WAS HEISST SCHON SMART LIVING?
Die Sanierung der Villa Staub samt «Fabrikli» zeigt, wie man dank profunder Planung, subtilen Eingriffen und etwas Pragmatismus ein historisches Haus in die Neuzeit überführt. Im denkmalgeschützten Bau aus der Jahrhundertwende wohnt und arbeitet es sich stilvoll und komfortabel.
Was muss passieren, dass ein Paar vom mehrstöckigen Einfamilienhaus im idyllischen, ländlich geprägten Wohnquartier in eine deutlich kleinere, an einer Hauptverkehrsachse gelegene Stadtwohnung zieht? Bettina Cerletti, Mieterin der stilvollen Vierzimmer-Wohnung im ersten Stock der Villa Staub, schmunzelt. Die Lehrerin und gebürtige Zugerin kommt gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus, wenn sie von ihrem Zuhause spricht, und bittet am hölzernen Esstisch der «Direktorenstube» zu Kaffee und Kuchen.
Vier Jahre sind es nun her, seit sie mit ihrem Mann Philippe vom Einfamilienhaus in Steinhausen an die Chamerstrasse 10 in Zug gezogen ist, und sie bereut es keinen Moment. Im Gegenteil: Mit dem Bezug dieser Wohnung ist für das Ehepaar Cerletti-Koller – nach dem Auszug der erwachsenen Kinder – ein Traum in Erfüllung gegangen. Weg vom beschaulichen Familienquartier in Steinhausen, mitten ins Zentrum der Kantonshauptstadt, in dieses über hundertjährige Haus, das mit seiner historischen Innenausstattung einen ganz besonderen Geist ausstrahlt und das Wohnen und Arbeiten darin zu einem veritablen Erlebnis macht. Der Begriff der «Direktorenstube» ist dabei keineswegs scherzhaft gemeint. Hier wohnte bis 2013 Hans A. Staub, Enkel von Carl Ludwig Staub, der mit dem Gebäude im 19. Jahrhundert den Grundstein für seine «Elektrotechnische Fabrik» legte und als deren Direktor auch hier wohnte. Die Firma produzierte Lampenfassungen, Schalter und Sicherungen – die legendären «Staub-Sicherungen».
In Fischgratmuster verlegter Riemenparkett und Stuckdecken sorgen für Behaglichkeit. Dunkelbraun gebeiztes Brusttäfer und Zimmertüren mit Intarsien und Milchglas erinnern an noble Zeiten. Kleinformatige, antike Fenster mit zierlich geschwungenen Griffen gewähren Sicht auf Alpenquai und Zugersee. Eine weisse Seidentapete mit diskretem Blümchenmuster lässt romantische Gefühle aufkommen. Frisch polierter Terrazzoboden zieht sich in den Küchenbereich, wo ein beigefarbener Schüttstein aus Keramik samt dekorativem Seifenspender und eine Rückwand mit blau-weissen Tonplatten ins Auge stechen. So viel Nostalgie war nie! Ergänzt werden die historischen Elemente mit zeitgemässem Mobiliar, farbigen Textilien und viel moderner Kunst. Ein gekonnter Mix aus Alt und Neu.
Dass sich die Mieterschaft der Villa Staub so wohl fühlt – im Erdgeschoss befinden sich die Büros einer Stiftung, im «Fabrikli» ist ein Grafikbüro eingemietet – ist primär zwei Akteuren zu verdanken. Zum einen der Eigentümerin des Hauses, der «Hans A. Staub-Stiftung», die diese baukulturelle Perle im Jahre 2017 einer umfangreichen Sanierung unterzog und – bei einem klar vorgegebenen Kostendach – weder Zeit noch persönlichen Einsatz scheute, um das Bürgerhaus mit Anbau zu erhalten und zu modernisieren. Zum anderen dem Architekten Christoph Eggenspieler, der den Auftrag mit viel Geschick und Enthusiasmus an die Hand genommen und erkannt hat, wie viel Potenzial in der vorhandenen Bausubstanz steckt. Fachmännisch begleitet wurde das Projekt von Bauberaterin Nathalie Walter, die als Vertreterin der Denkmalpflege ihr Fachwissen einbrachte. Ganze Arbeit haben auch Handwerker und Restauratoren geleistet, die schadhafte Bauteile restaurierten, Fenster für eine bessere Isolation aufdoppelten, Beschläge aus Metall und Kuh-Horn auf Vordermann brachten und ganz unterschiedliche historische Oberflächen wie Böden, Wände, Stuck und Täfer auffrischten. Die lachsfarbene Fassade erhielt einen hellgrauen Farbanstrich, der deutlich frischer wirkt.
Hier wurde nicht einfach in eine «Immobilie» investiert, hier hat man sich mit einem Bauwerk auseinandergesetzt, in intensiven Denkprozessen nach kreativen Lösungen gesucht, was insbesondere bei der Bereinigung der Grundrisse, der Konzeption von Küchen und Nasszellen sowie der Realisierung einer zusätzlichen Wohnung im Obergeschoss nötig war. «Pragmatismus statt Perfektionismus» lautete das Motto beim Schallschutz im Innern des Hauses. Hier wurde auf weitreichende bauliche Massnahmen verzichtet, weil sie das Raumbild zu sehr beeinträchtigt und zu stark in die Baustruktur eingegriffen hätten. Punkto Brandschutz liess man im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde von der Ertüchtigung der Decken ab, weil dies einen zusätzlichen Aufbau von rund 15 Zentimetern erfordert hätte. Stattdessen installierte man in Villa und Fabrikli eine Brandmeldeanlage. «Ein Denkmal kann und muss nicht die gleichen Anforderungen erfüllen wie ein Neubau», betont Denkmalpflegerin Franziska Kaiser. «Es gibt Ausnahmeregelungen, von denen man Gebrauch macht.» Das über 100 Jahre alte, schwungvolle Treppengeländer entsprach beispielsweise nicht den strengen Sicherheitskriterien, die bei Neubauten gelten, liegt aber im Ermessensspielraum. So konnte auf ein artfremdes Zusatzelement verzichtet werden bzw. wurde dieses – sehr diskret – nur beim Eingangsbereich des zweiten Stocks angebracht.
Hans A. Staub machte übrigens zeitlebens keine Anstalten, sein Haus unter Schutz stellen zu lassen, und anfänglich war dies auch für die Stiftung kein Thema. Erst im Rahmen der Machbarkeitsstudie, die Architekt Eggenspieler realisierte, zeichnete sich ab, dass eine Unterschutzstellung Sinn macht. Fakt ist: Wäre die Villa abgerissen worden, hätte es der gültige Bebauungsplan erlaubt, an Ort und Stelle einen deutlich höheren und voluminöseren Neubau zu erstellen; in ähnlicher Grössenordnung wie die Bauwerke in der Nachbarschaft, zum Beispiel das Alterszentrum Neustadt oder der Bürokomplex der reformierten Kirche. Was kaum bekannt ist: Aus wirtschaftlichen Gründen entschied sich die Familie Staub, das Fabrikli um 1941 an die Stadt Zug zu verkaufen. Diese wollte in den 1980er Jahren auch die Villa erwerben, um das Ensemble abzureissen und einen Neubau zu erstellen. Doch Hans A. Staub liess sich nicht auf einen Deal ein und kaufte 2006 sogar das Fabrikli zurück.
Frage an die Mieterschaft: Gibt es denn gar keine Nachteile, in einem Denkmal zu wohnen? «Man muss sich auf das Wohnen in einem Altbau einlassen und Freude daran haben», sagt Bettina Cerletti. Klar, der Boden knarrt und je nach Wetter weht auch mal ein frisches Lüftchen durch die Ritzen – da zieht man eben ein Paar warme Socken an. Ja, die Deckenlampen mit Porzellanfassungen sind aus Rücksicht auf den Stuck in allen Räumen fix montiert und sollen nicht ausgetauscht werden – aber die Lampen passen perfekt zur Wohnung. Ja, das Haus ist ringhöriger als ein Neubau – und so ist gegenseitige Rücksichtnahme für die Parteien ein Gebot der Stunde. Ja, auf dem Balkon mit kunstvoller Brüstung hört man den motorisierten Strassenverkehr je nach Uhrzeit deutlich – dafür erfreut man sich der mit farbigen Ornamenten versehenen Glasscheiben. Ja, die mit Holzrollläden ausgestatteten Ausstellmarkisen müssen von Hand hoch- und runtergezogen werden – aber ein bisschen Muskeltraining hat noch nie geschadet.
Mit «Smart Living» kann die Villa Staub also nicht mithalten. Dafür sind ihr Charme und Anmut eigen und steckt sie voller Geschichten, wenn man denn genau hinschaut. Beim Verabschieden macht Bettina die Besucherin auf das kunstvolle Vordach aufmerksam. Tatsächlich, mit etwas Fantasie lassen sich in der geschwungenen Metallform die Buchstaben M und H herauslesen: Es sind die Initialen von Milli und Hans A. Staub, die bei Sonnenschein ein schönes Schattenspiel auf die Fassade zeichnen.
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Das Denkmal in Kürze
Die Villa Staub und die dazugehörige Werkstatt («Fabrikli») an der Chamerstrasse 10 in Zug wurden 1896 an prominenter Lage beim Alpenquai von Johann Landis gebaut. Auftraggeber war Carl Ludwig Staub, Firmengründer der dort einquartierten «Elektrotechnischen Fabrik». Die Produktion wurde 1939 eingestellt. Das Bauwerk ist der Ästhetik der Industrialisierung verpflichtet. Die kunstvollen Balkonbrüstungen und polychromen Balkonverglasungen leiten bereits in den Jugendstil über. Über dem Walmdach erheben sich acht Lukarnen mit Spitzhelmen. Villa und Fabrik sind im Besitz der Hans A. Staub-Stiftung