PUBLIKATION

Schweizer Post

ZUSAMMENARBEIT

Büro Norm (Gestaltung)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

17.7.2011

MODERNE KUNST AUF SCHWEIZER BRIEFMARKEN

 

Recherchen und Texte für das Briefmarken «bouquin» der Post. Es enthielt Textbeiträge und Originalmarken von acht Künstlerinnen und Künstlern, die für die Post eine Briefmarke realisiert haben: Sophie Teuber-Arp, Hans Finsler, Emma Kunz, Max Bill, Meret Oppenheim, Peter Fischli / David Weiss, Thomas Hirschhorn, Shirana Shabazi. Kompakt und facettenreich zugleich widerspiegeln sich darin acht unterschiedlichste künstlerische Gesten.

 

- Herausgeberin: Schweizerische Post

- Gestaltung: Atelier Norm, Zürich

- Texte: Sabine Windlin

- Umfang: 24 Seiten

- Preis: 19 Franken

- Übersezungen ins Französiche, Italienische und Englische

 

Intro - Facetten der Gegenwartskunst

Von der Unesco als nationales Kulturgut eingestuft, deutet alles darauf hin, dass die Briefmarke ihren Status als imagestiftende Frankatur weiterhin verteidigen wird.  Dabei erhellt das Thema «Moderne Schweizer Kunst auf der Briefmarke», das von der Post seit nunmehr zehn Jahren regelmässig aufgegriffen wird, ein besonders lebendiges und attraktives Kapitel der helvetischen Briefmarkengeschichte.

 

Kompakt und facettenreich zugleich widerspiegeln sich  darin acht unterschiedlichste künstlerische Gesten: die gute Form eines Max Bill, der unkonventionelle Blickwinkel eines Hans Finslers, die Suggestion eines Duos Fischli/Weiss, die Leidenschaft eines Thomas Hirschhorns, die Spiritualität einer Emma Kunz, die Eigenwilligkeit einer Meret Oppenheim, die Autonomie einer Sophie Taeuber-Arp und die Kompositionskraft einer Shirana Shahbazi.

 

Das vorliegende «souvenir-bouqin» präsentiert acht Sujets aus der Sparte Gegenwartskunst, denen eine besondere Bedeutung zukommt. Anlass dazu bietet die Ausstellung «Horizont Schweiz», die vom 22. September 2011 bis 15. Januar 2012  im Kunstmuseum Lichtenstein in Vaduz gezeigt wird.

 

 

Shirana Shahbazi – solitärer Genosse

Motiv: Frucht 07 aus Serie «Flowers, Fruits & Portraits» (entstanden 2009)
Datum Marke: 2011
Anlass: Ausstellung «Horizont Schweiz», Vaduz


Bei Shirana Shahbazi (1974 geboren) nimmt das Stillleben nebst dem Landschafts- und Porträtbild einen wichtigen Platz ein. Doch der Rückgriff auf eine europäische Bildgattung mit toten beziehungsweise reglosen Dingen geschieht bei der gebürtigen Iranerin im Paarlauf mit einem gezielten stilistischen Bruch. Der solitäre Apfel in der Fotografie Frucht 07 ist der barocken Früchteschale und seinen Obstgenossen entflohen und steht nun als Single auf einer farbigen Oberfläche gleichsam stramm. Das gelb-schwarze Konstrukt im Hintergrund nimmt derweil unmissverständlich Fühlung mit der konkreten Kunst auf und macht klar, dass sich das Objekt des Apfels - der helvetisch-patriotisch und paradiesisch-erbsündlichen Konnotation zum Trotz – komplett der Symbolik verweigert. Diese Auflösung und dieses Gegenblenden unterschiedlicher Kunstgenres gelingt Shahabzi in ihrem gesamten Werk und steht dieser generell Grenzen auslotenden Künstlerin bestens zu Gesicht.

 

 

Max Bill – farbiger Gedanke

Motiv: Rotes Quadrat
(entstanden 1946)
Datum Marke: 2008
Anlass: 100. Geburtstag von Max Bill

 

Max Bill (1908-1994) hat in allem, was er im Laufe seines langen Lebens entwarf und fertigte, das Bleibende gesucht. Der Wegbereiter der Konkreten Kunst, der als Architekt, Bildhauer und Maler gleichermassen wirkte, besann sich immer wieder auf mathematisch-geometrischen Grundlagen, die er sich im Bauhaus-Studium im Dessau einverleibte und konzentrierte sich auf das Zusammenspiel von Form und Farbe.  Im «roten Quadrat», das 1946 entstand, kommt dies besonders gut zu Ausdruck. Hier tritt die Malerei als purer Farbgedanke in Erscheinung. Der Name Max Bill wird auf ewig mit der Ausstellung «die gute form» verbunden sein, die er 1949 als internationale Wanderausstellung konzipierte. Sie war ein wichtiges Signal im kriegszerstörten Europa, das für den Wiederaufbau auch in gestalterischen Fragen nach Orientierung und Halt suchte. Bill, der zu Lebzeiten im Ausland mehr Beachtung fand als in seinem Heimatland, leistete auf dieser Suche einen unverzichtbaren Beitrag.

 

 

Hans Finsler – sachliche Eier

Motiv: Eier im Spiegel
(entstanden 1929)
Marke: 2008
Anlass: Thema konkrete Kunst bei der Post

 

Die Frage schickt sich für einen so wichtigen Repräsentanten der Schweizer Fotografie eigentlich nicht, Hans Finsler (1891 – 1972) aber hat sie gestellt, hatte den Mut, sie zu stellen: Was ist Fotografie? Und liefert mit dem 1929 entstandenen Werk «Eier im Spiegel» die Antwort gleich mit: Fotografie ist, zumal zu diesem Zeitpunkt, die Möglichkeit, zur Darstellung von positiv und negativ, von schwarz und weiss, von Schärfe und Unschärfe. Finsler, der Architektur studierte, autodidaktisch zur Fotografie kam und massgebend zur Entwicklung der Sachfotografie beitrug, gilt heute als Urvater der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie, weil er sich mit Leidenschaft der Schönheit scheinbar nebensächlicher Dinge widmete: Schuhen, Geschirr, Stühlen - und eben Eiern. Viele seiner Fotos wirken durch die raffinierte Anordnung einfacher Objekte, ausgeklügelter Beleuchtung und unkonventioneller Kamerablickwinkel oft wie abstrakte Malerei. Kaum jemandem gelang es, Gegenstände so gekonnt bildwirksam zu inszenieren.

 

 

Fischli / Weiss – humoreske Balance

Motiv: Die Liegende
(entstanden 1984)
Datum Marke: 2010
Anlass: Jubiläum 100 Jahre Kunsthaus

 

Die Aufmerksamkeit liegt auf einer eigentlich undenkbaren Konstruktion, die der Schwerkraft zuwiderläuft und stellvertretend für die humoreske Suggestion steht, die für das Künstlerduo Fischli/Weiss charakteristisch ist. Dieses verblüffende Konstrukt mit dem prosaischem Titel «Die Liegende», das in einer Schwarz-Weiss-Variante den Titel «Schlummerschlinge» trägt, stammt aus der Fotoserie «Equilibres» und will uns (mindestens) zwei Dinge klar machen: dass Kunst nicht den physikalischen Gesetzmässigkeiten unterworfen ist und dass Fantasie – welch Wunder! – in einer Ablichtung real werden kann, wenn wir nur genug Zeit, Konzentration und Geduld dafür aufbringen. Die Ironie des akrobatischen Stilllebens ist durchaus gewollt. Dazu passt der Kommentar des Künstlerduos, das es zu diesem atemberaubend labilen Balancewerke abgibt: Am schönsten ist das Gleichgewicht, kurz bevor es zusammenbricht.

 

 

Thomas Hirschhorn – herzlicher Widerstand

Motiv: I love Art
(entstanden 2010)
Datum Marke: 2011
Anlass: Biennale Venedig 2011

 

Dass die raumfüllenden Assemblagen, für die der in Paris wohnhafte Künstler Thomas Hirschhorn (geboren 1957) bekannt ist, nicht auf eine Briefmarke passen, war klar. Da lag der Gedanke für eine kurze, klare und weltweit verständliche Botschaft nah. Übermittelt wird sie mittels des universell benutzten Herzlogos, das uns von bedruckten Badetüchern, Teetassen und Autohecks bestens vertraut ist. Doch statt das Bekenntnis für die Vorliebe einer bestimmten Rockband oder Sportart folgt hier eine unmissverständliche Liebeserklärung an die Kunst. Warum? «Die Kunst ist Widerstand an sich» teilt Hirschhorn mit, und bekennt damit: Seine Kunst ist für ihn untrennbar mit einem persönlichen Standpunkt gekoppelt und an eine Überzeugung geknüpft. Das «I love» geht vom Partikulären und Individuellen «I», also vom «Ich» aus, zielt aber gleichzeitig auf eine Stellungnahme des Gegenübers, die hier energisch und vehement eingefordert wird. «Und was liebst Du? Und wofür stehst Du ein?»

 

 

Emma Kunz - Spirituelle Präzision

Motiv: Tafel Nr. 095
(Entstehungsjahr unbekannt)
Datum Marke: 1993
Anlass: Serie zum Thema «Kunstwerke Schweizer Frauen»

 

Es waren die existenziellen Fragen des Lebens, die Suche nach Erkenntnis im Diesseits, die Emma Kunz (1892-1963) zum Zeichnen brachten. Die bekannte Heilpraktikerin, die den Nimbus einer Lichtgestalt hatte, im Dorf aber auch als Hexe verschrien wurde, begann schon mit 18 Jahren ihre Begabung für Telepathie und Prophetie zu nutzen und liess sich für ihre Muster mit dem Pendel leiten. Daraus resultierten streng geometrische, mit Bleistift, Farbstift und Ölkreide auf Millimeterpapier gebannte Aufzeichnungen, wie die «Tafel 095», deren Entstehungsjahr nicht bekannt ist.  Jede Farbe, jede Form, jede Linie hatte im Weltverständnis von Emma Kunz eine präzise Bedeutung. Insofern dokumentiert und verschlüsselt das vollbrachte Werk zugleich ihr Wissen. «Mein Bildwerk», pflegte die Künstlerin zu sagen, «ist für das 21. Jahrhundert bestimmt. Die Zeit wird kommen, in der man es versteht.» Intellektuell ist das Schaffen von Emma Kunz bis heute schwer zu begreifen, aber es setzt einen Dialog zwischen Bild und Betrachter in Gang, der den Geist der rätselhaften Aargauerin weiterleben lässt.

 

 

Meret Oppenheim – eigensinnige Wolke

Motiv: Unter der Regenwolke
(entstanden 1964)
Datum Marke: 1993
Anlass: Serie zum Thema «Kunstwerke Schweizer Frauen»

 

Auf ihre Pelztasse reduziert, zur Muse der Surrealisten gestempelt, gilt Meret Oppenheim (1913 – 1985) heute als absolut unverwechselbare Künstlerpersönlichkeit, die mit beherztem Eigensinn kreierte:  Skulpturen und Schmuck genauso wie eine Vielzahl Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen. Ein Thema, das die in Berlin geborene Schweizerin vor allem in den 60-er und 70-er Jahren besonders intensiv aufgriff, sind die Wolken – eigentlich unfassbare, in ständigem Wandel begriffene Gebilde, die sich bei Oppenheim zu festen, scharf umrissenen, kristallinen Körpern verdichten, wie etwa im Bild «Unter der Regenwolke». Mit ihrem Thema »Frau und Kunst« fand Oppenheim in der Frauenbewegung ab den 1970er Jahren ein willkommenes Forum. Sie mischte sich in die Diskussion ein und erläuterte souverän ihren Standpunkt: »Der Geist ist androgyn!», so Oppenheim: »Man sollte sich daran erinnern, dass es Eva war, die zuerst vom Apfel am Baume der Erkenntnis, also des bewussten Denkens, gegessen hat.» 

 

 

Sophie Taeuber-Arp – harmonische Klarheit

Motiv: quatres espaces à bandes horizontales
(entstanden um 1930)
Datum Marke: 1993
Anlass: Serie zum Thema «Kunstwerke Schweizer Frauen»

 

Vertikal-horizontale Kompositionen aus Dreiecken, Rechtecken und Kreisen, mit Bedacht platzierte  Spannungselemente – die bewusst stets einfach gehaltenen Gestaltungsmittel ziehen sich konstant durch das Werk von Sophie Taeuber-Arp (1889 – 1943). Die erst post mortem berühmt gewordene Vertreterin der klassischen Moderne war eine zurückhaltende Persönlichkeit mit unglaublicher Kreativität. Die Mitunterzeichnerin des «Dadaistischen Manifests» agierte unter anderem als Dozentin, Architektin, Bühnenbildnerin, Herausgeberin und Tänzerin in der Künstlerkneipe Cabaret Voltaire. Ihre Verbundenheit zur architektonischen Avantgarde spiegelt sich unübersehbar in ihren Farben- und Flächenbauten und in ihrer Mitgliedschaft bei der Pariser Künstlervereinigung «Cercle et Carré» und der Folgevereinigung «Abstraction-Création.» Sophie Taeuber-Arp, die wenig Aufhebens um Ihr Können machte, deklarierte mit entwaffnender Klarheit: «Form, Farbe, Harmonie - das muss reichen für ein Kunstwerk.»