MOTIVATOR MIT FACHWISSEN
RAV-Berater Eberhard Plisch ist zuständig für die Beratung, Vermittlung und Kontrolle von Arbeitssuchenden. Dafür ist Fachwissen, aber auch viel Menschenkenntnis gefragt.
Ein wenig erinnert das Bild an vertraute Szenen in Arztpraxen: eine halbkreisförmige Sitzgelegenheit, ein kleines Salontischchen und zwei, drei Leute, die schweigend darauf warten, bis sie zum Termin gerufen werden. Doch statt Klatsch- und Modezeitschriften liegen als Lektüre diverse Stellenanzeiger auf. Denn die Leute, die im Hertizentrum 6 warten, sind nicht mit einem
Arzt, sondern mit einem von insgesamt 20 RAV-Beratern verabredet.
Zum Beispiel mit Eberhard Plisch. «Ich nehme die Leute freundlich in Empfang und betone, dass wir beide das gleiche Ziel verfolgen und ich sie bei der Stellensuche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln unterstütze.» Dies ist aufgrund der misslichen Lage, in der manche RAV-Kunden stecken, auch nötig. «Viele von ihnen haben Angst vor Veränderungen, Angst vor Sanktionen, Angst vor der Zukunft.» Als RAV-Berater müsse er deshalb auch menschlich auf der Höhe sein und den Leuten ohne Vorurteile – auch bezüglich Nationalität – begegnen können. Der 59-jährige Personalberater hat eine angenehm tiefe Stimme, wirkt routiniert und locker. Man kann sich gut
vorstellen, wie es Plisch, der früher in der Lehrlingsausbildung tätig war, gelingt, seine Kunden «abzuholen».
Das Prozedere läuft immer gleich ab: Zuerst meldet sich die stellenlose Person beim RAV an und präsentiert Papiere wie ID, AHV-Ausweis oder Kündigungsschreiben. Sobald das System mit allen nötigen Daten zu einer Person gefüttert ist, erhalten die Klienten einen Termin, um in einer Gruppe Grundlegendes über ihre Rechte und Pflichten zu erfahren; etwa über die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, über die fristgerechte Einreichung diverser Formulare, über den Umfang der nötigen Arbeitsbemühungen, über die Taggeldzahlung bei Krankheit und Unfall, die Handhabung von Ferientagen, die Meldepflicht und über die Zumutbarkeit einer Arbeitsstelle. Erst nach diesem Gruppenseminar beginnt die individuelle Beratung.
Die Versicherungsnehmer lassen sich grob in drei Kategorien einteilen. Die erste Gruppe besteht aus jungen, gut qualifizierten, kooperativen Leuten, die nur für kurze Zeit arbeitslos sind und schnell wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. Die zweite Gruppe besteht aus Leuten, die berufliche Defizite aufweisen, fachlich stagniert haben und/oder es aufgrund ihres Alters bei der Stellensuche schwierig haben. In diese Gruppe zählt Plisch auch Frauen, die aus familiären Gründen nicht erwerbstätig waren und sich in dieser Zeit nicht weitergebildet haben. Die dritte Gruppe umfasst jene Leute, die für den RAV-Berater am zeitintensivsten sind. Hier kommen fachliche Defizite, schwierige soziale Umstände und allenfalls gesundheitliche Beschwerden zusammen. Viele dieser Personen sind sowohl beim RAV als auch beim Sozialamt oder der IV gemeldet, um finanziell überhaupt über die Runden zu kommen. Hier greift die Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ), bei der alle involvierten Stellen kooperieren. Es gilt, den sogenannten «Drehtüreffekt» zu verhindern, bei dem A nicht weiss, was B macht, und B nicht weiss, was C macht.
So hat ein RAV-Berater nicht nur Kontakt mit den Direktbetroffenen und den Kollegen der Arbeitslosenkasse, sondern mit diversen anderen Ämtern und Institutionen, die gegebenenfalls
involviert sind: Sozialamt, IV-Stelle, Amt für Migration, kantonale Suchtberatung, Berufsbildungszentrum etc. Kann ein Klient kaum oder gar kein Deutsch, sollte er zum Gespräch eine Übersetzungshilfe mitnehmen: einen Kollegen, den Ehepartner, Sohn oder die Tochter. Plisch klärt zudem ab, ob für seine Klienten Bewerbungs-, Sprach- oder IT-Kurse möglich sind, die ihre
Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, ob die Arbeitslosenkasse die Finanzierung für derlei Massnahmen übernimmt, oder ob für einen RAV-Kunden die Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm in Frage kommt.
Insgesamt ist Eberhard Plisch zuständig für zirka 150 Dossiers. Seine Kundschaft ist heterogen und umfasst den 30-jährigen IT-Akademiker, der aus einem Projekt entlassen wurde und für wenige Monate «stempeln» muss, genauso wie den 60-jährigen Maschinenmechaniker, der überraschend die Kündigung erhalten und noch nie eine Bewerbung geschrieben hat. Die persönlichen Gespräche im RAV finden alle vier bis acht Wochen statt. Bemüht sich ein RAV-Klient nicht seriös um eine Stelle, versäumt er Termine oder lehnt eine zumutbare Arbeit grundlos ab, leitet der RAV-Berater Sanktionen ein, welche Taggeldkürzungen zur Folge haben können. Hat ein RAV-Klient nach neun Monaten immer noch keine Stelle, wechselt er in der Regel den Berater. In einer frischen Konstellation – so die Hoffnung – lassen sich neue und andere Strategien der Jobsuche entwickeln.
Eberhard Plisch ermuntert seine Klienten, sich einen Zwischenverdienst zu suchen. «Denn Arbeit lohnt sich!»: Wer einen versicherten Verdienst von 6000 Franken brutto vorweist, hat bei der Arbeitslosenkasse bei einem Taggeldansatz von 80% Anspruch auf einen Bruttolohn von 4800 Franken. Nimmt der RAV-Klient aber einen Teilzeitjob an, bei dem er 4000 Franken erwirtschaftet, erhält er von der Arbeitslosenkasse als Kompensationszahlung 1600. Zusammen mit seinen selber erwirtschafteten 4000 Franken kommt er auf ein monatliches Einkommen von 5600 Franken. Der «arbeitende Stellenlose» hat also am Ende des Monats 800 Franken mehr im Portemonnaie.
Zudem kann der Zwischenverdienst zu einer neuen Rahmenfrist verhelfen und dafür sorgen, dass der Lebenslauf keine Lücken bezüglich Erwerbstätigkeit aufweist. «Es macht sich gut,
wenn eine Person nachweisen kann, dass sie trotz Kündigung immer gearbeitet hat und sich nicht zu schade war, phasenweise eine Arbeit zu verrichten, für die sie eigentlich überqualifiziert war.»