EIN ZWERG UNTER RIESEN – CHAMER KLEINSCHULHAUS AUS BACKSTEIN
Das Zuger Verwaltungsgericht hat unlängst ein Machtwort gesprochen und den Schutzstatus der Siedlung Alpenblick Cham bestätigt. Deren Qualität zeigt sich auch am dazugehörigen Kleinschulhaus, das unlängst gekonnt saniert worden ist.
Wer sich im Kleinschulhaus Alpenblick verabredet, muss genau schauen. Situiert in der gleichnamigen Wohnsiedlung und umgeben von zehn Hochhäusern und grossen Bäumen, ist es gar nicht so leicht zu finden. Der einstöckige Bau mit einer Grundfläche von lediglich 300 Quadratmetern ist punkto Materialisierung und Ausgestaltung so perfekt in die Umgebung eingebettet, dass man ihn erst wahrnimmt, wenn man direkt vor ihm steht. Kein Wunder: Das 1969 von Josef Stöckli erbaute Schulhaus – ursprünglich von Kindergärtnern und Erstklässlern genutzt – war von Anfang an Bestandteil der bauhistorisch bedeutenden Siedlung, die in mehreren Etappen bis 1971 in Seeufernähe realisiert wurde. Im Bebauungsplan von damals war festgehalten, dass die Grundeigentümer der Gemeinde für die Erstellung eines Kindergartens kostenlos ein Terrain von rund 1000 Quadratmetern abtreten. So mussten die Kinder fortan nicht den langen Weg zum Schulareal Städtli bestreiten.
Als «idealer Lernort» bezeichnet auch Daniel Meister das Kleinschulhaus. Er hat als Projektleiter Hochbau die 2022 erfolgte Gesamtsanierung seitens Gemeinde und Bauherrschaft begleitet und ist sehr zufrieden mit dem Resultat. Im Zentrum des Unterfangens standen die Sanierung und Dämmung des Flachdachs, Unterhaltsarbeiten am Sichtmauerwerk, die Auffrischung von Böden, Decken und Einbauten in den beiden Schulzimmern sowie im Eingangs- und Garderobenbereich, die Realisierung einer neuen Küche und die Erneuerung der Toiletten, inklusive Einbau einer hindernisfreien Toilette. Eine Aufwertung erhielt auch die Umgebung. Hier ersetzte man die in die Jahre gekommenen Waschbetonplatten, brachte man einen sickerfähigen Belag an und wurde eine befahrbare Rampe realisiert. Der neue Zugang zum Schulhaus wirkt deutlich einladender als vor der Sanierung.
Um das Gebäude auch energetisch zu optimieren, hat man die alte Ölheizung durch eine neue Luftwärmepumpe ersetzt, auf dem Dach eine Fotovoltaikanlage installiert und die über 50-jährigen bauzeitlichen Fenster durch dreifach verglaste Fenster mit Holzrahmen ersetzt. Hinzu kamen die Erneuerung aller Elektroinstallationen und der Ersatz der alten Lamellenstoren durch textile Vertikalmarkisen. Am «guten Altbewährten» hat man sich bei den Lichtschaltern orientiert. Hierbei handelt es sich um das Modell «Standard» der Firma Feller, ein formvollendeter Klassiker, der seinerzeit von Max Bill (1908−1994) entworfen wurde und in den sanierten Schulräumen immer noch eine Gattung macht. Eine Rückkehr zum Ursprung stellt auch die Farbgebung der Fenster dar, die in der Vergangenheit verschiedene Anstriche erfuhren. Eine Untersuchung des Zuger Restaurators Manuel Hebeisen hat nämlich ergeben, dass die Holzrahmen original hellgrün waren. Besser gesagt: «resedagrün», ein Farbton, der an das Grün der Resedapflanze erinnert und in der offiziellen RAL-Farbtabelle unter der Nummer 6011 aufgeführt ist. Auch er ein Klassiker! Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich diese Farbe zeitweise als Grundanstrich für Maschinen und sonstige technische Anlagen etablieren, weshalb sie in der Industrie über Jahrzehnte stark verbreitet war. Eine Alternativbezeichnung lautet auch Maschinengrün.
Man kann von Glück reden, wenn Bauherrschaften, Behörden und Handwerksbetriebe sich für solche Details und Qualitäten interessieren und realisieren, dass es sich bei Objekten wie dem Alpenblick-Schulhaus nicht einfach nur um ein Bauwerk, sondern um ein Kulturgut handelt. Nicht umsonst befindet sich der Alpenblick (sowohl Hochhäuser wie auch Schulhaus) im kantonalen Inventar der schützenswerten Denkmäler und wird derzeit deren Unterschutzstellung geprüft. «Die Siedlung folgt einer strengen Fassadengliederung, besticht durch eine reduzierte Materialwahl und Formensprache, ein kluges Wegsystem und eine gekonnte Stufung und Platzierung der Volumen, die spannende Zwischenräume und Sichtachsen generieren», so Saskia Roth, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Zuger Denkmalpflege. «Stöcklis Umsetzung war visionär und besticht bis heute», lobt sie. Der rotbraune Sichtbackstein und die Kupferverkleidungen ziehen sich als Charakteristika durch die ganze Siedlung. Ebenso die erwähnten Fensterpartien. Im Schulhaus laufen einige über Eck und sind fix verglast, andere lassen sich öffnen bzw. kippen und sorgen während des Unterrichts für Frischluftzufuhr. Beim Augenschein – an einem sonnigen Frühsommertag – dringt auch noch das Gezwitscher der Vögel ins Schulzimmer. Sie halten sich in den Kronen der stattlichen Bäume auf, die das flache Schulhaus umgeben und erzeugen einen idyllischen Soundtrack.
Jugendliche treffen wir beim Besuch allerdings keine an. Sie sind im Rahmen einer Projektarbeit ausnahmsweise extern beschäftigt. Nur zwei Lehrpersonen sitzen an ihren Schreibtischen und nutzen die Gunst der Stunde, um ungestört administrative Arbeiten zu erledigen. Von Christine Gander und Danielle Räber erfahren wir, dass im Kleinschulhaus sechs Schüler unterrichtet werden, die sich gerade im «Time-out» befinden, also für eine gewisse Zeitspanne die Regelschule verlassen mussten und hier spezifisch betreut und beschult werden, um ihre Schullaufbahn erfolgreich fortsetzen und nach der Oberstufe eine Anschlusslösung finden zu können. Die beiden Pädagoginnen lieben nicht nur ihren Beruf, sondern auch den Arbeitsort. «Ein wunderschönes Schulhaus», sind sie sich einig. «Es ist ein Privileg, hier unterrichten zu dürfen. Wir fühlen uns wohl.»
Für die Denkmalpflege gehört die Siedlung – auch «Manhattan von Cham» genannt – zu den wichtigsten Zeugen der Nachkriegsmoderne im Kanton Zug. Nicht nur, weil sie die erste Hochbausiedlung überhaupt war, sondern weil sie über viele Qualtäten verfügt, die manche Neubausiedlungen vermissen lassen. Die grossen Baumgruppen bilden zudem ein natürliches Gegengewicht zu den Hochhäusern, und diese wiederum profitieren von den angrenzenden Freiräumen aus Uferzone, Sumpfgebiet, Lorzenebene und See. Toll ist, dass bei der Sanierung des Schulhauses sämtliche für die 1960er-/1970er-Jahre typischen Ausstattungselemente und Oberflächenmaterialien erhalten bleiben konnten: Das Sichtbacksteinmauerwerk, die Türen inklusive Metallzargen, der Kunststeinboden, die Kunststeinlavabos, ja sogar die alten Sitzbänke in den Garderoben erstrahlen wieder in neuem Glanz. Neu ist der pflegeleichte marmorierte Linoleumboden. Auch hier hat man sich für einen hellen Grünton entschieden, der gut zum Erscheinungsbild passt.
Doch kommen wir nochmals auf das Thema Nachhaltigkeit zu sprechen. Da hat man gemäss Urs Distel von der Firma Norag AG, die den Lead bei Planung und Ausführung hatte, besonders viel erreicht. So konnte der Heizwärmebedarf durch die neuen Fenster und die neue Dachdämmung von rund 54’000 Kilowattstunden auf 40’000 Kilowattstunden pro Jahr reduziert werden. Die verbrauchte Primärenergie ist durch den Einbau einer Wärmepumpe ebenfalls markant gesunken, nämlich von 240 auf 75 Kilowatt pro Quadratmeter, was einer Reduktion um den Faktor drei entspricht. Umgerechnet in CO2-Äquivalenz konnte der Ausstoss von rund 20 Tonnen CO2 auf 1 Tonne reduziert werden. Fazit von Urs Distel: «Auch in einem denkmalgeschützten Gebäude kann man mit passenden Massnahmen den CO2-Verbrauch deutlich reduzieren.»
Ideal war, dass sich seine Firma ganz in der Nähe des Schulhauseses, nämlich im neunten Stock der Liegenschaft Alpenblick 3, befindet. So war Distel, wenn es etwas zu besprechen gab, in nur drei Minuten zu Fuss auf der Baustelle. «Die Sanierung gestaltete sich unkompliziert und angenehm. Das kleine Schulhaus ist mir im Laufe der Zeit richtig ans Herz gewachsen», bilanziert er zufrieden.