PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

5.1.2025

DIESE WIDERSTANDSTRUPPE BEKENNT FARBE

 

Ohne die Unterschriftensammlung von vier Nachbarn käme es nächsten Februar nicht zur Abstimmung über das umstrittene Hochhaus «Pi» in Zug. Die Mitglieder des Referendumskomitees wollen verhindern, dass ihr Zuhause abgerissen wird.

 

Eigentlich möchte das Quartett gar nicht im Mittelpunkt stehen. Aber es lässt sich derzeit kaum vermeiden. Die vier Nachbarn aus dem Wohnblock Baarerstrasse 104 bis 108 haben fast im Alleingang dafür gesorgt, dass die Zuger Bevölkerung in Bälde über ein äusserst wichtiges Projekt abstimmen kann: über den Bebauungsplan GIBZ, den das Parlament einstimmig genehmigt hat. Findet das Geschäft auch bei der Bevölkerung eine Mehrheit, wird der ältere Wohnblock im Guthirt Quartier, in dem rund 200 Menschen in günstigen Wohnungen leben, abgerissen. An dessen Stelle kann dann ein 80 Meter hohes Hochhaus realisiert werden: ein gigantisches Gebäude, welches 1,6 mal mehr Volumen hat, als der schwarze Parktower beim Bahnhof Zug. Projektname: «Pi».


Zuerst trat das Referendumskomitee – aus Angst vor negativen Reaktionen der Verwaltung oder gar Anfeindungen in der Öffentlichkeit – nur anonym in Erscheinung. Aber jetzt bekennen die engagierten Einwohner Farbe. «Wir haben nichts Verbotenes gemacht, nur unsere Rechte ausgeübt», so Esmeralda Ruiz, 57, gegenüber zentralplus. «Und wir sind nicht die einzigen, die gegen diese masslose Verdichtung im Quartier sind und das Wachstum in Zug kritisch sehen», ergänzt Verena Betschart 71. Auch ihr Nachbar Miro Zeljko, 65, ist empört: «Ein intaktes Wohnhaus abreissen? Das macht doch keinen Sinn! Wir verstehen es nicht und wehren uns.» Die Truppe klingt jetzt selbstbewusst. Sie kämpft für ihre Interessen, doch nicht nur!

 

Letztlich kommt ihr Engagement auch jenem Teil der Bevölkerung zugute, der das Projekt aus städtebaulichen Gründen ablehnt und als unverhältnismässig kritisiert. Die vier glauben auch nicht wirklich, im Pi dereinst eine der als «preiswert» gepriesenen Wohnungen zu ergattern.  Die Betroffenen haben bescheidene Löhne bzw. sind schon pensioniert und bessern sich ihre AHV mit stundenweisen Einsätzen auf. Man muss kein Immobilienexperte sein, um zu ahnen: Die neuen Wohnungen werden deutlich teurer sein, als die, die jetzt schon da sind.


Immerhin: Als die vier im September mit weiteren engagierten Nachbarn loszogen, und gegen den Beschluss des Gemeinderates Unterschriften sammelten, war das für die Involvierten eine positive Erfahrung. «Wir wurden an den Haustüren mit offenen Armen empfangen, die Solidarität war gross. Leute fragten, ob sie für den Abstimmungskampf spenden könnten und beglückwünschten uns für unseren Mut», erzählt Verena Betschart und lobt ihre jüngere Nachbarin in vollen Tönen: «Esmeralda gab Vollgas. Ohne ihren Einsatz hätte das niemals geklappt. Wie verrückt hat sie geweibelt». Diese ergänzt: «Wir sind politische Grünhörner und machen das zum ersten Mal. Trotzdem haben wir das Ziel erreicht». 771 Unterschriften kamen für das Referendum zustande  – nötig gewesen wären 500.


Dass der Block mit Baujahr 1960,  vermietet von der Pensionskasse der V-Zug AG, für ein riesiges Hochhaus weichen soll -  mit diesem Gedanken anfreunden können sie sich nicht. Kein Wunder. Das alte Gebäude ist ihr Zuhause. Hier fühlen sich hier geborgen, geniessen eine tolle Nachbarschaft. Man kennt sich mehr oder weniger gut, grüsst sich, hilft sich gegenseitig aus. Esmeralda Ruiz hat hier ihre ganze Kindheit verbracht und mehrere Schicksalsschläge hinter sich: «Die Wohnung gibt mir Halt.» Die 71-jährige Verena Betschart ist vor rund zwanzig Jahren in den Block gezogen und hier ebenfalls  fest verwurzelt – zusammen mit ihren beiden Katern Mirco und Campino: «Ein Wegzug wäre ein Katastrophe.»  Die beiden Herren wohnen mit ihren Frauen und den jüngeren Kindern, die noch nicht ausgezogen sind, hier: «Wir sind glücklich und dankbar.» Grundriss, Innenausbau, Standard, Nasszellen – bei nichts lassen die 2003 komplett frisch sanierten Wohnungen zu wünschen übrig. «Höchstens die Umgebung rund ums Haus könnte man wieder etwas auf Vordermann bringen», findet Verena. «Die Sprayereien wirken nicht sehr einladend.

 

Im Gespräch wird deutlich, dass sich die zwei Männer und zwei Frauen herzlich zugetan und durch die Unterschriftensammlung noch näher gekommen sind. Kampfgeist und Optimismus wechseln sich ab mit Tagen und Nächten voller Sorgen, wenn sie an ihre Wohnsituation in Zukunft denken. Eher deprimierend ist die Vorstellung, dass die Unterschriftensammlung am Ende vielleicht doch für die Katz war, weil die Interessen «einfacher» Mieter letztlich weniger ins Gewicht fallen, als jene von mächtigen, gutvernetzten Investoren. Aufgeben ist für die Widerstandstruppe aber keine Option. Als die Journalistin aufseht, sich für das Gespräch bedankt und zur Tür läuft, meint Verena mit fester Stimme: «Noch ist die Abstimmung nicht gelaufen.» Das klingt nach einer klaren Ansage.