AUS HüHNERSTALL MACH TINY HOUSE
Ein stilvolles Zuhause misst sich nicht primär an der Anzahl Quadratmeter, die zum Wohnen zur Verfügung stehen. Deutlich wird dies auf einem Bauernhof in Baar, wo ein kleinflächiges, denkmalgeschütztes Ökonomiegebäude in ein gemütliches Tiny House umgebaut wurde.
Für Nadja Zürcher war schon als Kind klar: Wenn sie einmal gross ist, möchte sie im Hühnerstall wohnen, das heisst: im kleinen Riegelhaus, in dessen Bretterverschlag zwei Dutzend Tiere jahrzehntelang zuverlässig ihre Eier legten. Wie toll wäre es, dachte sich die kleine Nadja, das Häuschen mit dem abgeschrägten Dachgeschoss und den hölzernen Schwellen hübsch herzurichten, darin zu kochen, zu wohnen und zu schlafen.
Selber wohnte sie damals noch mit den Eltern und zwei Geschwistern im grossen Bauernhaus nebenan. Doch eines Tages kam tatsächlich der Zeitpunkt, an dem die Hühner ausgegackert hatten. Das frei gewordene historische Riegelhäuschen blieb in der Folge mehr oder weniger unbenutzt – bis man in der Familie aufgrund einer landwirtschaftlichen Neuausrichtung Umbau- und Sanierungspläne schmiedete. «Ein Abriss des Riegelhäuschens stand nie zur Debatte. Wir alle mochten es», erinnert sich Nadja Zürcher. Und Bruder Philippe, der den Hof vor zwei Jahren übernommen hatte, war von der Idee begeistert, das Vorhaben als Bauherr zu steuern und dafür zu sorgen, dass der Traum seiner Schwester in Erfüllung geht. Schliesslich hatte man auch einen familiären Bezug. Errichtet hatte das Häuschen 1848 Karl Kaspar Zürcher – der Urgrossvater von Nadja.
Doch eine Umnutzung der Baute war – da in der Landwirtschaftszone gelegen – nicht ohne weiteres möglich. Denn in dieser Zone dürfen grundsätzlich nur Gebäude stehen, die der Landwirtschaft dienen. Ausnahmen sind möglich, wenn ein Objekt einen besonderen kulturellen oder heimatkundlichen Wert hat und daher unter Denkmalschutz gestellt wird. Im Wissen um diese Gesetzeslage reichte die Eigentümerschaft im Sommer 2020 einen Antrag auf Unterschutzstellung ein und erklärte darin ihre Absicht: Transformation des landwirtschaftlichen Kleingebäudes in ein Tiny House. Bereits wenig später stimmten Kanton und Gemeinde den Plänen zu. Das Häuschen, so die Begründung, gehöre zum «Bauten-Kanon», wie er seit dem 18. Jahrhundert typisch für die Höfe in den Gemeinden der Lorzenebene und des Ennetsees sei. Zudem trage das Objekt wesentlich zur intakten Erscheinung der Hofgruppe Oberbüessikon bei. Auch habe es, weil ähnliche Bauten da und dort abgebrochen wurden, einen gewissen Seltenheitswert. Die Grundsubstanz des Objekts, so das Urteil der Fachleute, sei zudem gut und praktisch unversehrt erhalten.
Gemeinsam mit der Hitz Holzbau AG aus Neuheim und dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie definierte man in der Folge die baulichen Massnahmen am Denkmal. Primär galt es, die Tragstruktur instand zu stellen, die Decken und Wände massvoll zu isolieren und neue Bodenbeläge zu verlegen. Im Erdgeschoss sind es hellgraue Keramikplatten, denen auch die nassen Hundepfoten von Nadja Zürchers Vierbeiner nichts anhaben können, im Dachgeschoss sind es Holzriemen aus Esche. Balken, deren Holz morsch oder verfault war, wurden materialgetreu ersetzt. Komplexe schraubenlose und leimfreie Holzverbindungen aus Fichte, Tanne, Douglasie oder Lärche realisierten die Zimmermänner in Einzelanfertigung. Zudem wurden neue zweifachverglaste Sprossenfenster eingesetzt, da die alten Fenster kaputt bzw. gar nicht mehr vorhanden waren. Bei der Eingangstür vertraute man auf das Fachwissen des Luzerner Holzprofis Manuel Lienhard. Er rettete das historische Deckblatt, sanierte es und montierte anschliessend wieder die alten Beschläge. Gegen innen doppelte er die Tür für eine bessere Isolation auf. Eine geschmackvolle und raffiniert konzipierte Küche und eine kleine, mit hochwertigen Einbaumöbeln ausgestattete Nasszelle runden das Motto «Schöner und platzsparend Wohnen» im Tiny House ab.
Besonders gefreut hat es Nadja Zürcher, dass sie die Denkmalpflege überzeugen konnte, das Obergeschoss statt mit einer Holz- mit einer schwarzen Eisentreppe zu erschliessen. Dimmbare LED-Streifen erhellen das Dachgeschoss diskret und sorgen für ein stimmungsvolles Ambiente im Schlafbereich. Nadja Zürcher sprüht vor Begeisterung, wenn sie vom Umbau berichtet, und weist dabei auf das mit neuen Ziegeln eingedeckte Dach, das für einen würdigen Abschluss der sehr schönen Fachwerkfassade sorgt: «Denkmalpflege, Handwerksbetriebe, mein Bruder und ich suchten gemeinsam nach Lösungen und ergänzten uns hervorragend. Meine Anliegen wurden ernst genommen. So hat der Prozess richtig Spass gemacht.»
Knapp 50 Quadratmeter weist die Grundfläche auf – wahrlich wenig für die 1,80 Meter grosse Bewohnerin. «Auf kleinem Raum zu wohnen, ist aber auch praktisch und hat handfeste Vorteile», betont sie. «Man muss sich überlegen, was man wirklich zum Leben braucht, und realisiert, dass man auf vieles wunderbar verzichten kann.» Nadja Zürcher muss es wissen. Sie hat vor dem Bezug des denkmalgeschützten Tiny House auf noch engerem Raum gelebt: in einem kleinen Camper, wo es ihr ebenfalls an nichts fehlte.
Involvierte Firmen:
Hitz Holzbau AG, Neuheim (Holzbau, Eindeckung, Innenausbau)
Matthias Gähwiler GmbH, Hausen am Albis (Gipserarbeiten)
Manu-ell GmbH, Luzern (Eingangstüre und Möbel)
E. Zimmermann AG, Willisau (Fenster)
Metallwerkstatt Benno Rohrer, Sarnen (Treppe)
Dr. Benno Furrer (baugeschichtliches Gutachten)
Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie:
Nathalie Wey (Baubegleitung)
Das Denkmal in Kürze
Das 1848 errichtete ehemalige Dörr- bzw. Hühnerhaus bildet zusammen mit dem Bauernhaus, dem Waschhaus mit Trotte und Speicher sowie den jüngeren Wohn- und Wirtschaftsbauten eine Hofgruppe im Weiler Büessikon in der Gemeinde Baar. Das rechteckige Fachwerkgebäude – ein Riegelbau – erhebt sich auf einem niedrigen Mauersockel aus Bruchstein und besteht aus einem schlichten Holzgerüst mit Schwelle, geschosshohen Ständern, schräg verlaufenden Streben sowie Riegeln. Ein Sparrendach bildet das Dachtragwerk.