JOHANN JAKOB ANDERMATT WäRE HOCH ERFREUT
Im südlichen Dorfkern von Baar am Sternenweg steht ein imposanter Zeitzeuge, der das repräsentative Wohnen früherer Jahrzehnte dokumentiert. Er befand sich seit je im Besitz von einflussreichen Baarer Familien, die zum Haus eine starke Bindung haben.
So schön und spannend es ist, als Bauherrschaft mit vier Architekten in der Familie ein Haus zu sanieren – entscheidend ist die Frage, die sich am Anfang des Prozesses stellt: Wer macht die Planung? Für die Familie Urscheler war klar, dass sie für diese Aufgabe einen externen Profi ins Boot holen wollte; einer, der für die Sanierung eines historischen Hauses die entsprechende Expertise mitbringt.
«Wir hatten eine glückliche Hand», erzählt Yvonne Urscheler und verweist auf Lukas Voellmy. Der 43-jährige Zürcher Architekt und sein Team wurden von Yvonne, ebenfalls Architektin, und ihren drei Geschwistern als Vertreter der Bauherrschaft aufgrund von Referenzen und einem überzeugenden Vorprojekt mit der Sanierung und Erweiterung der Liegenschaft Sternenweg 9 in Baar beauftragt. «Wir merkten schnell, dass wir eine ähnliche Denkweise haben, sich unsere Ideen für die Sanierung deckten und die Chemie stimmte», erzählt die Architektin. Ein weiteres Kriterium war, dass Lukas Voellmy bereit war, auch die Bauleitung zu übernehmen, um in der Kommunikation eine Schnittstelle weniger zu haben und den Prozess zu beschleunigen. Das Vorgehen zahlte sich aus. Die Sanierung schritt zügig voran und konnte innerhalb von eineinhalb Jahren realisiert werden. «Das Resultat macht Freude», erzählt Urscheler, als sie sich mit Voellmy kurz vor Einzug der Mieter ein letztes Mal zu einem Augenschein trifft und durch das Haus spaziert.
«Das Projekt stellt auch in meiner Arbeit als Architekt ein Highlight dar», betont Voellmy. Angesichts seines Leistungsausweises und der umfangreichen Bautätigkeit will das etwas heissen. Voellmy hat im Engadin an der Sanierung zahlreicher historischer Bauten gearbeitet. Zudem ist er einer der beiden Architekten, die das prestigeträchtige Kunstmuseum in Susch im Auftrag der polnischen Kunstsammlerin und Mäzenin Grażyna Kulczyk umgebaut hatten, das 2019 eröffnet wurde. Hier hatte er es mit Bausubstanz zu tun, die teilweise bis ins 12. Jahrhundert zurückreichte. Der Reiz des Projekts in Baar bestand für Voellmy darin, dass es sich beim Objekt mit Baujahr 1768 nicht nur um einen äusserst stilvollen, sondern mit über 3000 Kubikmetern auch sehr voluminösen Zeitzeugen handelt. Das Denkmal am Sternenweg 9 in Baar markiert Präsenz.
Errichtet wurde es im Auftrag von Johann Jakob Andermatt und dessen Gemahlin Maria Anna Landtwing und veranschaulicht den hohen Anspruch der Bauherrschaft. Andermatt (1708–1791) war ein angesehener Baarer Bürger. Er absolvierte ein Medizinstudium in Freiburg im Breisgau und war danach als Hauptmann und Landvogt in Sargans tätig. Nach seiner Rückkehr nach Baar hatte er zahlreiche politische Ämter inne, war Gemeindevorsteher, langjähriges Mitglied des Zuger Stadt- und Amtsrats und dreimal Zuger Ammann. Auch Gattin Maria Anna Landtwing stammte aus einer einflussreichen Zuger Familie. Im Jahr 1879 gelangte das Haus durch die Heirat von deren Tochter in den Besitz der Müllers – also der Familie von Yvonnes Urschelers Mutter Anna Maria Urscheler, geborene Müller. Sie wurde im Haus geboren und erlebte hier zusammen mit ihrem Bruder ihre Kindheit. Ihr Vater Alois Müller betrieb darin über mehrere Jahrzehnte eine Praxis für allgemeine Medizin. Auch sein Vater – der Rechtsanwalt Alois Müller – bekleidete im Kanton Zug wichtige Ämter, so etwa als Gerichtspräsident, Regierungsrat und Ständerat. Der Kanton, der das Haus 2022 unter Schutz stellte, misst der Liegenschaft somit nicht nur bau-, sondern auch lokalhistorisch und heimatkundlich eine hohe Bedeutung zu. Seit je haben darin einflussreiche Persönlichkeiten gewohnt.
Das Ziel der Bauherrschaft bestand darin, das Potenzial des Hauses im Rahmen der Modernisierung voll auszuschöpfen und gleichzeitig dem Bestand Respekt zu zollen. Primär galt es, die drei bestehenden Wohnungsgeschosse zu sanieren und durch den Ausbau des bisher nicht beheizten Dachgeschosses eine zusätzliche Wohneinheit zu schaffen. Starten wir unseren Rundgang darum gleich in der bauhistorisch ansprechenden «Roof-Top-Loft» und werfen unsere Vorstellungen einer herkömmlichen, etwas düsteren oder beengenden Dachwohnung gleich über Bord. Aufrechten Ganges bewegt man sich in der 90 Quadratmeter grossen Einheit und ist begeistert von der Helligkeit, die dank zusätzlichen Dachflächenfenstern im Giebeldach und der Wahl eines hellen Parketts erzielt wird. Das ursprüngliche Raumgefühl im offenen Dachraum mit sichtbarer Dachstruktur blieb erhalten, indem zwischen Küchenzeile und Schlafbereich lediglich ein kubisches Holzelement geschoben wurde. Es bildet einen Raumtrenner und bietet Stauraum für Lebensmittel, Besteck, Geschirr, Kleider und weitere Ware, die hier verstaut werden können.
Nicht nur der ausgebaute Dachboden und die Ausgestaltung der darunterliegenden Dreizimmerwohnung sind durchwegs gelungen. Auch die beiden Wohnungen im ersten und zweiten Stock wurden mit viel Geschick saniert. Die neuen Bäder und Küchen sind mit unglasiertem Steingutboden ausgestattet und harmonieren hervorragend mit der Materialisierung und den Farben der historischen Elemente. Von allen Seiten dringt auch in diesen Etagen dank grosszügiger Befensterung von allen Himmelsrichtungen Licht ins Haus. Doch hätte im Baudenkmal jemand eine Wohnfläche erwartet, die sich in zwei Geschossen über je 170 Quadratmeter erstreckt? Was für ein Luxus! Eine Unterteilung der Fläche zugunsten von mehreren kleinen Wohnungen wurde zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen. «Der Eingriff in die Substanz wäre zu massiv, der Aufwand zu gross gewesen», sagt Yvonne Urscheler.
Was Bauherrschaft, Architekt Voellmy, Denkmalpflege und Bauforschung gleichermassen faszinierten, war die durchwegs hohe Qualität des Innenausbaus mit sorgsam verlegten Böden, wunderschönem Wand- und Deckentäfer und unterschiedlich gemusterten Parkettböden. Jedes Zimmer kommt anders daher. Verschiedene Farbanstriche und Maltechniken oder lediglich mit Öl behandelte Holzoberflächen sorgen je nach Raum für eine andere Optik. Und trotzdem wirkt das Erscheinungsbild in seiner Gesamtheit harmonisch. Sorgfältig fabrizierte Türen mit Intarsien, stilvolle Fenster und Beschläge, adrette Einbauschränke und dekorative Kachelöfen runden das Bild eines Baus ab, in dem seit je eine vornehme Wohnkultur geherrscht haben muss. Ein Raum im zweiten Stock war sogar mit einer geschmackvollen Tapete ausgestattet und verfügte an der Decke über feine Stuckaturen.
Durch gezielte Bereinigungen und Rückbauten sind im Gang der untersten Wohnung und im Treppenhaus nun auch wieder die alten Riegelwände sichtbar. Die einzelnen Epochen und Modernisierungsschritte, die das Haus im Lauf der Jahrzehnte durchlebte, sind somit nach der Sanierung noch stärker sichtbar als vorher. Brüche zwischen Alt und Neu wurden gekonnt inszeniert. Auf Details im Innenausbau wie Lichtschalter, Armaturen, Radiatoren, Tür- und Fenstergriffe hat man bei der Umsetzung viel Wert gelegt. Formschöne Spiegelschränke stammen nicht von der Stange, sondern wurden vom Schreiner passgenau gefertigt. Kurz und gut: Die Qualität des Objekts zieht sich vom neu gedeckten Ziegeldach bis ins imposante Kellergeschoss.
Mit wie viel Engagement das gesamte Bauteam im Einsatz war, zeigt der Umgang mit den Tonplatten, die im Korridor der Wohnung im ersten Obergeschoss unverhofft zum Vorschein kamen und mutmasslich aus dem späten 18. Jahrhundert stammen. Weil man davon ausgehen musste, dass der unebene Tonziegelbodenbelag ursprünglich auch im Hochparterre vorhanden gewesen sein musste, entschied man sich, diesen identisch auszugestalten. Doch woher passende Tonplatten nehmen? In den Regalen eines Baumarktes finden sie sich mit Sicherheit nicht. Der Zufall wollte es aber, dass ein lokaler Handwerksbetrieb genau solche Platten auf Lager hatte, die kurz zuvor aus einem historischen Keller in Zug entfernt wurden. Bingo! Kurzerhand entschied man, die Platten aus Zug im Sternenweg in Baar zu verbauen. Es lebe die Kreislaufwirtschaft und das Recycling von historisch wertvollen, raren Baumaterialien!
Ein weiterer Mehrwert des Projekts stellt der Anbau eines zweistöckigen Balkonelements dar, das den Mietern im Hochparterre und ersten Stock eine grosszügige Aufenthaltsfläche im Freien bietet. Das neue Bauteil ist mit einem geschmackvollen, zurückhaltend geformten Geländer ausgestattet, das bei Sonnenschein kunstvolle Schatten auf den Boden zaubert. Hier möchte man am liebsten gleich den Liegestuhl aufklappen, die Aussicht auf Zugerberg und Rigi geniessen und den Blick über die weitläufige Gartenanlage schweifen lassen, die das stattliche Haus umgibt.
Johann Jakob Andermatt wäre mit Bestimmtheit stolz, wenn er wüsste, wie toll es um das durch ihn vor fast 260 Jahren erstellte Bauwerk steht. Yvonne Urscheler, ihre drei Geschwister und ihre Mutter teilten die Freude an der sanierten Liegenschaft mit der Zuger Bevölkerung bereits im Jahr 2023. Interessierte konnten das Haus im Rahmen der Europäischen Tage des Denkmals unter fachkundiger Führung besichtigen.