WOHNABENTEUER IN HISTORISCHEM GEMäUER
Mitten in der Zuger Altstadt und direkt an der Stadtmauer konnte die Genossenschaft GEWOBA sechs Klein- und drei Atelierwohnungen realisieren. Für die Mieterschaft geht der Bezug der neun Einheiten mit einem Experiment einher.
Es gibt garantiert viele Zuger, die sich in der Kantonshauptstadt bestens auskennen, aber noch nie im Knopfliweg waren, schlicht keine Ahnung haben, wo sich dieses unscheinbare Strässchen befindet, das nach wenigen Metern abrupt in einer Sackgasse endet. Logischerweise ist es irgendwo beim Knopfliturm zu verorten. Doch auch wo dieser steht, ist längst nicht allen bekannt.
Esther Keiser, GEWOBA-Geschäftsführerin, kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Mit dem Knopfliweg hatte auch sie lange nichts am Hut, bis sie sich von Amts wegen intensiv mit dieser idyllischen Quartierecke beschäftigen durfte, die sich nur wenige Meter vom Kolinplatz entfernt, etwas oberhalb des Quartiers «Dörfli», befindet. Gemeinsam mit dem Vorstand trieb sie die letzten Jahre das gleichnamige Bauprojekt voran, das innerhalb des Immobilienportfolios der Genossenschaft einen besonderen Stellenwert geniesst. Das kleine Baujuwel hebt sich in verschiedener Hinsicht von den anderen Liegenschaften ab, in welchen die Genossenschaft insgesamt 155 Wohnungen im Raum Zug zu fairen Preisen vermietet.
Zum einen ist es mit einem Angebot von neun Wohnungen verhältnismäßig klein. Zum anderen hat es eine äusserst spannende historische Vergangenheit und steht für eine Wohnform, die auch für die GEWOBA noch relativ neu ist. Wir reden vom Konzept «gemeinschaftliches Wohnen», das im Jahr 2021 in Steinhausen erstmals erprobt wurde. Am Knopfliweg in den beiden Häusern Nr. 4 und 6 wird dieses Konzept aufgrund von verhältnismäßig viel gemeinsam nutzbarer Fläche im Innen- und Außenbereich – wir sprechen von gemeinsamer Küche, Waschraum, Garten usw. – noch konsequenter gelebt. Die Lust und Bereitschaft, sich auf eine lebendige Gemeinschaft einzulassen, musste bei diesen Mietenden also besonders ausgeprägt sein.
Entsprechend früh wurde parallel zum Bauprojekt ein partizipativer Prozess angestossen. Beauftragt damit wurde Katharina Barandun, ein Profi in Sachen Quartier- und Nachbarschaftsentwicklung. Ihr Auftrag: die GEWOBA-Mitglieder über die «Risiken und Chancen» des gemeinschaftlichen Wohnens aufzuklären und sicherzustellen, dass die Vorstellungen der künftigen Mieterschaft letztlich auch im Einklang stehen mit den Erwartungen der GEWOBA. Interessierte trafen sich darum bereits im Herbst 2024 unter dem Motto «Beleben, bespielen, bewohnen» zu einer ersten Veranstaltung im Casino. Anschließend gab es weitere Workshops und Diskussionsrunden. Intensiv, aber ungezwungen und spielerisch kam man ins Gespräch.
Wie schafft man den Spagat zwischen Nähe und Distanz? Wo könnte es Konflikte geben? Welches Potenzial haben der gemeinsame Garten, der gemeinsame Werkraum, die gemeinsame Küche für die Mitbewohner? Bin ich überhaupt geeignet für so eine Wohnform oder besteht die Gefahr, dass mir die Mitbewohner schon nach dem ersten gemeinsamen Nachtessen auf den Wecker gehen? «Günstig wohnen zu wollen, reicht als Kriterium nicht aus, um hier ein neues Zuhause zu finden», betonte Esther Keiser schon ganz zu Beginn des Prozesses. «Man muss Gemeinschaft wollen, gut ertragen und auch einen Beitrag zu deren Funktionieren leisten.» Kurz und gut: Es ist ein Geben und ein Nehmen.
Wie vorauszusehen war, verkleinerte bzw. konkretisierte sich der Kreis der potenziellen Mieter im Laufe des Prozesses automatisch. Während an der ersten Infoveranstaltung der Saal mit über fünfzig Anwesenden noch voll war, traf sich bei der zweiten und dritten Veranstaltung nur noch ein kleines Grüppchen. Gut so! Denn die Idee des Findungsprozesses bestand ja gerade darin, potenzielle Mieter, die gut zum Objekt, aber auch zueinander passen könnten, ausfindig zu machen. Während die Interessierten ihre Vorstellungen über das Zusammenleben austauschten, trieb die GEWOBA den Bewerbungsprozess voran und lud Personen der engeren Auswahl einzeln zu Führungen auf die Baustelle ein. Dies erlaubte es der Geschäftsführerin, die Kandidatinnen und Kandidaten persönlich kennenzulernen. Und diese konnten das damals sich noch im Bau befindende Denkmal aus dem 19. Jahrhundert besichtigen, dessen Wohneinheiten zwischen 34 und 64 Quadratmeter gross sind. Wie in anderen GEWOBA-Liegenschaften galt auch hier das Motto «Zug first»: Vorteil hat, wer in Zug aufgewachsen, wohnhaft oder arbeitstätig ist. Die Mietpreise bewegen sich zwischen 1350 und 2450 Franken.
Bis Ende 2024 hatten die Geschäftsstelle und der Vorstand schliesslich gemeinsam entschieden, welche acht Parteien in den beiden historischen Gebäuden wohnen sollen. Es sind dies zwei Paare und sechs Singles. Einer der Mieter ist Pascal Strüby. Der gebürtige Zuger arbeitet als Raumplaner in Baar und wohnte zuvor in Zürich. «Das hat mir gefallen, aber eigentlich wollte ich immer zurück nach Zug», erklärt er und schwärmt vom Charme des Gebäudes. Teile der alten Stadtmauer und des Turms sind Bestandteil seines Wohnraums. Für die 64 Quadratmeter grosse Atelierwohnung bezahlt er nun 2400 Franken. «Billig ist das nicht, aber deutlich günstiger als etwas Vergleichbares auf dem freien Markt an dieser Lage», betont Strüby.
Die Miete muss der 33-Jährige alleine stemmen, denn sein Mitbewohner – eine französische Bulldogge – beteiligt sich nicht an den Kosten. Seine Einheit ist auf drei Etagen verteilt: Im Erdgeschoss befindet sich der Atelier- und Wohnraum, etwas höher liegen Küche, Essbereich und Badezimmer und zuoberst das Schlafzimmer. Mit seinen Nachbarn ist er glücklich. «Wir passen gut zusammen und sind gewillt, dieses Experiment auszuprobieren.»
Klar ist aber auch: Nicht für jeden und jede ist der Knopfliweg die ideale Wohnform. Teilweise sind die Räumlichkeiten etwas ringhörig. Und für gehbehinderte Menschen oder solche mit Rollstuhl kommt das Denkmal – da ohne Lift und barrierefreie Eingänge – nicht infrage. Nach Parkplätzen sucht man an dieser zentralen Lage vergebens. Punkten kann die tolle Liegenschaft aber mit einem Trumpf, der mitten in der Stadt nach seinesgleichen sucht: Vis-à-vis vom Gebäude steht der Mieterschaft nämlich ein rund 1000 Quadratmeter grosser Garten mit Grillstelle und Pergola zur Verfügung, der diesen Frühling auf Vordermanngebracht werden soll. Geplant sind ein Gemüse-, ein Kräutergarten und eine Wildhecke. Für die umweltfreundliche Entsorgung von organischen Abfällen soll ein Komposthaufen angelegt werden.
Auch im Garten ist also Mitanpacken angesagt. Durch die gemeinsame Gartenpflege soll sich der Garten zu einem Ort des Miteinanders entwickeln. Gleiches gilt für die Werkstatt, die sich – wie der Veloraum – zwischen den beiden Gebäudeteilen befindet. Wo und wie konkret sich die Mieterinnen und Mieter engagieren, ist ihnen selber überlassen. «Jeder hat ein Talent, das er zugunsten der Hausgemeinschaft einbringen kann», ist Esther Keiser überzeugt.