PUBLIKATION

NZZ am Sonntag

ZUSAMMENARBEIT

Melk Thalmann (Illustration)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

6.7.2008

AKTEUR DES ZORNS

 

Im Kanton Zug sorgt ein Querulant für Unruhe. Der junge Mann droht Richtern mit dem Tod und identifiziert sich öffentlich mit dem Massenmörder Friedrich Leibacher.

 

Er ist leicht zu übersehen, dieser Rolf Mettler*. Ein kleiner, bleicher Mann mit kurzem Haar und feiner Brille. Doch nicht zu übersehen sind die Straftaten, die in der Anklageschrift des 27-jährigen Schweizers über mehrere Seiten hinweg aufgelistet sind, und deretwegen er Ende Mai vor den Richtern sitzt: Drohung, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Verunreinigung fremden Eigentums, Missbrauch einer Fernmeldeanlage, illegale Abfallentsorgung.


Es sind, isoliert betrachtet, keine Kapitalverbrechen. Und doch versetzt der junge Mann, dem sie angelastet werden, den Kanton Zug und die Bundesverwaltung in Angst und Schrecken, seit über zehn Jahren schon, wenn er abermals schreit oder schreibt: «Ich breche dir das Genick», «Ich schlitze dir den Bauch auf», «Ich kenne deinen Todestag» oder auch nur «Ich weiss, wo du wohnst». Sätze, dahingesagt, von einem harmlosen Verrückten oder einem Gefährlichen, dem es ernst ist? Einen Groll hegt Rolf Mettler gegen Autoritätspersonen und Funktionsträger aller Art. Ganz besonders aber hasst er Mitglieder der Behörde. Man sieht ihm diese Wut an, wenn er mit einem redet und, die Hände in Handschellen fixiert, mit kontrollierter Stimme hervorpresst: «Man will mich fertigmachen, aber das nehme ich nicht hin.»


Für die Justiz ist Mettler zu einer Art Testfall geworden, denn er weist in seinem Verhalten erschreckend viele Parallelen zum Todesschützen Friedrich Leibacher auf, der im Herbst 2001 in einem beispiellosen Attentat im Zuger Regierungsgebäude vierzehn Menschen erschossen hat (siehe Box). Entsprechend alarmiert sind die Amtsstellen. «Noch ist nichts passiert», betonte der Staatsanwalt während der Verhandlung. Er meint: keine Tragödie, keine Bluttat. Doch es schwingt die Befürchtung mit: Was nicht ist, kann ja noch werden, wer weiss? Im Verlaufe der letzten zwölf Jahre hat Einzelgänger Mettler immer wieder seine Spuren hinterlassen, nicht nur in Zug.


Die Situation spitzt sich seit 2004 zu. Seit damals versucht er mehrmals vergeblich, die Maturität zu erlangen, denn auf diesem Dokument, sagt er, beruhe seine Existenz. Er versprayt die Aula und Toiletten der Universität Bern (wo er die Prüfung vergeigte), verunstaltet den Garten eines Mitglieds der Maturitätskommission in Basel und das Treppenhaus des für die eidgenössische Matura zuständigen Staatssekretariats. Bundesrat Pascal Couchepin, oberste Instanz im Bildungsdepartement, erhält Todesdrohungen per E-Mail, wobei «Verrecken Sie» und «Sie arme Sau» noch zu den zitierbaren Ausdrücken zählen. Einen Jugendrichter, der ihn zuvor verurteilt hat, bezichtigt er in einem anonymen Flyer der Pädophilie, und eine gegen ihn ermittelnde Untersuchungsrichterin setzt er auf eine Todesliste. Einem Pflichtverteidiger, der inzwischen das Mandat niedergelegt hat, droht er, dessen Kanzlei abzufackeln. Eine SBB- Kontrolleurin, die ihn ohne gültigen Fahrschein erwischt, würgt er am Hals, bis sie keine Luft mehr bekommt. Seinen Hausabwart schlägt er spitalreif, bloss weil dieser ihn bittet, nicht durch den Garten zu trampeln.


Rolf Mettler ist ein Akteur des Zorns, kennt keine Frustrationstoleranz und hat keine Pufferzone. Er beschäftigt seit seinem 18. Lebensjahr ein wachsendes Heer von Untersuchungsrichtern, Staatsanwälten, Richtern, Ärzten und Rechtsanwälten, die ihn befragen, anklagen, beurteilen, beraten oder verteidigen - je nach Funktion -, und wurde insgesamt schon siebenmal zu kleineren Strafen verurteilt.


Doch jetzt forderte der Staatsanwalt eine zweieinhalbjährige Freiheitsstrafe und eine stationäre Massnahme. «In meiner mehr als zwölfjährigen Tätigkeit», so die Begründung, «wurde ich noch nie mit so viel Aggressivität konfrontiert.» Dieser Mann, so der Staatsanwalt, sei eine tickende Zeitbombe, die jederzeit explodieren könne. Von «Störungen der Impulskontrolle», «depressiven Verstimmungszuständen», die «ernstzunehmende Handlungsimpulse» zur Folge haben könnten, ist in den Gutachten die Rede. Rolf Mettler gilt als konfliktunfähig, aber auch als zurechnungsfähig. Mit anderen Worten: Seine seelische Not ist gross, der Denkapparat intakt.


Wie gefährlich ist dieser Mann? Könnte etwas passieren? Lässt es sich verhindern? Schliesslich war es Mettler selber, der Friedrich Leibacher einmal als Vorbild erwähnte. Die Beamten hätten aus dem Attentat einfach nichts gelernt, darum müsse er ihnen wohl eine zweite Lektion erteilen, heisst es in einem Schreiben, das von einer Ode an den Todesschützen begleitet wird: «Oh Leibacher, mein Freund! Danke für alles, was du getan hast.»

Rolf Mettler ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen, zu der er keinen Kontakt pflegt, er hat keine Freunde, keine Freundin, kein Geld und keinen Job und wohnt allein in einem anonymen Wohnblock. Vor Gericht streitet er praktisch alle Vorwürfe - auch bei erdrückender Beweislage - einfach ab und ist sich sicher: Nicht er ist der Täter. Er ist das Opfer und bekommt die Allmacht des Staates unverhältnismässig hart zu spüren.


Richtig ist, dass Rolf Mettler nach der Todesdrohung gegen einen Polizisten im Dezember 2006 sofort in Untersuchungshaft genommen wird und dort - weil sich das Verfahren in die Länge zieht - 18 Monate lang sitzen bleibt. Doch Ruhe gibt er auch hier nicht. Er zertrümmert das Sicherheitsglas seiner Gefängniszelle und muss wegen massiven Ausrastens sechsmal notfallmässig in einer geschlossenen Klinik hospitalisiert werden. Gleichzeitig setzt er sich aktiv gegen seine Haft zur Wehr, verfasst in Eigenregie über zwanzig Beschwerden und gelangt so von der Justizkommission, übers Bundesgericht schliesslich bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.


Es ist eine Crux: Die Staatsanwaltschaft sieht Rolf Mettler - zum Schutz der Öffentlichkeit - am liebsten bis auf weiteres hinter Gittern, doch das rechtfertigen seine (bisher) verhältnismässig geringfügigen Straftaten nicht. Sein Anwalt und die Ärzte wiederum kommen zum Schluss, erst der Strafvollzug mache Mettler so aggressiv, wirke sich sogar kontraproduktiv auf sein Verhalten aus. Was er brauche, sei eine intensive, psychotherapeutische Behandlung und ein engmaschiges Betreuungsnetz, doch dies würde die Bereitschaft des Täters voraussetzen - und die ist nicht da.


Dass der Einzelgänger eine Affinität zu Waffen hat und sich im Internet über die Herstellung von Sprengstoff informiert, lässt ihn nicht weniger gefährlich erscheinen. Einmal findet die Polizei Munition in seiner Wohnung, ein andermal - nach der bundesrätlichen Todesdrohung - eine schwarze Sturmhaube, ein Wurfmesser und eine Schusswaffe.


Rolf Mettler will böse sein und wirkt zugleich lächerlich und zutiefst hilflos, wenn er auf das Grundstück eines Jugendrichters seinen Müllsack kippt, die Sonnenstore des Verwaltungsgebäudes mit einem Messer traktiert und den Groll über die Untersuchungsrichterin mit infantilen Schmierereien kundtut und auch ihr in einem Brief mit dem Tode droht. Mettler, so scheint es, findet Gefallen an der Verunsicherung, die er stiftet, und hat es zu seinem Lebensinhalt gemacht, wenn nicht positiv, so wenigstens negativ aufzufallen. Eine Gelegenheit ergibt sich immer. Als ihm die Behörden während einer laufenden Untersuchung einmal Akteneinsicht gewähren, entwendet er Strafbefehle und Anzeigerapporte.


In seinem letzten Verfahren wurde Rolf Mettler zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Gericht verliess er, wegen der 18-monatigen U-Haft, als freier Mann. Vier Wochen vergingen, dann tauchte er wieder auf: Letzte Woche in der Zuger Migros, vor dem Staatsanwalt, der sich dort ahnungslos ein Sandwich kaufte. Mettler griff ihn tätlich an und drohte, ihn umzulegen. Seither sitzt er wieder in Haft.