzt eine Kunstmalerei. Im linken Teil des Sockelgeschosses war zeitweise die Gemeindekanzlei mit Büros und Sitzungszimmern beherbergt. Wie immer die Gewerberäume genutzt wurden: Im Schwendelerhaus herrschte ein reges Kommen und Gehen. Wohl auch deshalb geniesst es in Walchwil einen so hohen Bekanntheitsgrad.

 

Als etwas ärgerlich empfand Bauherr Schwendeler die lange dreijährige Bauzeit, die einerseits der Grösse des Projekts geschuldet war, aber auch der Tatsache, dass manch ursprüngliche Projektidee nicht zielführend war und im Laufe des Prozesses über Bord geworfen werden musste. Hinzu kam der im Baugewerbe und Handwerk herrschende Fachkräftemangel, der zu Verzögerungen führte. Auf der Kirchenmauer sitzend und auf sein Haus blickend, freut sich der Eigentümer nun aber sichtlich über das Endresultat. «Ich hoffe, dass ich passende Mieter finde, die Gefallen daran haben, in einem Denkmal zu wohnen, und sich nicht an schiefen Böden und Decken stören.»