PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Franca Pedrazzetti (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

18.7.2020

«MEIN LEBEN IST EINE BERG- UND TALFAHRT»

 

Der Zuger Peter Theiler leidet an Depressionen und dachte auch schon an Suizid. Ein Lichtblick in solch schwierigen Phasen sind die Besuche von Phönix-Mitarbeiter Diego Zemp, der ihn im Rahmen eines ambulanten Angebots betreut. Ein Treffen mit den beiden Herren.

 

Peter Theiler, Sie wohnen in einem alten Bauernhaus am Zugerberg, das viele Spaziergänger von aussen kennen. Rundherum wachsen Hochstammbäume, die Aussicht auf Stadt, See und Berge ist fantastisch. Sind Sie hier aufgewachsen?

 

Peter Theiler: Ja. Meine Eltern haben diesen Bauernhof bewirtschaftet. Wir waren eine grosse Familie, acht Kinder, und mussten viel zu Hause helfen. Ich selbst bin dann aber nicht Bauer, sondern Schreiner geworden. Elf Jahre habe ich in dem Beruf gearbeitet. Danach lieferte ich für die V-Zug Kühlschränke aus. Wegen Rückenproblemen musste ich leider auch diesen Job aufgeben. Meine letzte Anstellung hatte ich als Schulhausabwart in Zug. Als ich vor zwei Jahren die Krebs-Diagnose erhielt, gab ich die Erwerbstätigkeit ganz auf.

 

Der Grund, weshalb Sie das ambulante Betreuungsangebot der Stiftung Phönix in Anspruch nehmen, ist jedoch Ihre psychische Erkrankung. Was für Probleme haben Sie?

 

Peter Theiler: Ich leide an Depressionen. Mein Leben verläuft wie eine Berg- und Talfahrt. Mal geht es ein paar Wochen gut, dann mache ich wieder einen Taucher. Auch Selbstmordgedanken plagen mich. Dank verschiedenen Therapien, die ich schon machte, weiss ich aber: Auf ein Tief folgt ein Hoch. Nur ist manchmal nicht absehbar, wie lange die schlechten Phasen andauern. Hinzu kommt, dass ich seit längerem an Atemstörungen und -stillständen leide. Auch das belastet mich.

 

Im Jahr 2018 waren Sie – wie Sie selber sagen – monatelang «komplett weg vom Fenster», reisten von Klinik zu Klink. Was war passiert?

 

Peter Theiler: Zuerst kam ich wegen der Krebserkrankung ins Universitätsspital Zürich und wurde dort operiert und therapiert. Anschliessend weilte ich wegen meiner psychischen Probleme in der Psychiatrischen Klinik Kilchberg. Nach der Rückverlegung ins Unispital kam ich für die Rehabilitation in die Klink Adelheid nach Unterägeri und schliesslich ging es in die Psychiatrische Klinik Oberwil. Zu meiner Erleichterung wurde ich dort erst entlassen, als sichergestellt war, dass ich zu Hause eine stundenweise Betreuung durch Phönix erhalte. Alleine wäre ich nicht klargekommen.

 

Diego Zemp: Die individuelle, ambulante Unterstützung, die Peter Theiler in Anspruch nimmt, ist eine ideale Lösung. Sie kam nicht zuletzt dank dem Engagement des Sozialdienstes der Klinik Oberwil zustande. Dessen Mitarbeiter überlegen sich jeweils auch, welche Anschlusslösungen es für Patienten gibt, wenn sich ein Ende des stationären Aufenthalts abzeichnet. Wie in solchen Fällen üblich, hatte man auch bei Peter Theiler eine Bedarfsabklärung vorgenommen, bevor er aus der Klinik entlassen wurde. Sie hat ergeben, dass eine Betreuung im Umfang von sechs Stunden pro Woche angemessen ist. Nach dem positiven Vorbescheid durch den Kanton mit einer Kostenübernahmegarantie konnte die ambulante Betreuung durch Phönix organisiert werden.

 

Nun sind Sie seit rund einem Jahr für Peter Theiler zuständig und besuchen ihn regelmässig zu Hause. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

 

Diego Zemp: Ich komme von Montag bis Freitag für jeweils eine Stunde, meist am Morgen. Zuerst führen wir ein längeres Gespräch, danach schauen wir, was im Haushalt erledigt werden muss, ob die Medikamenten-Einnahme erfolgt ist und ob Besorgungen in der Stadt anstehen. Neben diesen handfesten alltäglichen Dingen geht es auch darum, meinem Klienten eine gewisse Tagesstruktur zu geben und für ihn da zu sein, wenn es ihm nicht so gut geht. Die Situation hat sich aus meiner Sicht bereits erfreulich entwickelt. Als ich die ersten paar Male hier war, lag mein Klient manchmal noch im Bett und machte keinerlei Anstalten aufzustehen. Jetzt funktioniert das viel besser. Wenn ich mit dem Auto angefahren komme, steht Peter Theiler – aufgeweckt vom lauten Gebell seiner Hunde – sofort auf und ist parat für unser Gespräch und die Besorgungen. Mein Eindruck ist, dass sich sein psychischer Zustand in den letzten Monaten verbessert hat. Auch wirkt er in letzter Zeit viel motivierter, wenn wir zusammen die Wochenplanung angehen.

 

Peter Theiler: Das sehe ich auch so. Ich habe mit Diego Glück gehabt. Ich mag ihn, die Chemie stimmt. Seine regelmässigen Besuche sind für mich immer ein Lichtblick und dank dieser Unterstützung kann ich – so hoffe ich jedenfalls – so lange wie möglich im Bauernhaus wohnen bleiben. Ich fühle mich wohl hier, habe viel Platz und im grossen Garten gibt es immer etwas zu tun. Das tut mir gut und wirkt sich positiv auf meine Gesundheit aus. Ich habe viele Tiere, um die ich mich kümmern muss: sechs Hühner, zehn Katzen und zwei laute, aber liebe Wachhunde.

 

Diego Zemp: Hinzu kommt, dass du – obwohl du ledig bist und keine Kinder hast – auf ein gutes familiäres Umfeld zurückgreifen kannst und mit deinen Brüdern und Schwestern regelmässigen Kontakt pflegst. Du wohnst hier am Zugerberg zwar etwas abgelegen und hast keine direkten Nachbarn, aber du bist nicht einsam. Du gehst aus dem Haus und triffst dich mit Leuten. Was ich toll finde: Wenn du dir vornimmst, etwas zu erledigen – zum Beispiel die Sträucher zu schneiden oder den Hag zu flicken – dann machst du es auch.

 

Peter Theiler: Das freut mich, dass du das sagst. Denn ich strenge mich an. Als es mir mal nicht so gut ging, wollten mich die Behörden in ein Heim stecken. Ich sagte einfach, dass ich mich dort nicht an die Regeln halten würde. Dann war das Thema vom Tisch. Nun habe ich stattdessen Dank der KESB einen Beistand, Frau Gruber, eine sehr nette Frau, die ich regelmässig treffe und die sich um meine finanziellen Angelegenheiten kümmert. Da bin ich froh drum, denn mit dem Papierkrieg bin ich überfordert.

 

Wie lange kann Herr Theiler die ambulante Betreuung durch Phönix noch in Anspruch nehmen? 

 

Diego Zemp: Die regelmässigen Standortbestimmungen zeigen, ob und wenn ja, in welcher Form die Betreuung weitergeführt werden soll. Sie findet vorerst im Rahmen eines Pilotprojekts statt und ist Teil des vom Kanton aufgegleisten Vorhabens «InBeZug». Ich hoffe aber, dass sich die ambulante Betreuung für psychisch Erkrankte weiter etabliert. Denn etwas steht für mich jetzt schon fest: Ein Klient wie Peter Theiler, der zu Hause wohnt und stundenweise betreut wird, kommt den Staat eindeutig günstiger, als wenn er in einem Wohnheim oder in einer Klinik mit Rundumversorgung untergebracht wird. Ich würde sogar sagen, dass Peter Theiler der ideale Klient für die ambulante Betreuung ist. Zudem ist er kooperativ und offen. Das ist nicht selbstverständlich, denn ich dringe durch meine Besuche hier auch ein Stück weit in seine Privatsphäre ein.

 

Herr Theiler, Sie sind seit Längerem nicht erwerbstätig. Wie kommen Sie finanziell über die Runden?

 

Peter Theiler: Da ich aufgrund meiner Erkrankungen zu 100 Prozent erwerbsunfähig bin, erhalte ich eine volle IV-Rente. Daher muss ich mir über das Finanzielle zum Glück keine Sorgen machen. Ich lebe sowieso sehr bescheiden und komme mit wenig Geld klar. Was mich momentan mehr beschäftigt, ist, dass mir der Führerschein entzogen worden ist. Wegen der Schlafapnoe und auch weil mich die Krebs-Diagnose psychisch so mitgenommen hat, habe ich zu Hause ein-, zweimal zu viel getrunken. Die Ärzte meinten dann, es wäre besser, ich würde das Autofahren bleiben lassen. Damit hatten sie nicht ganz unrecht. Aber nun fühle ich mich besser und hoffe, dass ich «das Billett» bald wieder bekomme. Das Autofahren gibt mir ein Stück Freiheit und Selbstständigkeit.

 

ENDE INTERVIEW

 

Ambulante Betreuung statt Heim und Klinik

Die ambulanten Angebote für psychisch kranke Menschen werden immer wichtiger und beliebter – auch im Kanton Zug. Möglich ist dies unter anderem dank dem vom Kanton aufgegleisten Projekt «InBeZug». Die Abkürzung steht für «Individuelle und bedarfsabhängige Unterstützung für Zugerinnen und Zuger mit Behinderung». Wobei auch Menschen mit psychischer Erkrankung zur Zielgruppe gehören. Das ambulante Angebot der 1978 gegründeten Stiftung Phönix Zug setzt sich wie folgt zusammen:

 

Phönix Spitex: Menschen, die in den eigenen vier Wänden wohnen oder in einer Wohngemeinschaft der Stiftung zu Hause sind, erhalten von einer Fachperson maximal 3 Stunden Betreuung pro Woche. Das Angebot kann über die Krankenkasse abgerechnet werden.


Phönix Ambulant: Menschen, die in der eigenen Wohnung im Kanton Zug eingemietet sind und eine IV-Rente beziehen, erhalten ebenfalls individuelle Betreuung von einer Fachperson. Der Umfang wird in einer Bedarfsplanung offiziell ermittelt und muss via Kostenübernahmegarantie vom Kanton bewilligt werden.


Phönix Dezentral: Menschen, die in einer von der Stiftung gemieteten Wohnung leben (alleine oder in einer WG), erhalten täglich max. 1 Stunde Betreuung von einer Fachperson. Das Angebot wird über die interkantonale Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE) abgerechnet. Eine IV-Rente wird vorausgesetzt. 


Dazu Regierungsrat Andreas Hostettler: «Der Ausbau von ambulanten Dienstleistungen ist unumgänglich, um das Zuger Angebot zukunftstauglich zu machen und sicherzustellen, dass die Kosten aufgrund der langfristig steigenden Fallzahlen nicht aus dem Ruder laufen.»