HERZBLUT FüR DIE TRINKHALLE
Das Institut Montana liess die ehemalige Trink- und Wandelhalle auf dem Zugerberg komplett rück- und wiederaufbauen und realisierte darin ein «Welcome Center» für die Schule. Im Zentrum des abenteuerlichen Unterfangens: das Handwerk der Zimmermänner.
Dass Zimmerleute über einen ausgeprägten Berufsstolz verfügen, ist bekannt. Schliesslich handelt es sich um einen der ältesten und traditionsreichsten Berufe überhaupt, und die Anforderungen an diese Fachleute sind hoch. Ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen, technisches Verständnis und handwerkliches Geschick gehören genauso dazu wie umfangreiches Fachwissen über den Werkstoff Holz und eine gute körperliche Konstitution. Gefragt ist zudem Kreativität. Dies gilt vor allem dann, wenn historische Bauten saniert, Konstruktionen ertüchtigt und einzelne Balken ersetzt oder originalgetreu nachgebaut werden sollen.
Wie im Falle der Trink- und Wandelhalle. Der 1870 auf dem Areal der ehemaligen Kuranstalt Schönfels realisierte Holzpavillon wurde zwischen 2021 und 2022 einer geradezu abenteuerlichen Sanierung unterzogen. Aber ist Sanierung überhaupt das richtige Wort? Das historische Gebäude – heute im Besitz des Instituts Montana – wurde rückgebaut, in zig Einzelteile zerlegt, abtransportiert, repariert und an Ort und Stelle wieder aufgerichtet. Nötig war dies, weil sich die 40 Meter lange und 7 Meter breite Konstruktion aus Fichten- und Tannenholz in einem kritischen baulichen Zustand befand, schlecht isoliert war und sich nicht mehr sinnvoll nutzen liess. «Uns war schon länger klar, dass wir etwas unternehmen mussten, auch aus Gründen der Sicherheit», erinnert sich Alex Biner, VR-Präsident der Institut Montana Zugerberg AG, die als Bauherrin fungierte. «Vor allem, wenn viel Schnee auf dem ohnehin undichten Dach lag, wurde es mit der Tragfähigkeit kritisch.» Für Biner, der in den 1970er Jahren selber Zögling im Montana war, stellt die Trinkhalle ein Juwel auf dem weitläufigen Campus dar. «Sie steht für Tradition – genau wie die 1926 von Max Husmann gegründete Schule.»
Verantwortlich für das komplexe Unterfangen war die Zimmerei Xaver Keiser AG. Inhaber und Geschäftsführer Urban Keiser scheute keinen Aufwand, aus dem altehrwürdigen Pavillon ein qualitativ hochstehendes und ästhetisch attraktives Bauwerk zu realisieren und es in Zusammenarbeit mit dem Zuger Architekten Tom Baggenstos für eine neue Nutzung instand zu stellen. «Der Zahn der Zeit hatte jedoch viel stärker am Gebäude genagt, als vom Boden aus sichtbar war», erinnert sich Keiser. Nachdem sämtliche Schichten der Verschalungen abgebrochen waren, wurde die Konstruktion sorgfältig zerlegt, beschriftet, katalogisiert und vom Zugerberg in die Werkstatt nach Zug transportiert. Stück für Stück wurden die insgesamt 750 Holzteile begutachtet und – je nach Zustand – instand gesetzt oder ausgeschieden.
Bereits in der Werkstatt wurden die Binder und Seitenrisalite wieder zusammengesetzt und anschliessend mit Sondertransporten eines Nachts wieder auf den Zugerberg gebracht. Dort wurde zwischenzeitlich das neue Untergeschoss mit der vorfabrizierten Kellerdecke und den betonierten Sockelmauern realisiert. Dank optimaler Vorarbeit, so Keiser, sei das Aufrichten der Träger und Balken «ein Kinderspiel» gewesen und in Rekordzeit über die Bühne gegangen. Um die Grundwasserwanne trocken zu halten und das Holzwerk, das in der Werkstatt bereits zweimal mit Leinölfarbe vorgestrichen war, zu schützen, spannte man über dem Bauplatz während Monaten ein sogenanntes Notdach, das bei Bedarf geöffnet werden konnte. Entfernt wurde es erst, als das mit neuen Ziegeln eingedeckte Dach dicht war. Anschliessend ging es an das Anschlagen der Wandschalungen und Täfelungen.
Die Bauarbeiten am relativ kleinen Pavillon zogen sich aufgrund der Komplexität über fast zwei Jahre hinweg. Bisweilen waren acht Zimmerleute gleichzeitig im Einsatz. Etwas überraschend für das Team fiel die Bilanz bezüglich Wiederverwertbarkeit aus: Nur gerade 40 Prozent der alten Holzsubstanz konnten wiederverwendet werden. 60 Prozent des Holzmaterials waren morsch, mussten ersetzt und originalgetreu rekonstruiert werden. Alte und neue Elemente greifen nun harmonisch ineinander. Aufwendig gestaltete sich auch die Sanierung des Dachgesimses mit den Laubsägearbeiten. Die filigranen Holzornamente schmeicheln dem Auge ganz besonders, zaubern bei Sonnenschein wunderschöne Schattenspiele an die Fassade und rufen die Epoche der Bauzeit – die mittlerweile 154 Jahre zurückliegt – in ihrer ganzen Ästhetik in Erinnerung.
Anke Köth, die das Bauvorhaben seitens der Denkmalpflege begleitet hat, ist voll des Lobes über die engagierte und sorgfältige Arbeit der Zimmerleute. Ähnlich tönt es vom Vertreter der Bauherrschaft: «Zimmermeister Keiser hat nicht einfach einen Auftrag erledigt, sondern Herzblut investiert und uns mit seiner Begeisterung für den Holzbau angesteckt.» Nebst den kolorierten Zeichnungen aus dem Archiv des Zuger Postkartensammlers Oskar Rickenbacher organisierte Keiser antiquarische Werke, unter anderem Bildbände mit Kupferstichen, die einen umfassenden Überblick über die Standards der traditionellen Zimmermannskunst aus dem 18. und 19. Jahrhundert lieferten und als Inspirationsquelle für diesen Auftrag dienten.
Neu befindet sich in der Trinkhalle das «Welcome Center» der Schule. Sieben Büros und ein Sitzungszimmer wurden als Boxen in Leichtbauweise konzipiert und formieren sich stringent entlang der Halle. Die transparenten Einbauten können jederzeit wieder demontiert werden. Das Denkmal ist also flexibel, was auch angesichts der getätigten Investitionen in der Höhe von mehreren Millionen Franken von Bedeutung ist. Begrüsst wurde unter diesem Gesichtspunkt auch die Unterkellerung des Gebäudes, eine Massnahme, die bei denkmalgeschützten Gebäuden eher selten vorkommt und von der Denkmalpflege nur zurückhaltend erlaubt wird. Bei der Trinkhalle machte man eine Ausnahme, weil der Unterbau des Holzpavillons ohnehin komplett erneuert werden musste. Unterirdisch konnte dadurch Platz für Toiletten, Garderoben, Archiv und Technik geschaffen werden.
Zeitlebens passte sich der Holzpavillon unterschiedlichen Nutzungen an: Als Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Zugerberg touristische Hochkonjunktur herrschte, diente er den Gästen des Grandhotels Schönfels bei trüber Witterung als Wandelgang, also als Treffpunkt für Trinkkuren mit Milch und Molke. Zudem fanden darin regelmässig Gesellschaftsspiele statt. Motto: sehen und gesehen werden. Als das Grandhotel schliessen musste und auf dem Montana 1926 das gleichnamige «Knabeninstitut» gegründet wurde, hat man in der Trinkhalle eine Kegelbahn errichtet, später nutzte man das Gebäude für den Werkunterricht bzw. als Schreinerei. Unmittelbar vor der Sanierung diente der baufällige Holzpavillon der internationalen Privatschule lediglich noch als Lager für Gerätschaften aller Art. Besonders attraktiv sah die Halle zuletzt nicht mehr aus. Alte Fotos zeigen Einbauten und Anbauten, Zwischenwände und Verkleidungen, welche die schöne Tragkonstruktion kaschierten und die Halle jeglichen Charmes beraubten.
Der ist nun wiederhergestellt. Wie so oft am Ende eines geglückten Projekts galt aber auch hier: Gut Ding will Weile haben. Denn zwischen der erstmaligen Thematisierung der Trinkhallensanierung im Rahmen der Vorarbeiten zum Bebauungsplan Zugerberg bis zur Vollendung des Projekts verstrichen rund 14 Jahre. Dies hat einerseits mit dem sensiblen Standort des Gebäudes zu tun, das stets in Abhängigkeit zur Entwicklung des ganzen Areals stand; anderseits mit dem Umstand, dass sich der Holzpavillon in einer Bauzone «mit besonderen Vorschriften» bzw. in einer Ortsbildschutzzone befindet. Seitens des Amts für Denkmalpflege und Archäologie wurde anfänglich ein Projekt favorisiert, bei dem die Trinkhalle wieder wie ursprünglich als offene, unbeheizte Halle genutzt worden wäre. «Für uns war das aber keine Option. Dies hätte uns in der Nutzung zu stark eingeschränkt», sagt Alex Biner. Als Verantwortlicher für die Finanzen müsse er auch die Wirtschaftlichkeit der Privatschule im Auge behalten. Die Favorisierung der «Kalthalle» durch die Denkmalpflege habe die AG darum veranlasst, im Oktober 2015 die Entlassung der Trinkhalle aus dem Inventar der schützenswerten Denkmäler zu beantragen.
Viele Diskussionsrunden und Machbarkeitsstudien später wurde die Trinkhalle im November 2019 bekanntlich doch noch unter Schutz gestellt: einvernehmlich und in der Überzeugung, dass mit dem nun umgesetzten Projekt dem Denkmal eine gute Zukunft beschieden sein wird.
Das Denkmal in Kürze
Die 1870 erbaute Trink- und Wandelhalle gehörte einst zum früheren Kur- und Grandhotel Schönfels und ist somit Zeitzeuge des florierenden Fremdenverkehrs während der Belle Époque. Heute gehört der lange Holzpavillon zum Campus der internationalen Privatschule Institut Montana. Beim Bau handelt es sich um einen einstöckigen Holzpavillon mit Mittel- und Seitenrisaliten und Satteldach über einem massiven Sockel. Da viele ähnliche Kleinbauten aus der Zeit der europäischen Bäderkultur mittlerweile verschwunden sind, hat die Trinkhalle aus denkmalpflegerischer Sicht einen sehr hohen Stellenwert.