PUBLIKATION

NZZ am Sonntag

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

27.6.2010

MEHR SEIN ALS SCHEIN

 

Zwei Schweizerinnen gehen aus Mitgefühl eine Scheinehe und täuschen gekonnt die Behörden. Die Ehe mit einem Kubaner lief wie geplant, jene mit einem Kurden nahm eine eher unangenehme Wende.

 

Die Hochzeitsfotos dokumentieren ein fröhliches Fest: Luzia und Azad küssend vor der Standesbeamtin, sich umarmend im Freundeskreis, lachend auf dem Kursschiff des Zürichsees, tanzend nachts im Garten mit Gästen, flirtend dann die mehrstöckige Torte anschneidend, und schliesslich, eng umschlungen und leicht beschwippst, im Morgengrauen.

 

Der schönste Tag im Leben – für Luzia und Azad bezweckte die Hochzeitszeremonie vom Sommer 1996 die Umgehung des Ausländergesetztes. Die damals 27-jährige Schweizer Lehrerin und der 21-jährige Kurde haben sich zu diesem Schritt entschlossen, weil dem Mann die Ausweisung drohte. Vom türkischen Regime als Teenager in die Schweiz geflüchtet, wurde sein Asylantrag von den Zürcher Behörden abgelehnt, wenig später der Rekurs. Die Frist für die definitive Ausreise ignorierte er, fand Unterschlupf in einer WG, und hielt sich dort versteckt. «Ewig so weitergehen », erklärt Luzia heute, «konnte das nicht. Die Ehe war die einzige Möglichkeit, dass er hier bleiben konnte. Für mich war es ein humanitärer Akt.» Aber die Fotos, das Lachen? Alles Theater? «Nein, nein», protestiert die heute 40-Jährige, «wir hatten tatsächlich ein lustiges Fest, die ganze WG war happy. Schliesslich haben wir den Behörden ein Schnippchen geschlagen.» Fotografiert wurde die Szene auch aus beweistechnischen Gründen. Man kann ja nie wissen...

 

Dass hier ein klassischer Fall von Scheinehe vorlag, fiel bis heute niemandem auf. Wie hätte es? Die beiden waren befreundet, wohnten im gleichen Haus und auch der geringe Altersunterschied gab keinen Anlass zu Skepsis. Nach einer Schätzung des Eidgenössischen Amts für Zivilstandswesen entfallen auf die jährlich  rund 15 000 Ehen, die zwischen Schweizern und Ausländern geschlossen werden, 500 bis 1000 so genannte Scheinehen. Gemeint ist eine Heirat, bei der es vorab darum geht, dem ausländischen Partner zu einer Aufenthaltsbewilligung zu verhelfen. Was künftig durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Zivilstandsämtern und Migrationsbehörden verhindert werden soll (siehe Box), ist bis heute problemlos möglich: Die Heirat von abgewiesenen Asylsuchenden oder so genannten «sans papiers» mit einem oder einer Schweizer Staatsangehörigen. Die Involvierten berufen sich auf das verfassungsmässig garantierte Recht auf Ehe, das auch in der EMRK verbrieft ist. Wer mit wem, warum – das geht den Staat doch nichts an. Ob aus emotionalen,  religiösen, familiären, steuer- oder eben aufenthaltstechnischen Gründen: Das Motiv einer Ehe soll – solange kein Zwang oder Geld im Spiel ist – jeder frei wählen können.

 

Im Falle des solidarischen Hauskollektivs reifte die Idee der Heirat allmählich. Der beherbergte Kurde liess sich äusserlich gehen, wurde depressiv. Sein illegaler Status brachte es mit sich, dass er  sich – aus Angst vor Polizeikontrollen – kaum mehr aus dem Haus traute, den anderen Mitbewohnern allmählich auf die Nerven ging, ohne Arbeit und ohne Geld. Eines Tages war dann klar: So kann es nicht mehr weitergehen. Doch als die WG eine Krisensitzung abhielt und die Frage im Raum stand, wer von den Frauen sich denn konkret für eine Heirat zur Verfügung stellen sollte, sprang eine nach der anderen ab. «Mir ist das zu heikel», oder «Ich bin noch zu jung» oder «Ich kann nicht gut lügen» hiess es. Am Ende blieb nur noch Luzia übrig. «Ich habe mich quasi geopfert», erinnert sie sich. «Aber ich tat es auch aus Überzeugung.» Eine «richtige» Ehe, das wusste sie schon immer, würde für sie sowieso nie in Frage kommen. Der Platz an ihrer Seite war also frei: für Azad, einen Menschen in Not.

 

Nach intensiven Bemühungen gelang es den Freunden, für den Kurden eine Kopie seines Passes plus eine Geburtsurkunde aus der Türkei aufzutreiben, mit dem sich das Paar offiziell auf dem Zivilstandsamt anmeldete. Dass Skepsis bei den Behörden aufkommen könnte, darauf machte man sich gefasst. Entsprechend vorbereitet war man auf eine getrennte Fragerunde über Umstände des sich Kennenlernens und gegenseitige Schlafgewohnheiten. Doch von alldem wollte niemand etwas wissen. Stattdessen stieg schon bald das grosse Fest. Luzia im silbernen Satinkleid mit Perlenkette, weissen Stöckelschuhen, glitzernden Strümpfen und hochgesteckten Locken. Azad in schwarzer Bundfaltenhose, blauem Hemd und beigem Sakko mit Brillantine im Haar. Luzia Lötscher hiess ab sofort Lötscher Yilmaz. So stand es ab sofort auch auf allen amtlichen Dokumenten, und so wurde es ihrem Arbeitgeber mitgeteilt. Herzlichen Glückwunsch! Hiess es aus dem Lehrerzimmer. Du hast ja geheiratet! «Nicht der Rede wert», so die Frischvermählte.

Auf offizieller Ebene lief alles problemlos. Nicht den Vorstellungen entsprechend verhielt sich der Kurde. Er sollte nun – eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in der Tasche – endlich seinen Schulabschluss nachholen, sich anschliessend einen Job suchen und auf eigenen Füssen stehen. Das war der Plan. Doch Azad entwickelte null Eigeninitiative, fiel immer mehr zur Last. Parallel dazu bröckelte die Solidarität unter der Freundesclique. Luzia stand plötzlich alleine da mit ihrem Mann, fühlte sich vergaukelt. «Du bist schliesslich mit ihm verheiratet», liess man sie wissen. Als ihr der Geduldsfaden riss, schmiss sie ihn aus der Wohnung. «Es wurde mir zu viel. Ich hatte meinen Beitrag geleistet. Ich konnte ihn nicht Tag und Nacht betreuen.» Als sie wenig später einen Mann kennenlernte, ungeplant von ihm schwanger wurde und im Frühling 2002 eine Baby zur Welt brachte, war das Chaos perfekt: Der Säugling erhielt automatisch den Familiennamen des Kurden, der als vermeintlich biologischer Vater auch im Geburtsschein und im gemeinsamen Familienbüchlein eingetragen wurde. Nach intensivem Zureden konnte Ehefrau Luzia ihn dazu bewegen, vor Gericht eine Vaterschaftsaberkennung zu machen, während der wirkliche Vater das Kind anerkannte.

 

Fünf Jahre später, der Kurde hatte mittlerweile die  C-Bewilligung, war es dann soweit. Luzia wollte sich scheiden lassen. Tatsächlich erschien der Ehemann zum ersten Scheidungstermin und bestätigte, was seine Gattin sagte: man habe sich auseinander gelebt, wolle die Scheidung. Die Beamten zeigten volles Verständnis und rafften wieder nichts. Das ganze machte ja auch Sinn: Ein Ehepaar lässt sich scheiden, weil die Frau von einem anderen schwanger ist. Ein klassischer Fall von Ehebruch. Als das Paar nach Ablauf der zweimonatigen Bedenkfrist nochmals einen Termin auf dem Zivilstandsamt hatte, tauchte der Kurde allerdings nicht mehr auf. Er hatte sich, wie seine Frau inzwischen realisierte, tatsächlich verselbständigt – im Drogenmilieu. Abgestürzt und auf der Gasse, war er plötzlich unauffindbar; jetzt, wo man ihn gebraucht hätte. Die Ehe konnte nach längerem Hin und Her im Abwesenheitsverfahren schliesslich doch noch geschieden werden. Den Kontakt zu ihrem Ex-Mann hat Luzia abgebrochen. Sie findet es schade, dass er nicht mehr aus seiner Chance gemacht hat. Bereuen tut sie die Ehe aber nicht: «Ich würde es wieder machen.»

 

Erfreulicher verlief  die Geschichte bei Claudia und José, sie Schweizerin, er Kubaner. Der leicht mollige Tanzlehrer und die attraktive Modedesignerin mit den langen blonden Haaren hatten sich vor sechs Jahren in seiner Heimat kennengelernt, wo sie regelmässig beruflich zu tun hatte. «José», erklärt die 39-Jährige alleinerziehende Mutter, «hat mir in seinem Land viel geholfen, wertvolle Kontakte vermittelt und sich enorm für mein Textilprojekt engagiert.» Im Laufe der letzten zehn Jahre besuchte der Kubaner mit einem Künstlervisa mehrere Male die Schweiz, stellte aber fest, dass es jedes Mal schwieriger wurde, die Ausreise staatlich genehmigt zu bekommen. Als er im Sommer 2006 abermals auf Einladung eines Veranstalters in der Schweiz weilte, äusserte er die Absicht, definitiv in der Schweiz bleiben zu wollen, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Der ging es, wie Claudia auf Kuba selber gesehen hatte, finanziell schlecht.

 

Jetzt, fand sie, war es an ihr, sich erkenntlich zu zeigen. «Ich konnte nicht anders.» Eine Unterschrift von ihr – nur das - würde reichen und eine ganze Familie könnte Hoffnung schöpfen. Was, bitte schön, soll daran kriminell sein? Zudem verstand sie sich mit José tatsächlich gut. Er war kein kubanischer Machos, sondern hilfsbereit, sympathisch, seriös. Als José seinen Rückflug tatsächlich verfallen liess, somit illegal im Land weilte und bei jeder Tramkontrolle ins Schwitzen geriet, war für Claudia klar: Jetzt wird geheiratet.

 

Im Herbst 2008 meldeten sich die beiden zur Trauung an. Vorweisen mussten sie ihre Pässe, für ihn zusätzlich eine Wohnsitzbescheinigung des Herkunftslandes, die ebenfalls pünktlich eintraf. Schon wenige Wochen später fixierten sie einen Termin für die Heirat. Die beiden Trauzeugen wussten Bescheid, die Beamten ahnten nichts. Warum sollten sie? Der Tanzlehrer und die Designerin sprachen miteinander Spanisch und wirkten nicht nur völlig natürlich und vertraut. Sie waren es ja auch.  Claudia bezeichnet das ganze nüchtern als einem «Austausch von Rechten.» Sie habe ein Recht gehabt, dass ihr nichts bedeutete -  das Recht auf Heirat. Ihm fehlte ein Recht, dass jedem Menschen zustehe – das Recht auf eine Zukunft, eine Perspektive. José ist dank diversen Kleinjobs finanziell unabhängig und wohnt derzeit in Claudias Wohnung. Wenn sie abends einmal in den Ausgang möchte, schaut er zu ihrer Tochter, die auf diese Weise spanisch lernt und die Sprache mittlerweile fast fliessend spricht. Wenn Claudia länger arbeiten muss, holt José das Kind auch mal von der Krippe ab. Würde unverhofft ein Beamter von der Fremdenpolizei auftauchen, und dieser Gedanke kommt manchmal auf, was würde er vorfinden? Einen Mann, eine Frau, ein Kind. Mehr Sein als Schein.


ENDE LAUFTEXT

 

Bekämpfung von Scheinehen

Ausgelöst durch eine parlamentarische Initiative von SVP-Nationalrat Toni Brunner stehen in Zusammenhang mit der Schliessung binationaler Ehen bzw. eingetragener Partnerschaften verschärfende Änderungen an, die per 1. Januar 2011 in Kraft treten. Diese bewirken, dass künftig in der Schweiz nur noch heiraten darf, wer hier ein Bleiberecht hat. Ausländische Verlobte müssen während des Vorbereitungsverfahrens ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen, entweder durch ein gültiges Visum oder durch eine Aufenthaltsbewilligung. Die Zivilstandsbehörden werden einen im Vergleich zu heute erweiterten Zugriff auf das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS) haben und verpflichtet sein, die Identität von Verlobten, die ihren rechtmässigen Aufenthalt nicht nachweisen, der zuständigen Behörde zu melden. Diese Neuerungen werden auch für eingetragene Partnerschaften gelten.

 

Bereits jetzt kann, wer eine Scheinehe eingeht, vermittelt oder fördert, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Wer Geld dabei kassiert, riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.  Zivilstandsbeamte dürfen eine Heirat bei offensichtlicher Scheinehe verweigern. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass einer der Ehegatten nicht eine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländern umgehen wollte, ist die Ehe von Amtes wegen für ungültig zu erklären.