«MIT FREUNDLICHKEIT ERREICHT MAN VIEL»
Alfred Müller hat als visionärer, risikobereiter und sozialer Bauunternehmer den Kanton Zug geprägt und eine einzigartige Karriere hingelegt. Der gebürtige Baarer stammt aus einfachsten Verhältnissen und weiss als gelernter Maurer, was eine Baustelle ist.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich den Gründer der Alfred Müller AG eines Tages persönlich treffen würde. Herzlichen Dank für die Zusage zum Interview.
Es ist mir schon oft passiert, dass die Leute es kaum wagten, mich anzusprechen. Dabei bin ich ganz unkompliziert, lasse auch gerne mal einen Spruch fallen.
Die Leute haben Respekt vor Ihnen.
Zu viel Respekt!
Alfred Müller ist – ähnlich wie Betty Bossi – eine bekannte Marke, aber gleichzeitig – und im Unterschied zum von Coop erfundenen Kochlabel – ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Ein Mensch, der gesundheitlich gerade etwas angeschlagen ist. Ich war in den letzten zwei Jahren fünfmal im Spital, hatte Probleme mit den Arterien. Der Arzt, der mich operierte, sagte mir, ich sei haarscharf einer Beinamputation entkommen. Ansonsten geht es mir gut. Ich hatte viel Glück im Leben, vor allem mit meinen Kindern und meiner Frau Annaliese. Wir sind seit 60 Jahren miteinander verheiratet.
Sie wurden am 8. März 1938 geboren. Am Tag, an dem Hitler in Österreich einmarschierte.
Vielleicht rührt daher mein Interesse für Geschichte. Ich bin passionierter Hobbyhistoriker. Schon in der zweiten Sekundarklasse erhielt ich den Übernamen «Geschichtsprofessor». Vor allem Militärgeschichte interessiert mich. Als ich bei der Armee für die Unteroffiziersschule eine Geschichtsprüfung ablegen musste, schnitt ich besser ab, als alle Hochschulstudenten. Noch immer besuche ich als Sponsor jährlich das Morgartenschiessen. Der ehemalige Regierungsrat Urs Hürlimann, seines Zeichens Brigadier, also ein Ein-Sterne-General und Präsident der Morgartenkommission, setzt mich oft zu den Generälen, obwohl ich «nur» Korporal war.
Kürzlich feierten Sie Ihren 86. Geburtstag – wie fühlt man sich in diesem stolzen Alter?
Die Hälfte meiner Jahrgänger liegt bereits auf dem Friedhof. Auch drei meiner vier Geschwister sind schon verstorben, so mein Halbbruder Emil und meine Zwillingsschwestern Brigitte und Doris. Es lebt nur noch meine jüngere Schwester Ruth, die direkt neben uns wohnt. Mit ihr verstand und verstehe ich mich besonders gut. Wir hatten kaum je Streit. Auch war sie meine erste Handlangerin und spätere Assistentin.
In der Firma?
Nein, beim gemeinsamen Holzen im Wald. Wir unterstützten als Jugendliche unsere Eltern im Nebenverdienst und entrindeten, entasteten und zersägten Baumstämme an den Zuger Berghängen. Pro geschindeten Kubikmeter Nutzholz gab es zwei Franken – ein Zustupf fürs Haushaltsgeld.
Sie sind in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, auf dem Bauernhof Bofeld in Deinikon bei Baar.
Meine Eltern waren aber nicht Bauern, wir wohnten nur zur Miete. Mein Vater arbeitete bei der Landis & Gyr. Da er früh seinen Vater verlor, wurde er mit acht Jahren als Verdingbub platziert. Er bekam nicht genug zu essen und musste viel arbeiten – von Liebe keine Spur. Als Sechstklässler schlief er in der Schule einmal mitten im Unterricht ein, so erschöpft war er. Dem Lehrer fiel nichts Besseres ein, als meinem Vater mit dem Haselstock eins über den Kopf zu hauen. Trotz dieser schwierigen Kindheit war er ein fürsorglicher Vater. Und obwohl meine Eltern wenig Geld hatten, waren wir eine intakte Familie. Ich verbrachte eine schöne Kindheit, war aber schon früh bestrebt, aus der Armut auszubrechen.
Im Gegensatz zu den heutigen Immobilienentwicklern und Generalunternehmern wissen Sie, wie es auf einer Baustelle zu- und hergeht. Sie sind gelernter Maurer. Das Bauen interessierte Sie schon als Kind?
Ja, als Kind spielte ich am liebsten draussen mit Schaufel und Pickel. In der Nähe unseres Hauses gab es eine Baustelle der Gebrüder Hodel. Die Poliere kippten etwas Beton in meine Schubkarre, damit ich den Boden meiner Gartenhütte betonieren konnte. Eine Lehre als Maurer war naheliegend. Ich lernte bei der Firma Leo Hürlimann in Zug. Im ersten Lehrjahr fiel ich nach Feierabend jeweils todmüde ins Bett. Doch im Laufe der Zeit wurde ich körperlich robuster, ebenso übernahm ich schnell verantwortungsvolle Positionen. Mit 22 Jahren waren mir als angestelltem Bauführer einer Zürcher Baufirma bereits 50 Leute unterstellt.
Vom Maurerlehrling zum Vorarbeiter, vom Polier zum Bauführer, und vom Jungunternehmer zum Inhaber einer hochprofitablen Firma. In Amerika würde man von einer «Tellerwäscher-Karriere» sprechen.
Ja, ich bin von ganz unten aufgestiegen. Ich arbeitete viel, lebte für die Firma und ging viele, auch grosse Risiken ein.
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Bauwerk?
Selbstverständlich! Das erste eigene Bauwerk realisierte ich 1962 mit 24 Jahren. Es handelte sich um ein Dreifamilienhaus an der Schutzengelstrasse in Baar, in dem auch meine Eltern eine Wohnung fanden. Ein Jahr später plante und baute ich unser künftiges Eigenheim in Blickensdorf bei Baar. Im Erdgeschoss richtete ich mir mein kleines Planungsbüro ein. Noch heute wohne ich mit meiner Frau in dieser mittlerweile alten «Hütte». Wir fühlen uns wohl.
Im Jahre 1965 gründeten Sie die Einzelunternehmung Alfred Müller-Stocker. War immer klar, dass Sie sich selbstständig machen wollten?
Für mich schon, aber meine Frau war anfänglich dagegen. Als ich im Freundeskreis erzählte, dass ich eine eigene Firma gründen werde, hiess es: «Und wovon soll deine Familie leben?» Dabei legte ich als Jungunternehmer – ich startete mit liquiden Mitteln von 200’000 Franken – einen Blitzstart hin. Ich kam unheimlich schnell zu grossen Projekten, erweiterte laufend mein Kontaktnetz und genoss bald einen guten Ruf.
Im zehnten Geschäftsjahr konnten Sie bereits die Übergabe der 1000. Wohnung feiern.
Möglich war dies, weil mir Landwirte aus dem ganzen Kanton grosse Landstücke zum Verkauf anboten – zu Konditionen, von denen man heute nur noch träumen kann. Das ergab sich, weil ich zu den Bauern einen guten Draht hatte. Als ich an Auffahrt jeweils über den Katzenstrick
nach Einsiedeln pilgerte, scherzten meine Mitarbeiter: «So so, der Chef geht wieder auf Landhandel.» Sie hatten nicht unrecht. Tatsächlich betete ich unterwegs nicht nur fromm den Rosenkranz, sondern dachte immer auch ans Geschäft. Meine Strategie: Zwei Häuser bauen, eines verkaufen und den Ertrag reinvestieren.
Das klingt sehr einfach.
Ich agierte nach zwei Grundsätzen: Sämtliche Objekte wurden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten abgeschrieben und ein Grossteil des Ertrags wurde zur Bildung von Reserven verwendet. Auch in rezessiven Phasen hielt ich das Bauvolumen aufrecht, so dass wir mit Angeboten auf dem Markt waren, als sich dieser erholte. Ideal war für mich, wenn ich bei einem Projekt vorab ein Kaufrecht abschliessen konnte.
Was bedeutete dies konkret?
Dies gab mir die Möglichkeit, mit Bauen zu starten, bevor mir das Land gehörte. Das Grundstück erwarb ich zu einem festgelegten Preis erst zu einem späteren Zeitpunkt, Parzelle für Parzelle. So machte ich es auch, als ich Anfang der 1970er Jahre in Hünenberg auf dem Land der Korporation meine erste grosse Wohnsiedlung, die Überbauung «Moos», realisierte. Ich war zu dieser Zeit der einzige Entwickler in der Region, der sich an so flächenintensive Projekte wagte, darum kam die Korporation auf mich zu.
Legendär ist auch Ihre Siedlung Tatzelwurm in Steinhausen. Sie geniesst in Architektenkreisen als gelungenes Beispiel der Nachkriegsmoderne hohes Ansehen.
Steinhausen war ein Mekka! Ich erhielt aus dieser Gegend so viele Angebote, dass der damalige Gemeindepräsident schon mal scherzhaft vorschlug, Steinhausen in Müllerhausen umzutaufen. Auch das Gemeindezentrum in Steinhausen und die Überbauung Goldermatten wurden von uns realisiert. Die Siedlung Tatzelwurm erhielt ihren Namen, weil die einzelnen aneinandergereihten Gebäudeteile mehrfach abgewinkelt sowie in auf- und absteigender Höhe konzipiert waren. Mit 70 Miet- und Eigentumswohnungen war die 140 Meter lange Siedlung die längste, die wir bauten. Und sie ist es bis heute geblieben.
Auch in Ihrer Wohngemeinde haben Sie markante Spuren hinterlassen.
Ja, Ende der 1960er-Jahre baute ich elf Einfamilienhäuser in Allenwinden, in den 1980er-Jahren realisierte ich die Überbauung Neuhof, wo sich seit 1989 der Hauptsitz der Alfred Müller AG befindet, dann folgten die Sanierung und Erweiterung der Kompostier- und Vergäranlage Allmig Baar, das Geschäftshaus Jöchler, die Parksiedlung Pfistern, das Zentrum Rathausplatz, die Wohnhäuser Schürmatt sowie die Überbauung Rote Trotte.
Was ist mit Lego? Für den Weltkonzern realisierten Sie in der Industriezone Baar in den 1980-er Jahren mehrere grosse Gewerbebauten.
Lego war ein Meilenstein! Für Lego baute ich während meiner Karriere im Umfang von insgesamt rund 220 Millionen Franken. Die Firma hatte schon damals weltweit 9000 Mitarbeiter und ich konnte direkt mit dem Besitzer Godtfred Christiansen verhandeln. Für Sitzungen durfte ich auch mal mit dem Lego-Jet nach Dänemark fliegen. Christiansen sprach perfekt Deutsch und war fast 20 Jahre älter als ich. Trotzdem diskutierten wir stets auf Augenhöhe, waren uns sympathisch.
Das hatte wohl auch damit zu tun, dass wir beide vom Handwerk kamen. Christiansen war gelernter Schreiner. Nach den Gewerbebauten in Baar konnten wir auch in Willisau für Lego bauen: ein 50’000 Quadratmeter grosses Produktions- und Lagergebäude. Als sich abzeichnete, dass wir dort schneller bauten, als es der Finanzplan vorsah, fragte ich Christiansen, ob er nicht vorzeitig 10 Millionen überweisen könne. Nach wenigen Tag war das Geld auf unserem Konto.
Vieles, was früher in der Geschäftswelt schnell, pragmatisch und unkompliziert über die Bühne ging, wäre heute undenkbar.
Millionengeschäfte mit Bauern wurden per Handschlag besiegelt. «Wort halten» galt bei den Landwirten als oberstes Gebot, und auch ich agierte wie ein Ehrenmann. Die ganze Bauerei war viel einfacher als heute. Gab es Bedenken oder Vorbehalte, setzte man sich mit Behörden oder Kritikern zusammen und fand eine Lösung. Heute verzögern und verteuern Beschwerden und Einsprachen den Bauprozess um Jahrzehnte. Für einen Privaten ist das fast nicht zu stemmen. Es braucht einen unglaublich langen Schnauf.
Obwohl Sie Ihrer Frau versprachen, ein Einmannbetrieb zu bleiben, nahm der Personalbestand Ihrer Firma laufend zu. Im Jahre 2000 hatten Sie schon 120 Mitarbeiter. In den 1980er Jahren eröffneten Sie Filialen in der Westschweiz und im Tessin. Was gab den Ausschlag für die Expansion?
Es wurde immer schwieriger, in der Deutschschweiz bezahlbares Land zu finden. Und wenn es kein bezahlbares Land gibt, kann man keine günstigen Wohnungen bauen. Die Ausdehnung Richtung Süd- und Westschweiz war ein richtiger Entscheid. Nur ein Problem gab es: Ich konnte keine Fremdsprachen. Zu Verhandlungen ins Tessin und in die Westschweiz musste ich darum immer die Filialleiter mitnehmen, die deutsch, französisch und italienisch beherrschten. Besonders gut erinnere ich mich an die Zusammenarbeit mit dem damaligen Neuenburger SP-Regierungsrat Francis Matthey …
… der 1993 berühmt wurde, weil er anstelle der nominierten Christiane Brunner zum Bundesrat gewählt wurde, die Wahl jedoch ablehnte, und schliesslich Ruth Dreifuss den Vortritt in der Landesregierung liess.
Genau, so war es! In seiner Funktion als Volkswirtschaftsdirektor wollte er Mitte der 1980er-Jahre in seinem Kanton neue Firmen ansiedeln. Als er vor Ort keine investitionsbereiten Immobilienfirmen fand, kam er auf mich zu und fragte, ob ich Land erwerben wollte. Ich packte die Chance und konnte in der Gegend Neuchâtel / La Chaux-de-Fonds zahlreiche Gewerbe- und Büroräume realisieren.
Wenn man Ihnen zuhört, klingt es, als ginge es immer nur aufwärts. Erlebten Sie keine Niederlagen oder schwierige Zeiten?
Selbstverständlich! Die Erdölkrise in den 1970er-Jahren bereitete mir manche schlaflose Nacht. Die Hypothekarzinsen kletterten auf 11 Prozent und die Angst der Menschen um den Arbeitsplatz beeinflusste den Immobilienmarkt negativ. In den 1990er-Jahren wirkte sich die Wirtschaftskrise in der Schweiz auch auf den Immobilienmarkt aus. Aus einem Verkäufer- wurde ein Käufermarkt. Die Banken führten Ratings bei ihren Kreditvergaben ein. Eine weitere gigantische Herausforderung waren die überrissenen Grundstückgewinn-Steuerforderungen, mit denen ich im Rahmen von diversen Rechtsfällen konfrontiert war. Ich war kurz davor, meinen Glauben an den Rechtsstaat zu verlieren, prozessierte bis vor Bundesgericht, bekam aber schliesslich recht. Wäre ich unterlegen, hätte dies vielleicht sogar das Ende der Alfred Müller AG bedeutet.
Ihre Immobilien waren stets begehrt. Wie erlebten Sie als Firmenbesitzer die Vergabe von Eigentumswohnungen in der Region Zug?
Die Nachfrage wurde zunehmend grösser. Ich spreche darum nicht von Wohnungsverkauf, sondern von Wohnungszuteilung. Als Bauherrin und Eigentümerin war es an uns zu entscheiden, wer eine Wohnung erhält und wer nicht. Das war nicht immer einfach und unsere Verwaltung musste auch viele Menschen enttäuschen. Sie haben mich vorher nach Herausforderungen in meinem Geschäftsleben gefragt, da kommt mir nun noch etwas anderes in den Sinn. Schwierig war es ab und zu auch für meine Frau. Zwar hatte sie dank meinem geschäftlichen Erfolg nie finanzielle Schwierigkeiten – was sie zu schätzen wusste – aber ich war als Familienvater nicht sehr oft präsent. Ich verreiste auch nicht gerne in die Ferien.
Wie bitte?
Ich konnte nicht abschalten und befürchtete immer, dass in der Firma etwas krumm laufen könnte. Wenn ich in den WK musste, bat ich jeweils um zwei, drei Tage Urlaub, um im Geschäft zum Rechten zu schauen. Trotzdem versuchte auch ich, Geschäfts- und Familienleben so gut wie
möglich unter einen Hut zu bringen. Wenn ich an einem Samstag auf eine Baukontrolle musste, nahm ich meine Söhne Michael und Christoph mit. Im Gegenzug begleitete ich meine Frau am Sonntag zum Gottesdienst in die Kirche. In diesen ruhigen Minuten kamen mir oft die besten Ideen fürs Geschäft! Wirklich längere Ferien machte ich mit meiner Frau erst, als ich schon im Pensionsalter war und geschäftlich kürzertrat.
Haben Sie eigentlich je einen Führungskurs besucht?
Nie. Ich war einfach immer freundlich.
Nur freundlich oder auch fordernd?
Beides. Aber mit Freundlichkeit kommt man sehr weit. Leider wissen das viele Leute nicht. Meine Mitarbeiter haben tagein tagaus Probleme gelöst, von denen ich oftmals gar keine Ahnung hatte. Ich schenkte ihnen viel Vertrauen und wurde praktisch nie enttäuscht. Seitens der Mitarbeiter spürte ich eine grosse Leistungsbereitschaft, Treue und Loyalität. Dank der seriösen Geschäftsführung musste die Firma auch nie aus wirtschaftlichen Gründen Angestellte entlassen.
An der Spitze der Alfred Müller AG steht mit Geschäftsführerin Simone Findeis seit 2022 eine Frau. Wie finden Sie das als ehemaliger Patron?
Gut! Ich bin in einem Matriarchat aufgewachsen. Ich mag starke Frauen. Auch meine Mutter war stark, musste stark sein. Sie wurde als 18-jährige ledige Frau ungewollt schwanger und gebar 1929 meinen Halbbruder Emil; keine einfachen Umstände in der damaligen Zeit. Zum Glück lernte sie schon bald meinen Vater Alfred kennen. Zu Hause oblag ihr die Führung, sie schwang das Zepter, was gut war, sonst wären wir «verlumpet». Mein Vater war aufgrund seiner Vergangenheit als Verdingbub nicht sehr belastbar und litt an Minderwertigkeitskomplexen. Vor allem, was die prekäre finanzielle Situation anging, wandte sich meine Mutter mit ihren Sorgen schon früh an mich. Sie wollte den Vater schonen. Mich aber interessierten die Finanzen, ich rechnete gerne. Und ich lernte schon früh: Geld, das man ausgibt, muss man zuerst verdienen.
Oder man ist kreditwürdig und geht zur Bank.
(lacht laut) Da haben Sie recht! Jost Grob, der damalige Direktor der Zuger Kantonalbank, war «der Bankier meines Lebens». Wir waren beide speditiv, wenn Geschäfte abgeschlossen wurden. Ich erinnere mich an eine Sitzung, da schlug ich ihm zwölf Geschäfte vor. Wir gingen eins ums andere durch und er hakte eines nach dem anderen ab. Ich bin Jost Grob sel. zu grossem Dank verpflichtet. Er hat massgeblich zu meinem Erfolg beigetragen.
Umgekehrt profitierten auch viele Firmen von Ihrem Erfolg: Baumeister wie Landis, Hodel, Ineichen, das Malergeschäft Matter oder die Sanitärfirma Niedermann kamen dank Ihnen zu lukrativen Aufträgen. Spürten Sie Dankbarkeit?
Auf jeden Fall! Die Geschäftsbeziehungen bewährten sich über die Jahrzehnte und dauern teilweise bis heute an. Mir war immer klar: ich muss gegenüber diesen Firmen loyal sein. Ich konnte sie nicht mit Millionenaufträgen eindecken und dann plötzlich hängen lassen, nur weil sie mal einen Fünfliber teurer waren als ein Konkurrent. Manche Firmen lebten sozusagen von unseren Aufträgen. Da bestand ein gewisses Klumpenrisiko, was ich aber nie ausnutzte.
Die Alfred Müller AG war und ist bekannt für ihre hohe Zahlungsmoral.
Das war mir immer wichtig. Ich wusste, dass es die Handwerksbetriebe vor grosse Schwierigkeiten stellen würde, wenn ihre Rechnungen nicht prompt beglichen werden. Denn die kleinen Firmen müssen ihrerseits auch pünktlich Löhne und Material bezahlen. Ich sah nie ein, warum man Rechnungen hinausschieben soll. Bezahlt werden müssen sie sowieso.
Und es gab noch den einen oder anderen Rabatt?
Natürlich kamen mir die Leute entgegen. Ich muss aber betonen: Zu sehr gedrückt habe ich meine Lieferanten nie, blieb immer fair. Handkehrum waren auch die Handwerksbetriebe loyal. Hatten sie viel Arbeit und ich kam mit einem Auftrag, wurde ich bevorzugt behandelt. Es war ein Geben und Nehmen. Bei mir mussten die Handwerker auch nie einen Garantieschein der Bank beilegen, der meist so rund 5 % der Gesamtsumme ausmacht. Ich wusste, dass meine Lieferanten im Falle eines Schadens auf die Baustelle kommen und Verantwortung übernehmen. Eine weitere «Spezialität» von mir war, dass die Mieter kein Mietzinsdepot bezahlen mussten. Wenn aber jemand die Miete nicht bezahlte, wurde die Verwaltung schnell aktiv. Beide Augen zudrücken – das geht nicht. Noch heute verzichtet die Alfred Müller AG meines Wissens auf ein Mietzinsdepot.
Als Sie die Firma 2011 an Ihre Söhne übergaben und sich operativ zurückzogen, waren Sie bereits 73 Jahre alt. So erlebten Sie auch die Einführung der EDV und die Digitalisierung in der Baubranche. Wie kamen Sie damit zurecht?
Jahrzehnte leistete mir meine Schreibmaschine «Hermes 3000» zuverlässige Dienste. Den Computer im Büro benutzte ich später eigentlich nur noch, um den Börsenkurs zu verfolgen. Ansonsten stand in meinem Büro lediglich dieser kleine Taschenrechner der Marke Canon. Mit ihm und vielen tollen Angestellten baute ich die Alfred Müller AG zu einer der finanzstärksten Firmen der Schweizer Baubranche aus.
Darüber staunen Sie mitunter selber?
Sagen wir es so: Es braucht verdammt viel, bis man es in der Baubranche so weit bringt. Genauso wichtig ist mir aber, dass ich bewiesen habe, dass auch eine menschlich absolut korrekt und vertrauensvoll geführte Unternehmung profitabel sein kann. Dank einer sehr guten Eigenkapitalquote steht das Unternehmen – im Gegensatz zu mir – auf zwei gesunden Beinen.
Sie sind trotz riesigem Geschäftserfolg, wie viele Ihrer Weggefährten berichten, bescheiden geblieben. Wie schafft man das?
Indem man ein normales Leben führt. Gewiss: Ich habe ein schönes Haus und hatte immer ein rechtes Auto, zuerst einen Mercedes, dann einen Audi. Aber mein Geltungsdrang hält sich in Grenzen. Viel wichtiger ist mir, grosszügig zu sein und dafür zu sorgen, dass auch andere an meinem Erfolg teilhaben können. Deshalb investiert die Firma schon lange einen Teil ihres Gewinns in ausgewählte Projekte, die nachhaltige, soziale und gesellschaftlich relevante Ziele verfolgen. Eine Herzenssache ist die von mir ins Leben gerufene Stiftung St. Martin, welche seit 1992 Entwicklungshilfe in Kamerun leistet. Deren Schwerpunkt liegt beim Trinkwasserprojekt «Wasser ist Leben». Bis heute wurden in Kamerun über 1800 Dorfbrunnen gebaut und können 500’000 Leute mit sauberem Trinkwasser versorgt werden. Das Projekt geht auf die Initiative des Engelberger Benediktinerpaters Urs Egli zurück, einem Freund von mir, der in Kamerun in der Mission war.
Diese karitative Ader und der Bezug zur Kirche sind charakteristisch für Ihre Biografie. Stimmt es, dass Sie als Kind Bischof werden wollten?
Ja. Als Sechsjähriger hatte ich in der Kirche Walterswil eine Begegnung mit dem Bischof. Das beeindruckte mich enorm. Und zu drei Schweizer Bischöfen pflegte ich regelmässig Kontakt. Ein Freund von mir war sogar einer der höchsten Würdenträger der katholischen Kirche: Abtprimas Notker Wolf, Chef über 24’000 Benediktiner und 800 Klöster weltweit.
Sie sind gläubiger Katholik?
Es geht so. Und denken Sie ja nicht, dass ich immer brav CVP bzw. die Mitte wähle. Ich stimme ab, wie es mir passt.
Mal mehr links, mal mehr rechts?
Mehr rechts!
Ihr Lebenswerk entwickelt sich weiter. Die Alfred Müller AG hat mittlerweile 220 Mitarbeitende. Nehmen Sie aktiv am Geschehen teil?
Es interessiert mich schon, was läuft. Deshalb gehe ich alle drei Monate an die Verwaltungsratssitzungen. Ich habe zwar kein Stimmrecht, aber keine Hemmungen, das Wort zu ergreifen. Im Unternehmen ist die Verantwortung auf meine beiden Söhne aufgeteilt: Christoph ist als Verwaltungsratspräsident und Bauherr zuständig für die Neubauten, Michael für das bestehende Immobilienportfolio sowie die Gartenbauabteilung und die grosse Kompostieranlage in der Almig. Weiter ist er auch Präsident der Unternehmensstiftung, die die Mehrheit der Aktien hält. Die Stiftung ist für meine drei Kinder Marianne, Christoph, Michael und mich eine gute Lösung und garantiert den Fortbestand des Unternehmens. Marianne ist nicht im Unternehmen tätig. Sie hat sich schon früh im Reitsport engagiert und war eine ambitionierte Reiterin. Ich habe sie oft als «Pferdeknecht» begleitet, was mir viel Freude bereitete und einen Einblick in eine andere Welt ermöglichte.
Erst neulich verbuchte die Alfred Müller AG wieder einen grossen Erfolg. Sie konnte im Bieterverfahren ein 30’000 Quadratmeter grosses Bauareal in Sursee erwerben, auf dem rund 280 Wohnungen realisiert werden.
Ein Landerwerb in dieser Grössenordnung ist auch für uns etwas Besonderes. Ich bin sehr zufrieden, wie es läuft.
Wie lauten Ihre Pläne und Wünsche für die Zukunft?
Ich würde gerne einmal an die Elfenbeinküste verreisen. Die Firma Dähler & Co. AG, an der ich beteiligt bin, betreibt dort eine grosse Plantage mit 120’000 Kautschukbäumen. 300 Hektaren sind bereits angepflanzt, nochmals 100 Hektaren sollen dazu kommen. Doch diese Reise bleibt wohl ein Wunsch. Denn ich bräuchte einen Stock oder, noch besser, Rollstuhl. Ich bleibe wohl besser zu Hause und geniesse das Leben in Baar, treffe Freunde zum Mittagessen, halte Kontakt zu pensionierten Mitarbeitern und zu langjährigen Wanderfreunden und geniesse meine sieben Enkel, die mir viel Freude bereiten.
Die Alfred Müller AG zählt zu den führenden Immobilienunternehmen der Schweiz. Der in zweiter Generation geführte Familienbetrieb verfügt über ein ertragsstarkes Immobilienportfolio im Wert von rund 1.9 Milliarden Schweizer Franken. Er erzielt einen Jahresumsatz von rund 300 Millionen Franken und beschäftigt über 200 Mitarbeitende am Hauptsitz in Baar und in den Filialen in Fribourg und Camorino.