INDUSTRIEGESCHICHTE SPAZIEREND ERFAHREN
Im Jahre 1994 brachte ein engagiertes Trio einen Stein ins Rollen, der eine bemerkenswerte Vereinsgeschichte in Gang setzte.
Es gibt Vereine, die geniessen zwar einen hohen Bekanntheitsgrad, aber die Ursprünge ihrer Gründung sind der Öffentlichkeit entweder nicht bekannt oder im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten. Beim Verein Industriepfad Lorze (IPL), der dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, ist der Blick zurück besonders spannend. Dieser zeigt, dass wenige engagierte Köpfe mit einer Idee 1994 einen Stein ins Rollen brachten, der eine bemerkenswerte Vereinsgeschichte in Gang setzte.
Geburtshelfer des IPL waren der Chamer Verleger Walter Wyss und der Zuger Historiker Michael van Orsouw zusammen mit dem ehemaligen Denkmalpfleger des Kantons Zug, Heinz Horat. Wyss hatte Mitte der 1990-er Jahre die Aufgabe, Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose zu entwickeln, van Orsouw war seit je an publikumsgerechter Wissensvermittlung interessiert. Mit der Realisierung eines Industrielehrpfades wollte das Duo beide Ansinnen unter einen Hut bringen und zwar so, dass die breite Bevölkerung davon profitiert. Um das Vorhaben umsetzen und langfristig sichern zu können, brauchte man einen Trägerverein. Wohlwissend, dass im Kanton Zürich mit dem Industriepfad Zürcher Oberland im Neuthal Mitte der 1980-er Jahre bereits etwas Ähnliches aufgegleist wurde, mietete van Orsouw eines Tages kurzerhand einen Reisecar, mobilisierte 30 interessierte Personen aus der Region Zug und führte die Gruppe ins Neuthal, wo Hans-Peter Bärtschi, damals einer der führenden Industriehistoriker der Schweiz, die Zuger Gäste durch den dortigen Industriepfad führte. Die Erkundung stiess auf grosses Interesse und die Eingeladenen erklärten sich nach dem Ausflug spontan bereit, für die Umsetzung eines vergleichbaren Projekts im Kanton Zug entweder im Vorstand oder im Patronatskomitee des Vereins mitzuwirken.
Am 9. September 1994 fand im Gotischen Saal des Zuger Rathauses die Gründungsversammlung des IPL statt. Für das Präsidium konnte Hans Opprecht (1927-2019), langjähriger Direktor der Landis & Gyr sowie Vizepräsident des Zuger Industrieverbandes (ZIV), gewonnen werden – ein Glücksfall! Dank besten Kontakten in die Wirtschaft und persönlicher Überzeugungskraft schaffte es Opprecht, mit der Néstle AG in Cham und der Spielwarenfabrikantin Lego in Baar zwei Hauptsponsoren und diverse weitere Gönner für den IPL zu finden, so dass der Realisierung des Projekts nichts mehr im Wege stand. Van Orsouw und weitere Historiker recherchierten und lieferten die Texte für die Infotafeln. Langzeitarbeitslose vom Verein für Arbeitsmarktmassnahmen (VAM) kümmerten sich um die Instandstellung des Wanderweges, installierten Sockel und montierten darauf die Tafeln. Am 17. Juni 1995 konnte der IPL mit 61 Tafeln und einer Wegstrecke von 30 Kilometern im Beisein von Volkswirtschaftsdirektor Robert Bisig und dem damaligen Generalsekretär Gianni Bomio feierlich eröffnet werden. Seither hat der Pfad tausenden von begeisterten Spaziergängern einen lehrreichen Ausflug beschert und so das Interesse und Verständnis für die lokale Industriekultur geweckt.
Zahlreiche Publikationen, regelmässige Vorträge und Frührungen – pro Jahr sind es zwischen 20 und 30 – sorgen dafür, dass die Industriegeschichte im Kanton Zug lebendig bleibt und die Lorze als einst wichtigster Energiespender in den Köpfen der Bevölkerung präsent ist. Heute illustrieren 70 Tafeln die Industriegeschichte des Kantons Zug. Dank einer Initiative des Stadtzuger Bildungsdepartements und der technischen Vereinigung Zug (TVZ) im Jahr 2008 gibt es weitere 10 Tafeln zum Industriepfad Stadt Zug. Weiter hat der IPL ein Schaulager mit Industrieobjekten im Depot für Technikgeschichte in Neuheim eingerichtet. Jüngstes Erzeugnis ist die App «Industriekultur Zug», eine Anwendung, mit welcher sich eine spielerische, digitale Zeitreise zur Thematik unternehmen lässt. Mit dem digitalen Forschungs- und Vermittlungsprojekt «Zug in der Welt» hat der IPL zudem eine umfangreiche Plattform kreiert, mit welcher die Entwicklung der Zuger Industrie-, Wirtschafts- und Sozialdynamik detailliert analysiert und der Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge geschärft wird.
An der Jubiläums-GV vom 8. Juni 2024, die in den Räumlichkeiten des Auto Centers in Steinhausen stattfand, nahmen rund 60 Personen teil. Nebst einem Kurzreferat «Mercedes – Geschichte und Beitrag zur modernen Mobilität» wurde eine filmische Spurensuche über den Automobilpionier Carl Benz gezeigt. Weiter konnte das Publikum vor Ort historische Mercedes-Fahrzeuge und neuste Objekte aus dem IPL-Schaulager bestaunen. Bestätigt im Vorstand wurden Ueli Straub, Jakob Widmer, Willi Götz, Christian Raschle, Martin Schär und René Windlin. Verabschiedet und verdankt wurden Johannes Milde und Hajo Leutenegger. Neu in den Vorstand gewählt wurden Claudia Wirz und Andreas Umbach. Ueli Straub, der seit 2010 als Präsident des Vereins wirkt, betonte an der GV, dass es auch künftig gelte, die Wirtschaftsgeschichte des Kantons Zug auf vielfältige Weise an verschiedene Generationen zu vermitteln. Unterstützung und Rückhalt für dieses Ansinnen bieten die rund 280 Vereinsmitglieder.