VERY BRITISH - UND ZIEMLICH EXOTISCH
Der Villette-Park mit seinem imposanten Baumbestand wurde 1865 im englischen Stil kunstvoll angelegt. Für Liebhaber gepflegter Gartenarchitektur ist der Besuch ein Muss, idealerweise im Rahmen einer fachkundigen Führung.
Ranger? Da denkt man spontan an einen australischen Wildhüter, der sich im Outback mit zornigen Krokodilen und brünstigen Kängurus herumschlägt und mit einem Allrad-Wagen über staubige Schotterpisten fährt. Spätestens bei der Begegnung mit Urs Camenzind muss diese Vorstellung jedoch über Bord geworfen werden. Denn der 57-jährige Forstwart und Gärtner ist nicht mit einem Buschmesser in der Wildnis unterwegs, sondern spaziert mit dem Feldstecher im Auftrag der Gemeinde Cham durch den Villette-Park. Am Ärmel seiner beigen Uniform: das Abzeichen der Berufsorganisation Swiss Rangers.
Die rund 46’000 Quadratmeter grosse Naturoase Villette ist bekannt. Und bei Kaffee und Kuchen hat im gleichnamigen Restaurant wohl schon mancher verweilt. Doch erst ein Rundgang mit Ranger Camenzind öffnet der Besucherin die Augen und offenbart, dass es sich bei der Parkanlage um ein Juwel von auserlesener Schönheit handelt. Es trägt die Handschrift des bekannten Gartenarchitekten Theodor Froebel, der hier 1865 im Auftrag eines reichen Zürcher Bankiers eine Anlage im englischen Gartenbaustil angelegt hat. Ein Garten, der sich im Gegensatz zu französischen Anlagen nicht durch streng angelegte Beete und akkurat geschnittene Hecken charakterisiert, sondern eine Landschaft widerspiegelt, die eine gewisse Natürlichkeit anstrebt. Ein weiteres Charakteristikum sind die exotischen Baumarten unterschiedlichster Provenienz, mit denen man beeindrucken wollte. Ein Park also mit Prestige.
Aus China stammende Mammutbäume, asiatische Fächerahorne, orientalische Platanen, afrikanische Zedern, amerikanische Sumpfzypressen sowie der kaukasische Flügelnussbaum finden sich hier ebenso wie chilenische Araukarien, deren Blätter sich wie Schrauben um die Äste drehen. Ziemlich exotisch für die damalige Zeit mutet auch der Tulpenbaum an, der im Frühsommer von schwefelgelben bis gelbgrünen, fast Handteller grossen aufrechten Blüten geschmückt wird. Zwischendurch gesellt sich europäisches und einheimisches Gehölz: Rosskastanien und Stechpalmen, Trauerweiden, Buchen, Birken, Pappeln, Ulmen, Erlen, Eschen, Eiben und Eichen.
Egal, zu welchem Zeitpunkt man den Park betritt; die Anlage entfaltet ihren Reiz das ganze Jahr hindurch: Im Frühling etwa blühen die Magnolien, und die zartrosa Blüten bedecken Kies und Gras wie ein feiner Teppich. Etwas später verwandeln sich die üppigen Rhododendren in ein farbenfrohes Bouquet und strecken Liguster, Pfaffenhut und Hundsrosen ihre Blüten aus. Kurzum: Stauden, Beete, Hecken und Bäume geben ein harmonisches grosses Ganzes ab.
Dazu gehört, dass Alt- oder Totholz liegen bleibt, weil es Insekten und Kleintieren wie Spechten oder Eichhörnchen – im Sinne der Biodiversität – einen wunderbaren Lebensraum bietet. Die Leute für diese nur scheinbar nebensächlichen Aspekte der Gartenpflege zu sensibilisieren, ist des Rangers Mission, die er kompetent und engagiert erfüllt. Dankbar zeigen sich Parkbesucher, wenn sie dank Camenzind plötzlich das flötende Gezwitscher des Pirols vernehmen – ein seltener, knallgelber Singvogel, der die Parkanlage im Sommer als Gast besucht, aber selten zu sehen ist. Ganz im Gegenteil zum pechschwarzen Kormoran, der in Seenähe die Zeit gerne auf dürren Ästen verbringt und von aufmerksamen Parkbesuchern aus einiger Distanz gesichtet werden kann.
Besonders einladend wirken die grossen Rasenflächen. Ideal für eine Partie Federball oder Frisbee, denkt sich die Besucherin, um vom Ranger sogleich zu erfahren, dass derlei Spiele im Park strikte untersagt sind. Ebenso wie Schwimmen, Grillieren oder das Ausbreiten von Picknickdecken und Badetüchern, um ausgiebig zu bräunen oder sich zu verpflegen. Missgönnt man Besuchern jeglichen Spass? «Im Gegenteil», sagt Camenzind. Für derlei Aktivitäten böten der nahe gelegene Hirsgarten und die Badeanstalten Platz. «In der Villette stehen die Bedürfnisse von Flora und Fauna im Zentrum.»
Gut so! Die Ge- und Verbote und die Präsenz des Rangers bringen es mit sich, dass im Villette-Park eine wohltuende Ruhe herrscht. Unterbrochen wird die Stille lediglich vom Geplätscher des Seewassers, vom vergnügten Vogelgezwitscher oder vom Rascheln der Ringelnatter, wenn das Reptil im Sommer ins Gebüsch abhaut.