SEINE SPUREN BLEIBEN SICHTBAR
Dozent, Jäger, Geschäftsmann, Erfinder: Mit Hansruedi Felder geht ein Urgestein der Luzerner Jagd in Pension. Während 35 Jahren hat er als Experte die Ausbildung geprägt. Eine Begegnung in seiner Entlebucher Heimat offenbart Felders Kompetenz und Bescheidenheit.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich Hansruedi Felder, 66, in seinem Element vorzustellen. Wie er jahrein, jahraus und lange vor der eigentlichen Jagdsaison mit Rucksack und Feldstecher zu einem Reviergang ins Entlebucher «Ebnet-Rengg» aufbricht. Wie er vor dem Eindunkeln das Schalenwild beobachtet, das aus dem Wald tritt und auf den saftigen Wiesen äst. Felder observiert und registriert akribisch, will herausfinden, wie gross der Bestand ist und wo sich die Tiere aufhalten. Ein Jäger wolle natürlich auch Beute machen, doch dies sei letztlich nur ein winziger Bruchteil der Jagd, stellt Felder klar. «Ein verantwortungsvoller Jäger versucht vor allem, die Natur zu verstehen, will wissen, wie die Tiere sich verhalten und respektiert sie als Kreaturen unseres Lebensraums.»
Verantwortung, Respekt und Sorgfalt – diese Begriffe fallen häufig im Gespräch mit Hansruedi Felder. Und er sorgt auch dafür, dass die Theorie in die Praxis Eingang findet. Die hohen Massstäbe einer ethischen Jagd setzt der besonnene Entlebucher nämlich nicht nur für sich selber, sondern stellte er auch an die Jungjäger, die er im Kanton Luzern während 35 Jahren als Dozent unterrichtet hat. Fast 2000 Kursteilnehmer, und somit praktisch alle derzeit im Kanton Aktiven, holten sich bei Felder das Rüstzeug für das jagdliche Handwerk. Sie wurden durch seine Jagdphilosophie geprägt, haben seine Botschaften vernommen, mitunter gar verinnerlicht: Der gute Jäger ist kein «fast trigger», der sich mal schnell die Flinte oder Büchse schnappt und sich in einem Wettkampf um Trophäen wähnt. Der gute Jäger handelt mit Lust, List und Leidenschaft; ist sich bewusst, dass Jagd im Zweifelsfall auch den Verzicht auf Beute bedeutet. Letztlich, so Felder, gehe es dem guten Jäger darum, das Gleichgewicht der Arten zu sichern. Sobald eine Gattung bedroht sei, werde sie nicht mehr bejagt. Im Zentrum stehen für ihn ökologisch gesunde Biotope mit möglichst vielen verschiedenen Pflanzen- und Tierarten.
Aufgewachsen auf einem Bauernhof, inmitten der heutigen UNESCO-Biosphäre Entlebuch war der kleine Hansruedi von Kindsbeinen an mit der Natur vertraut. Regelmässig begleitete er den Vater und die älteren Brüder auf die Reviergänge und auf die Jagd. Frühmorgens, erzählt er, sei man aufgebrochen, um die balzenden Birkhähne zu erspähen, das Rehwild, den Hasen, Wiesel und Auerhahn zu beobachten oder um Buntspechten, Eichelhäher und Kuckuck zu lauschen. Heute aber gibt es viele Quereinsteiger. Leute, die erst mit 40 oder 50 Jahren und aus unterschiedlichen Motiven zur Jagd finden. Diesen Kursteilnehmern musste Felder jeweils erklären, dass Jagen nichts mit einem Hobby wie Golf- oder Tennisspielen gemein habe, sondern ein hohes Mass an Pflichtbewusstsein, Verantwortung und Wissen voraussetze. Jagen beinhalte Freiwilligenarbeit und erfordere viel Zeit. Den Jungjägern legte er nahe, sich auch nach absolvierter Prüfung intensiv an der «Hege und Pflege» des Reviers zu beteiligen.
Eine Beziehung zu Wild und Wald entwickeln, sämtliche Sinne schärfen, die Komplexität der Natur verstehen, Geduld aufbringen, Grenzen kennenlernen – darum ging es Jagddozent Felder. Entsprechend lautete in seinem Modul «Jagdhandwerk, Wildbrethygiene und Brauchtum» das Motto: raus aus dem Schulzimmer, rein in die Natur; weg von der grauen Theorie, hin zur erlebnisreichen Praxis. Dorthin also, wo der Auftrag an die Jäger, sich für die Natur und für die Tiere einzusetzen, real vermittelt werden konnte.
Felder ist glaubwürdig, investiert er doch selber unzählige Stunden in die Hege und kennt so sein Revier wie die eigene Hosentasche. Der Naturfreund ist mit jedem Winkel, jedem Graben, jeder Lichtung in der Gegend vertraut. Ob ein Einsatz für die Rehkitzrettung, das Erstellen von Salzlecken oder die Errichtung von Wildzäunen – tatkräftig packt er mit an. Schliesslich kümmert er sich auch um den gezielten Schutz des Wilds entlang der Strassen. Allein im Kanton Luzern, gibt er zu bedenken, sterben pro Jahr fast 600 Rehe im Auto- und Zugverkehr. Für Felder eine bedenklich hohe Zahl, die es zu reduzieren gälte. Auch hier spricht aus dem bescheidenen Jäger der Tierfreund.
A propos: Wie gestaltet sich sein Verhältnis zu Tierschützern, welche die Jagd als legitimes Mittel des Wildtiermanagements konsequent ablehnen und als barbarisches Gemetzel verurteilen? «Mit radikalen und dogmatischen Ansichten habe ich generell meine Mühe», entgegnet Felder, der sich politisch als sozial-liberal verortet und lieber mit Argumenten überzeugen als mit schrillen Tönen auffallen will. Eine massvolle Jagd, davon ist er überzeugt, kommt einer sinnvollen Regulierung des Wildtierbestandes gleich, trägt zur Artenvielfalt bei, reduziert die Verbreitung gefährlicher Krankheiten, leistet einen Beitrag zur Minderung von Verbissen und habe Zukunft! Auch beim Thema Wolf ist Felder um eine differenzierte Sicht bemüht. Für ihn gibt es nicht einfach ein Pro oder Contra, viel eher fragt er sich, ob und wie es möglich ist, dem Raubtier reglementiert und kontrolliert einen Platz im Schweizer Wald zu bieten.
Gerade weil der Druck auf den Wald immer höher wird, weil er Freizeitpark, Fitnesscenter und Rohstofflieferant zugleich sein soll, hat sich die Jagd verändert. «Auch zum Guten verändert», betont Experte Felder. Daran seien die Tierschutz- und Naturschutzorganisationen durchaus «mitschuldig», fügt er an. Denn sie beobachten die Jagdszene kritisch und liegen ihr mit legitimen Anliegen immer wieder in den Ohren. Tierquälerei, da sei man sich seit jeher einig, habe im Wald und auf der Jagd nichts verloren. Als Errungenschaften der Schweizer Jagd nennt Felder die gesetzlich vorgeschriebene Nachsuche, also die Pflicht, ein verletztes Tier mit dem Schweisshund aufzuspüren zu erlösen. Den vor fünf Jahren schweizweit eingeführten periodischen Nachweis der Treffsicherheit hätte man seines Erachtens schon früher gesetzlich verankern dürfen; und zwar schlicht und einfach, weil regelmässiges Schiesstraining helfe, Fehlschüsse zu vermeiden. Auch seinen Kursteilnehmern schärfte Felder ein, über das obligatorische Schiessprogramm hinaus freiwillig eines zu tun: üben, üben, üben.
Eine grosse Bedeutung misst er nicht nur einer soliden Gesetzgebung bei, sondern auch den weichen Faktoren: den Ritualen. Sie prägen die hiesige Jagdkultur; darum hat er sie als Dozent stets thematisiert. Der letzte Bissen, das Verblasen der Strecke oder die Musik der Jagdhornbläser – sie mögen auf manchen antiquiert oder gar aus der Zeit gefallen wirken. Doch für Jagddoyen Felder sind diese Zeremonien unverzichtbar; es sind Zeichen der Achtung, Demut und Dankbarkeit. Dabei gehe es nicht um Show, sondern um eine echte innere, ethische Haltung, um Stil. Ein respektvoller Umgang mit Wald und Wild manifestiere sich übrigens auch in der Sprache, erklärt Felder. Sprüche wie «Nur ein totes Reh ist ein gutes Reh» oder «Nicht geschossen ist auch gefehlt» sind für ihn tabu. Von Jägern, die so daherreden, distanziert er sich gerne. Auch die in Deutschland verbreitete Ehrung des «Schützenkönigs», also jenes Kameraden, der in der Gesellschaftsjagd die meisten Tiere ins Feuer gelegt hat, lehnt er kategorisch ab. Solche Auszeichnungen gehören ins Reich des Sports. Jäger, die lauthals die Anzahl der erlegten Tiere verkünden, sind ihm suspekt.
Felder sieht sich als eigentlicher Erlebnisjäger, als einer, der sich in der Natur – wie es einst Adolf Ogi so treffend formulierte – «ein Stück näher beim Herrgott fühlt». Kompetenz, Freundlichkeit und Bescheidenheit zeichnen ihn aus. Dass er in Österreich am Grossglockner ein Gebirgsrevier mitpachtet, erwähnt er im Gespräch nur nebenbei, und erst noch mit leiser Stimme. Auch dass der von ihm gegründete Familienbetrieb – die Felder Jagdhof AG – ein weitum geschätztes und äusserst erfolgreiches Fachgeschäft für Jagd und Schiesssport ist, soll keinesfalls an die grosse Glocke gehängt werden. Denn das sei ja nicht alleine sein Verdienst, sondern derjenige seiner Familie und der Mitarbeitenden. Und dass er im Rahmen seiner jahrelangen Jagd- und Geschäftstätigkeit gleich mehrere Produkte erfunden und entwickelt hat, relativiert er auch sofort: «Ach, das hat sich so ergeben. Wenn ich zusammen mit meiner Kundschaft merkte, dass für die Jagd etwas fehlte, habe ich mich einfach mit anderen Spezialisten an einen Tisch gesetzt und so lange getüftelt, bis ein markttaugliches Produkt vorlag.» Zu erwähnen wären ein um 360 Grad drehbarer «Multifunktions-Kopf», der sowohl als Spektiv- wie als Gewehrauflage dient. Zudem ein Gewehrriemen, der dank drei Zusatzschlaufen das Schiessen in unterschiedlichen Positionen erleichtert. Oder ein multifunktionaler Sitzrucksack und eine komfortable Outdoor-Hose.
Vor wenigen Wochen händigte Hansruedi Felder mit seinen Kollegen der Jagdkommission den Jungjägern des Kantons Luzern zum letzten Mal die Diplome aus. Mit diesem feierlichen Akt ging nicht nur ein hochkompetenter und leidenschaftlicher Dozent in Pension, sondern ein Mann, der für viele Vorbild bleibt und der – um ein Bild aus der Tierwelt zu wählen – deutliche Spuren hinterlassen hat.
ENDE LAUFTEXT
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Biografie Box
Hansruedi Felder, Jg. 1953, ist im Hegen, oberhalb der Ortschaft Entlebuch (LU), aufgewachsen. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Feinmechaniker und Büchsenmacher. Mit 26 Jahren gründete er eine kleine «Bude», stellte einen Lehrling ein und legte damit den Grundstein für die Felder Jagdhof AG, ein Unternehmen mit heute 16 Angestellten. Der vierfache Familienvater hat sein Geschäft vor kurzem Sohn Christof und Tochter Carmen übergeben. Während 35 Jahren unterrichtete Felder als Dozent im Jagdlehrgang des Kantons Luzern und war in dieser Funktion auch Mitglied der Jagdprüfungskommission. Mit 12 Kollegen pachtet und bewirtschaftet er von der Gemeinde Entlebuch das 1500 Quadratmeter grosse Revier Ebnet-Rengg. Zudem ist er in seiner Freizeit als passionierter Gebirgsjäger in Österreich unterwegs.