PUBLIKATION

Neue Zürcher Zeitung

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

17.4.2008

EGOPFLEGE AUF DEM BALCON DU JURA

 

Vor gut 15 Jahren gegründet, erfreut sich das Kurhotel Revital im Waadtländer Weiler Les Rasses mittlerweile grosser Beliebtheit und einer treuen, fast ausschliesslich weiblichen Stammkundschaft.

 

Wir, Frauen im Alter zwischen 25 und 74 Jahren, starten die Wohlfühlwoche im Kurhotel Revital im Weiler Les Rasses mit einer kleinen Sünde: einem Glas Champagner. «Nachher gibt es nur noch Wasser», schmunzelt Hoteldirektorin Doris Ammann und gibt die Spielregeln für die bevorstehende Woche bekannt: Das «Revital» sei kein normales Hotel, wo Gäste anonym aneinander vorbei wohnten. Austausch sei erwünscht, Rückzug ins Zimmer aber jederzeit möglich.

Das Gespräch kommt sofort in Gang. Tina, Physiotherapeutin aus Luzern, baut Stress ab. Bernadette, Informatikerin aus Bern, will sich gegen ein erneutes Burnout schützen. Heidi, pensionierte Sozialarbeiterin, gönnt sich eine Woche Erholung. Annabelle, Berufsschullehrerin aus Deutschland, ist von der Gegend angetan. Klara, Immobilien-Maklerin aus Chur, will die Trennung vom Freund verarbeiten. Claudia, Pharmazeutin aus Zürich, macht sich für den nächsten Karrieresprung fit, und Katja tankt auf für das bevorstehende ETH-Diplom, während ihre Mutter Ingrid dem Nichtstun frönen will. Es handelt sich um eine gut situierte Klientel, die sich eine Woche mit Vollpension 1900 Franken kosten lässt. Viele sind zum zweiten oder dritten Mal hier und scheinen das «Revital» fix im Kalender eingebaut zu haben. Als ich gestehe, mich bloss für zwei Schnuppertage angemeldet zu haben, protestiert die Runde: «Zwei Tage reichen nicht aus zum Entstressen. Abschalten ist eine Kunst für sich.»


So sei es. Zum Nachtessen werden eine Consommé, eine Safranmousse, Kartoffeln mit frischem Gemüse und viel, viel Wasser gereicht, wobei empfohlen wird, dieses nicht während des Essens zu trinken, da sonst die Magensäfte beeinträchtigt würden. Um 21 Uhr 30 sind - wie im Mädcheninternat - alle Frauen verschwunden, und auch ich bin auf meinem Zimmer und lasse den Abend in einem Himalaja-Salz-Bad ausklingen. Als Bettmümpfeli gibt's eine Packung Tuttifrutti und eine kalifornische bioorganische Dattel. Totenstille herrscht auf dem Balcon du Jura, selbst wenn man bei offenem Fenster schläft.


Mit einem Bärenhunger erwache ich gegen 8 Uhr und eile Richtung Frühstücksraum, wo mich ein Teller mit exotischen Früchten erwartet. «Ich mag gar keine Früchte», gesteht die Informatikerin und nippt am Grüntee. Auch ihr hat in der Nacht der Magen geknurrt. In der Tat ist die Küche äusserst fett- und kalorienarm. Die vegetarischen Menus sind nach dem Trennkostprinzip zubereitet, Eiweisse und Kohlenhydrate separat, Rahm wird nur in Kleinstmengen verwendet. Und auf Kaffee, Milch und Schokolade muss völlig verzichtet werden, was bei mir Entzugserscheinungen aufkommen liess. Heimlich machte ich mich deshalb am Nachmittag auf zur Dorfbeiz und gönnte mir dort die verbotenen Genüsse. Später erfahre ich, dass zwei andere Damen vom «Revital» im Grand-Hotel Les Rasses in flagranti beim Genuss einer Crèmeschnitte ertappt wurden.


Auf dem Programm steht anderntags um 9 Uhr 15 «Morgenerwachen». Für meinen Geschmack ist diese Gymnastik zu lahm. Die anderen Frauen machen dagegen fleissig mit, winden Becken, Arme und Beine. Von Energie, Chakra und Balance ist die Rede, von Loslassen und Spüren, so dass ich, statt wach zu werden, fast wieder einschlafe. Um 11 Uhr ist eine Ganzkörpermassage bei Maria angesagt. «Du bist krumm», lächelt sie. «Naja, im Becken hast du eine Verspannung, die ich sanft lösen werde.» Sie bearbeitet meinen Körper vom Nacken bis zu den Zehenspitzen.


Die anschliessende Biosauna und eine Abkühlung mit dem eiskalten Wasserstrahl bringen meinen Kreislauf wieder auf Touren. Beim Abendessen, aufgetischt wird eine köstliche Minestrone, geht es geselliger zu als am Vortag, und es wird oft gelacht. Drehten sich die Gespräche anfangs um Körpermassagen, Lymphdrainage, Aroma- und Leberwickel, Reiki- und Thalassokurse, wird nun über Politik gesprochen, über Literatur, Ehe und Familiensituation. «Nur über den Job reden wir Frauen nicht», stellt Barbara fest. Bei Männern wäre das bestimmt anders, ist sie überzeugt. Apropos Geschäft: Als Doris Ammann vor 15 Jahren ihr Frauenhotel - das zu bestimmten Zeiten auch Ehepaaren offensteht - in dieser verlassenen Ecke der Schweiz gründete, wollte niemand an ihren Erfolg glauben. Und als Wellness landesweit zu boomen begann, konzentrierte sie sich auf ihr Kerngeschäft: gesunde Ernährung, Körperbewusstsein und Begegnungen mit der Natur. Ihre Nachfolgerin Pascale Sahli führt nun das Kurhotel Revital im Geist der Gründerin weiter.