PUBLIKATION

Basler Zeitung

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

27.9.2006

PARALLELEN ZUM TODESSCHüTZEN

 

Friedrich Leibacher, der vor fünf Jahren in Zug ein Blutbad anrichtete, ist ein Vorbild für allerhand Querulanten. Auch für den psychisch Kranken Roland M. Er bedroht Behördenmitglieder mit dem Tod, weil er die Matura nicht schafft.

 

Er sitzt angespannt hinter dem Tisch, der ihn von den Richtern trennt. Ein 25-jähriger Mann mit Kurzhaarschnitt, der zur beigen Bundfaltenhose ein weisses Polohemd trägt. Mit der kleinen Brille auf der Nase und einer Haut von schier knabenhafter Weichheit sieht er aus wie ein strebsamer Student, und das ist er auch.


Roland M. versucht seit Jahren, die Maturität zu erlangen. Das Gymnasium hat er kurz vor Ende geschmissen, jedoch beschlossen, den Abschluss auf eidgenössischem Weg nachzuholen. Im Winter 2004 wurde er infolge verspäteter Anmeldung nicht zur Prüfung zugelassen, im Sommer 2004 wurde er zugelassen, aber wegen Abschreibens disqualifiziert. Im Februar 2005 trat er wiederum an, wurde aber wegen unentschuldigten Fernbleibens ein zweites Mal ausgeschlossen. «Ich will diese Matura», sagte er auch vor Gericht, wo er am 11. September wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Drohung und Nötigung zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt wurde. «Meine Existenz beruht auf diesem Abschluss.»


Roland M. ist nicht in der Lage, seine berufliche Niederlage zu akzeptieren, und bedroht stattdessen Justiz, Behörden bis hin zu Bundesräten. Für den Kanton Zug ist der junge Mann zu einer Art Testfall geworden, denn er weist in seinem Verhalten erschreckend viele Parallelen zum Todesschützen Friedrich Leibacher auf, der am 27. September 2001 in einem beispiellosen Attentat im Regierungsgebäude vierzehn Menschen erschossen hat. Entsprechend alarmiert sind die Amtsstellen. «Noch ist nichts passiert», betonten die Richter während der Verhandlung. «Noch nicht».


Doch im Verlaufe der letzten zwei Jahre hinterlässt Roland Mutter immer wieder seine Spuren. Er versprayt die Aula und die Toiletten der Universität Bern (wo er die Prüfung vermasselte), die Gartenmauer und den Briefkasten eines Mitglieds der Maturitätskommission, und verunstaltet das Treppenhaus des Staatssekretariats für Bildung und Forschung (SBF). Gegenüber den Beamten des SBF hegt er einen besondern Groll. Sie sind zuständig für die Durchführung der eidgenössischen Maturitätsprüfungen und somit, findet M., verantwortlich für sein Scheitern.


In Tat und Wahrheit zeigen sich die Behörden äusserst verständnisvoll und geben dem uneinsichtigen Kandidaten immer wieder eine Chance. Der Prüfling ist nämlich zweimal nach altem Maturareglement durchgeflogen und durfte anschliessend unter der neuen Ordnung nochmals antreten. Als er dann beim dritten Anlauf eine Maturaarbeit einreicht, die er aus dem Internet zusammengeklaut hat, bringt man allerdings kein Verständnis mehr auf und teilt dem Fallierten mit, er könne nun nicht mehr an den Prüfungen teilnehmen. M. flucht, schreit und warnt: Wenn er die Prüfungspläne nicht sofort erhalte, werde der SBF-Beamte etwas erleben: «Ich weiss genau, wo Sie wohnen.»


Er selber sieht sich bereits als Student in den Vorlesungen der Universität Zürich und bezahlt die 50 Franken Immatrikulationsgebühr schon mal ein. Bei der Geschäftsprüfungskommission des Parlaments deponiert er zwischenzeitlich wegen der Nichtzulassung Beschwerde. Kurz darauf bezichtigt er einen Richter, der ihn zuvor wegen Körperverletzung verurteilt hat, in einem Brief der Pädophilie mit dem Vermerk: «Megaauflage!!! 2500 Exemplare». Dass die Unterstellung völlig aus der Luft gegriffen ist, steht für die Arbeitskollegen des Angeschwärzten ausser Frage. Dennoch fragt man sich: Hat der Verfasser des Pamphlets jeglichen Bezug zur Realität verloren? Was, um alles in der Welt, bezweckt er mit den frei erfundenen Vorwürfen?

 

Er leide nicht unter einer spezifischen Persönlichkeitsstörung, werden die psychiatrischen Gutachter später sagen. Der Mann sei konfliktunfähig, paranoid und narzisstisch geprägt. Diagnostiziert werden ferner «Störungen der Impulskontrolle» und «depressive Verstimmungszustände», was so viel heisst, dass er sich rücksichtslos und verbissen seinem Frust hingibt. Und der wird immer grösser.


Ziel seiner Hasstiraden ist mittlerweile der oberste politische Verantwortliche, Bundesrat Pascal Couchepin. Nicht dass er ernsthaft glauben kann, der Bildungsminister hätte ein offenes Ohr für ihn. Dafür ist die Wortwahl in den verschickten E-Mails einmal mehr zu primitiv und gewalttätig, wobei «Verrecken Sie» und «Gerne werde ich Ihnen Ihren Sterbetag bekannt geben» noch zu den zitierbaren Stellen gehören. Telefonisch verbunden mit Herrn Couchepin, der sich als allerdings als dessen Bruder Jean-Jules entpuppt, schreit er nächtens ins Telefon: «Meine Matura, meine Matura! Ich gebe Ihnen nicht mehr viel Zeit für meine Matura!»


Für das Zuger Untersuchungsrichteramt ist der Zeitpunkt gekommen, Roland M. zu inhaftieren und eine Hausdurchsuchung anzuordnen, bei der eine Pistole, ein Wurfmesser und eine Sturmhaube beschlagnahmt werden. Doch Ruhe gibt der Inhaftierte nicht. Im Gegenteil: Weggesperrt hinter Gitter, wird seine Wut noch grösser. Er ist jetzt nur noch ein Akteur des Zorns. Und weil er durch den vorzeitigen Strafvollzug › er ist grösstenteils geständig › sich in weniger strengen Haftbedingungen befindet, hat er sogar die Möglichkeit, weitere Drohbriefe zu verschicken.
Adressatin ist jetzt das kantonale Steueramt. Er wünsche allen «von ganzem Herzen ein zweites 2001», also ein zweites Leibacher-Attentat, lässt er in einer Notiz auf seiner Steuererklärung mitteilen. Die Todesdrohungen sind das Thema in den Büros der Verwaltung, wo sich Angst mit Ratlosigkeit paart. Ist Roland M. nur ein harmloser Spinner oder wirklich ein Leibacher-Nachahmer, der eine zweite Schreckenstat plant? Als er gegenüber einem Arzt in der Psychiatrischen Klinik › wohin er mittlerweile verlegt wurde › erklärt, die zuständige Untersuchungsrichterin komme als «Nächste» dran, gewährt die Polizei ihr besonderen Schutz.


«Andere Leute bestimmten über mein Schicksal.» Diesen Satz hört man immer wieder von Roland Mutter, der sich zu Höherem berufen fühlt und stattdessen in der Tiefe von Hilflosigkeit und Ohnmacht gelandet ist. Richterinnen bezeichnet er generell als «Nutten» und Beamte als «Dreckschmarotzer». Dass alleine seine miserablen Noten und das Schummeln ihn am beruflichen Fortkommen hindern, leuchtet ihm nicht ein; je länger, je weniger.


Seinen Pflichtverteidiger, der unterdessen das Mandat niedergelegt hat, bombardiert er mit bösen Faxen und droht, dessen Kanzlei abzufackeln, falls dieser sich seinen Interessen querstelle. Die Beamten hätten vom 1. Attentat nichts gelernt, darum müsse er ihnen mit einem Blutbad wohl eine zweite Lektion erteilen, heisst es in einem weiteren Schreiben, das von einer Todesliste und einer Ode an den Todesschützen begleitet wird: «Oh Leibacher, mein Freund! Danke für alles, was du getan hast. Schade, dass du die Richtigen nicht erwischt hast. Ihr Zuger kriegt Terror.»

Die forensisch-psychiatrischen Gutachter sind Anfang dieses Jahres zum Schluss gekommen, dass bei Roland Mutter ein durchaus gefährlicher «Querulantenwahn» besteht. Es sei fraglich, so auch der Richter, ob er nach all seinen Attacken die Gelassenheit besitze, adäquat auf einen allenfalls negativen Prüfungsbescheid zu reagieren. Denn Roland Mutter durfte die Prüfungen im Sinne eines «Gnadenaktes» vor vier Wochen ein allerletztes Mal bestreiten. Ende dieses Monats werden die Resultate bekannt gegeben. Die verängstigten Berner und Zuger Beamten hoffen inständig, dass der Prüfling endlich besteht und der Terror ein Ende nimmt.


Roland Mutter ist so oder so ein freier Mann. Er spazierte nach der Verhandlung gemütlich aus dem Gerichtssaal. Die sieben Monate und zehn Tage, zu denen er verurteilt wurde, hat er ja schon abgesessen.