PUBLIKATION

Denkmaljournal / CH Media

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.4.2022

BADEOASE AM ZUGERSEE

 

Die historische Hirsgartenbadi präsentiert sich nach einer Sanierung mit deutlich besserer Infrastruktur im Gastronomie- und Garderobenbereich. Das freut Gemeinde, Pächter und Gäste gleichermassen. Erstaunlich, dass einst laut über den Abbruch dieses schmucken Pavillons nachgedacht wurde.

 

Am Morgen, an dem Erol Karadag zum Kaffee einlädt, weht eine frische Sommerbrise über den Zugersee, kräuseln sich kleine Wellen am Ufer und segeln die weissen Möwen in Schwärmen über das Wasser. Gäste sind erst wenige im Hirsgartenbad. Es ist kurz nach zehn Uhr. Der langjährige Pächter der Badi sieht noch etwas verschlafen aus. Kein Wunder: Gestern Abend wurde es wieder spät. 

 

Doch ist «Pächter» überhaupt der richtige Begriff? Ist Erol Karadag, in Cham geboren und aufgewachsen, darüber hinaus nicht viel eher «die gute Seele» der Badi? Mit 23 fing er 2006 hier als Gastgeber an. Jetzt ist er 38 Jahre alt. Karadag blick auf den Pavillon und erzählt von früher. Er erinnert sich gut, wie er damals im alten Kiosk mit der besseren «Teeküche» – ausgestattet mit einer einzigen Herdplatte, einer Mikrowelle und einer Waschmaschine – die Badegäste bediente. Der Raum war klein und bescheiden und nicht auf viel Publikum ausgerichtet. Man arrangierte sich, improvisierte. Mittagsmenüs und Salatteller wurden an Spitzentagen auch gerne mal auf einem behelfsmässig dazugestellten Surfbrett angerichtet. Karadag lacht. Er erinnert sich gerne an alte Zeiten. Jetzt aber ist er froh, als Unternehmer über eine bessere Infrastruktur verfügen zu

können. Schliesslich muss er Umsatz machen und der Kundschaft etwas bieten.


Das gelingt seit der Sanierung des hübschen Seebades, die 2019 in Zusammenarbeit mit der Zuger Denkmalpflege erfolgte, besser denn je. Denn das idyllisch zwischen Villette und Schloss St. Andreas gelegene Badehaus erhielt nicht einfach nur ein Facelifting, sondern wurde räumlich neu organisiert und den Anforderungen an einen modernen, hindernisfreien Bade- und Restaurationsbetrieb angepasst. Von der Sanierung betroffen waren Dach, Fassade, Boden, Innenwände sowie Umkleideräume, Toiletten, Kiosk und Küche. Schadhafte Bauteile wurden ausgebessert und nötigenfalls ersetzt, unschöne Einbauten aus den 1990er Jahren – der architektonischen Perle schlicht unwürdig – vollständig entfernt. Die räumliche Öffnung der Badeanstalt, die Eliminierung von eingrenzenden Hecken und Zäunen und somit eine nähere Anbindung der Badeanstalt an die angrenzende Parkanlage erfolgten bereits im Jahre 2014, und zwar im Rahmen der Neugestaltung des Seeufers. Ebenso hat man damals die Liegefläche um eine Holzplattform erweitert und den Wasserbereich um einen hydraulisch angetriebenen Badelift erweitert. So finden auch Gäste im Rollstuhl oder mit Gehschwierigkeiten sicher den Weg ins kühle Nass.

 

Werfen wir doch einen Blick ins Innere. Hier stechen bei den Garderoben vor allem die schönen neuen hölzernen Schliessfächer ins Auge, die – wie auch der Rest der Schreinerarbeiten – mit viel Sorgfalt und Geschick von der Ennetsee Schreinerei aus Cham getätigt wurden. Den Räumen zusätzlichen Charme verleiht die historische Dachkonstruktion, wo im Sommer durchaus auch Mücken, Spinnen und andere Insekten ein warm-wohliges Zuhause finden dürften. Eher zweckmässig wirken die am Boden verlegten grauen Keramikplatten, die viel Feuchtigkeit ertragen müssen. Die wenigen zur Verfügung stehenden Quadratmeter wurden optimal genutzt und für die Besucherin wird sofort klar: Hier hat es alles, was es braucht, und nichts, was es nicht braucht.

 

Das Highlight für Pächter Karadag ist eindeutig die neue Gastroküche mit begehbarer zweiteiliger Kühlzelle, die sämtlichen Hygienevorschriften entspricht und einen gewissen Komfort bietet. Kaffeemaschine, Waschgeräte, Arbeitsflächen, Spültische, mit Rädern ausgestattetes Chromstahlmobiliar – alles steht dem motivierten Küchenteam nun zur Verfügung. «So macht das Kochen noch mehr Spass», freut sich Karadag. Der gelernte Koch – seine Lehre hat er im Zuger Traditionslokal Ochsen absolviert – legt auch bei schlichten Sommermenüs Wert auf Qualität. Convenience Food ist nicht sein Ding. Eine professionelle Fritteuse ist aber selbstverständlich Bestandteil des Küchenreiches, denn Pommes sind auch in der baukulturell wertvollen «Hirsi-Badi» der grosse Renner. 

 

Was viele nicht wissen: Die allererste Badeanstalt entstand hier – wie könnte es anders sein? – auf Initiative der damals ortsansässigen Anglo-Swiss Condensed Milk Company, der späteren Nestlé. Und zwar 1886. Die Firma stellte das Bad ihren Fabrikarbeitern zur Verfügung, die vom Angebot regen Gebrauch machten. Im Jahre 1907 erwarb die Gemeinde das Grundstück und realisierte auf dem See eine schwimmende Badeanstalt. Diese wurde 1954 durch den heutigen Pavillon ersetzt, der nach den Plänen des Chamer Architekten Otto von Rotz entstand. Auf dem Radar der Denkmalpflege stand das Objekt schon länger. 2016 nahm es der Kanton schliesslich ins Inventar der schützenswerten Denkmäler auf und stellte es im Rahmen der Sanierung und in Absprache mit der Gemeinde 2019 unter Schutz.

 

Bauberater Oliver Tschirky schwärmt: «Als baulicher Zeuge gehört dieses Objekt zu den reizvollsten Badeanstalten der Nachkriegsmoderne am Zugersee. Von Rotz realisierte einen in jeder Hinsicht stimmigen Pavillon mit ausgesuchten Materialien und verspielt-eleganter Farbigkeit.» Apropos Farbe: Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wich der Anstrich immer mehr vom Original ab – auch Pächter Karadag gesteht, dann und wann spontan zum Farbpinsel gegriffen zu haben –, weshalb Bauherrschaft und Denkmalpflege entschieden, die ursprüngliche Farbigkeit zu rekonstruieren. Möglich war dies dank Farbuntersuchungen der auf Restaurierung und Konservierung historischer Malereien spezialisierten Firma Fontana & Fontana aus Rapperswil Jona. So erstrahlt die Holzfassade neuerdings wieder in historisch verbrieftem Seidengraugrün und Altrosa und kontrastiert wirkungsvoll mit den horizontalen Fensterreihen und den orangeroten Sichtbacksteinwänden auf den Seiten.

 

Im Rückblick eher erstaunlich erscheint der Umstand, dass der Gemeinderat sich vor dreissig Jahren mit dem Gedanken trug, den Badekiosk abzureissen und an dessen Stelle einen Kinderspielplatz zu erstellen. An der Gemeindeversammlung vom 27. Januar 1992 stellte er sogar einen entsprechenden Antrag. Begründet wurde das Abbruchbegehren mit den hohen Investitionskosten und den eben erst getätigten Millioneninvestitionen im nahen Strandbad. Das Traktandum Hirsgartenkiosk führte jedenfalls zu längeren, emotionalen Diskussionen und eine Gruppe Anwesender plädierte schliesslich erfolgreich für den Verbleib und die Sanierung der Badi. Unbestritten ist, dass sich auch Leute, die damals einen Abbruch befürworteten, am heutigen Pavillon erfreuen. Der Kredit in der Höhe von 785000 Franken, der für die letzten Sanierungsmassnahmen nötig war, wurde an einer weiteren Gemeindeversammlung im Jahre 2019 jedenfalls ohne Gegenstimme genehmigt. Die Argumentation der politischen Verantwortlichen, mit historischem Baubestand respektvoll umgehen zu wollen und gleichzeitig eine moderne und funktionale Nutzung sicherzustellen, überzeugte offenbar.

 

Ortsunkundige laufen Gefahr, das kunsthistorisch äusserst adrette, aber letztlich unauffällige Flachdach-Denkmal zu übersehen, so perfekt ist es in die wunderschöne Parklandschaft eingebettet – oder muss man schon sagen getarnt? Im Sommer jedenfalls, wenn die umliegenden Büsche und Bäume üppig mit Blättern ausgestattet sind und sich Besucher der «Hirsi» via Kiesweg oder Parkrasen nähern, ist von diesem wunderschönen Denkmal kaum etwas zu sehen – wie es sich für einen Geheimtipp gehört.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Das Denkmal in Kürze


Die Hirsgartenbadi («Hirsi») erhielt ihren Namen aufgrund der Hirse, die früher als Grundnahrungsmittel in der Gegend angebaut wurde. Der Pavillon des Chamer Architekten Otto von Rotz wurde 1954 erstellt und ersetzte eine schwimmende Holzbaute aus dem Jahr 1907. Das Gebäude zeichnet sich durch den Materialeinsatz von Sichtbackstein und Holzbrettern aus sowie durch die kontrastreiche, elegante und originalgetreue Farbgebung. Diese Charakterzüge, aber auch Details wie die Bullaugenöffnungen in den Stirnwänden und die dünnen Vordachstützen, sind typisch für die Architektur der 1950er Jahre.