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ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

11.5.2021

EXEMPEL AUF DEM ERLIBERG

 

Architektur, die den Namen verdient? Findet man im baukulturell meist schnöde ignorierten Oberägeri. Das «auffallend schlichte» Wohnbauprojekt Erliberg trägt die Handschrift des Zuger Architekten Albi Nussbaumer, der zum Ort einen persönlichen Bezug hat.

 

Qualität zahlt sich aus. Was für Lebensmittel, Wanderschuhe und Luftmatratzen gilt, trifft auch auf Architektur zu. Besser gesagt: müsste für Architektur zutreffen. Doch wer von Unter- Richtung Oberägeri fährt und den Blick über die linkerhand am Hang erstellten Bauten schweifen lässt, braucht ein gerüttelt Mass an Toleranz. Dicht an dicht reihen sich hier mehr banale, denn ambitionierte Bauten aneinander. Mehrfamilienhäuser mit mal so mal anders verglasten Balkonen, hellgrau oder weiss verputzt. Baukörper als Teil eines architektonischen Sammelsuriums, aber ohne Bezug zu Ortsbild und Landschaft. Lieblos in den Hang gestellt. Irgendwie trist.

 

Wie anders nimmt sich da der Wohnkomplex aus, der am gleichen Hang, aber etwas stärker erhöht auf dem Erliberg steht. Was wir hier sehen, ist ein mäandrierendes Volumen, das stoisch in der Topografie des Hanges ruht und sich als kraftvolle Landmarke präsentiert. Charakteristisch für die Häuser sind die sichtbare Tragstruktur sowie die bis ins Erdreich greifenden Sockelbereiche. Die erste Etappe - bestehend aus Mehrfamilienhaus mit insgesamt 34 Mietwohnungen und einem Atelierhaus - wurde soeben fertiggestellt, erste Mieter sind eingezogen. Mit dem Bau der zweiten Etappe soll voraussichtlich im Jahr 2023 begonnen werden.

 

Basis des Gesamtprojekts bildet der vom Oberägerer Gemeinderat im Jahre 2015 genehmigte Gestaltungsplan. Er verfolgte insbesondere zwei Ziele: Erstens: der Besonderheit des speziellen Standortes, der sich am Übergang von Bau- und Landwirtschaftszone befindet, gestalterisch gerecht zu werden. Zweitens: die Qualität der reizvollen Naturlandschaft, die man auf der sanften Hügelkuppe vorfindet, trotz Bebauung zu wahren.

 

Erreicht wurden diese Ziele, indem nicht – wie so oft in ähnlichen Fällen – viele kleine Baukörper übers ganze Areal verstreut platziert werden, sondern nur zwei Häuser (bzw. mit der zweiten Etappe) letztlich drei prägnante Volumen präsent sind. Als Folge davon bleibt auf dem ehemaligen Moränenzug ungewöhnlich viel nicht überbaute Fläche bestehen – Freiraum, der das Gefühl vom «Wohnen im Grünen» spür- und erlebbar macht. Unterstrichen wird dieser Aspekt von der Tatsache, dass das Areal hangaufwärts in eine offene, ausnehmend idyllische, von Wäldern und Bächen geprägte Natur übergeht. Was die Grünflächen zwischen den beiden Wohngebäuden betrifft, so sind diese vorwiegend als naturnahe Wiesenflure ausgebildet und werden sich schon sehr bald als grosszügige und erfrischende Vegetationsteppiche um das Gebäude legen.

 

Der Bau nimmt somit auf ganz unterschiedliche Weise Bezug zu den landschaftlichen Parametern und führt die Qualitäten des natürlichen Landschaftsraumes sorgfältig weiter. Gleichzeitig ist ihm eine von Leichtigkeit und Eleganz geprägte Handschrift eigen. Hellgrauer Sichtbeton, raumhohe Verglasungen und aus dunklem Nadelholz gefertigte, teilweise faltbare Schiebeläden aus vertikalen Latten determinieren die Fassade. Materialisierung und Farbigkeit ergeben ein geradezu ideal auf den Landschaftsraum abgestimmtes Erscheinungsbild.


Eine Besonderheit des Projekts bildet das von der Künstlerin Daniela Schönbächler geplante Kunst-am-Bau-Werk «Residuum». Die zu realisierende Brunnenanlage - sie befindet sich derzeit noch in der Umsetzung - macht sich das lokale Quellwasser zunutze und lässt es in einem länglich schmalen Becken widerspiegeln. Das aussergewöhnliche Werk der im Kanton Zug geborenen Künstlerin ist aber nicht reiner Selbstzweck, sondern generiert einen Mehrwert: zwei schwebende Sitzgelegenheiten. Auf diesen werden sich die Mieter des Erlibergs bereits im Sommer 2021 niederlassen und haptisch mit so unterschiedlichen Materien wie Wasser, Stein und Flora auseinanderzusetzen können.

 

Bauherrin des Projekts ist die Erliberg AG, die sich im Besitze der vier Geschwister Esther, Pia, Gaby und Albi Nussbaumer befindet. Letzterer ist jener Architekt, der das bemerkenswerte Projekt in der Berggemeinde realisiert hat: «Als Familie, die ihre Wurzeln in Oberägeri hat und dem Ort entsprechend verbunden ist, sahen wir uns in der Pflicht, nicht einfach Land zu bebauen, sondern dem Hang architektonisch mit der selben Qualität zu begegnen, die ihm von Natur aus eigen ist.» Der  Entscheid, als Geschwister gemeinsam zu bauen, sei über viele Jahre hinweg gereift. «Mit unserem Vater Albert, der seine ganze Kindheit in Oberägeri verbracht hat, führten wir in der Vergangenheit intensive und spannende Diskussionen und wir fragten uns, was im Erliberg war, was ist und was sein könnte. Das nun realisierte Bauwerk ist unsere Antwort darauf.»