PUBLIKATION

Stadtmagazin

ZUSAMMENARBEIT

Stefan Kaiser (Foto)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

24.4.2023

ACTION MIT MASS

 

Ein Oldie und ein Youngster hauchen der Unteraltstadt in Zug neues Leben ein. Massvoll, verträglich, nachbarschaftskompatibel, nicht zu laut und nicht leise – einmal in der «Fischerstube» und seit Kurzem in der «Meise».

 

Es ist verständlich, dass beim Thema «Belebung Zuger Altstadt» bei vielen Leuten ein Gefühl der Beklemmung aufkommt. Zu präsent sind die Erinnerungen an Einsprachen und ausufernde Debatten im Ringen um Paragrafen, welche die Thematik über Jahre prägten. Rein theoretisch war die Belebung des historischen Stadtteils von der Zuger Bevölkerung zwar schon immer erwünscht, aber wenn es konkret wurde, bremsten Gerichte gute Ideen gerne aus. Keine Fest- und Partymeile bitte! Und gefälligst etwas Rücksicht auf das Ruhebedürfnis der Menschen, die hier zu Hause sind. Tapas-Bar mit Aussenbestuhlung? Sorry, leider nein, da nicht zonenkonform.


Sieben Jahre nach Inkrafttreten des revidierten Altstadt-Reglements scheint noch immer eine Art «Trauma-Bewältigung» stattzufinden und beschäftigt man sich mit Fragen wie: Was ist an Ideen nun effektiv erwünscht und erlaubt? Was entspricht einer vielfältigen und ausgewogenen Nutzung? Welche Art von Publikumswirksamkeit darf es im Erdgeschoss denn sein? Und wann ist das tolerierbare Mass an Belebung bereits wieder überschritten oder riskiert man einen Rüffel wegen Nachtruhestörung? Ein schmaler Grat.


Einer, der die Debatte schon lange mitverfolgt, ist Albert Rüttimann, früherer Stadtschreiber, Rechtsanwalt und seit 25 Jahren Bewohner der Unteraltstadt 16, besser bekannt als «Haus zur Meise». Doch beirren oder gar aufhalten lässt sich der 69-Jährige vom Konfliktpotenzial, das Altstädte durch enge Platzverhältnisse per se bergen, nicht. Im Gegenteil: Der passionierte Hobbymusikant war sofort zur Stelle, als ihn die Stadt – Eigentümerin der von ihm bewohnten Liegenschaft – um Ideen bat, als sich im Erdgeschoss die Chance einer neuen Nutzung anbot. Jahrelang wurden darin Gebrauchskunstwerke und alte Uhren verkauft, also ein «stilles Gewerbe» betrieben. Damit war 2022 Schluss. Seit Kurzem ist in der Meise nun ein Bistro eingerichtet und dank Rüttimann jeden Mittwoch ab 18 Uhr volksmusikalische «Stubete» oder spontanes Musizieren aller Art angesagt: ungezwungen, sympathisch heiter, nicht zu laut und nicht zu leise.

 

«Viel Konzeptarbeit habe ich nicht geleistet. Manchmal muss man auch einfach einmal loslegen und schauen, was passiert», sagt Rüttimann und lächelt verschmitzt. Um auch nachmittags zufällig einkehrende Gäste bewirten zu können, hat er im Rahmen der Sanierung im hinteren Teil des Hauses eine Gastroküche eingerichtet und diese als Mieter auch gleich finanziert. Den Laden schmeisst er zusammen mit seinen Freunden und Bekannten Willy Bohny, Toni Camenzind, Sepp Feierabend, Margrith Hess und Roli Wismer. Sie alle haben entweder eine Affinität zur Volksmusik oder Gastronomie und machen sich in irgendeiner Form in der Unteraltstadt 16 nützlich: besorgen Speis und Trank, betätigen sich im Service, rüsten, kochen, backen, planen, netzwerken und sorgen dafür, dass möglichst unterschiedliche Formationen zustande kommen, die das Publikum musikalisch unterhalten. Das ganze Team arbeitet unentgeltlich – aus purer Freude an der Sache.

 

Ebenfalls gut zu wissen: die charmanten Lokalitäten im Gemäuer des denkmalgeschützten
spätmittelalterlichen Bohlenständerbaus können auch als Proberaum genutzt und für private Zwecke gemietet werden. Platz hat’s für rund 20 Personen. Tatsächlich lässt ein Augenschein keinen Zweifel offen, dass die Meise auf Kurs ist, sozusagen flügge. Die Stimmung an diesem kalten Mittwochabend ist jedenfalls ausgenommen heiter, und die Zuhörer lassen sich von volksmusikalischen Klängen aus diversen Schweizer Regionen und in unterschiedlicher Besetzung an Schwyzerörgeli, Akkordeon, Klarinette, Bass und Geige verwöhnen. Ob Polka, Schottisch, Mazurka oder Foxtrott: Das Publikum ist ganz Ohr und applaudiert begeistert, während aus der Küche der unwiderstehliche Duft frisch gebackenen Käsekuchens dringt und sich die Gläser der Gäste mit Rotwein füllen. Gegen Ende der Darbietung gruppieren sich Musikanten und Gäste spontan um einen der grossen Holztische und stossen mit einem Meise-Kafi an: einem Nescafé mit «Güx», begleitet von effektvollen Zwitschertönen, die Albert Rüttimann einer kleinen Vogelwasserpfeife entlockt. Hat jemand tote Zuger Altstadt gesagt?


Fairerweise muss erwähnt werden, dass die Kollegen der siebenköpfigen «Stubete-Gäng» nicht die Ersten und auch nicht die Einzigen sind, die in jüngster Zeit einen Beitrag zur Belebung der Unteraltstadt geleistet haben. Da wäre in der gleichen Häuserzeile, nur einen Katzensprung von der Meise entfernt, die «Fischerstube», wo der 40-jährige André Bliggenstorfer seit gut vier Jahren als Gastgeber wirkt. Auch sein Betrieb ist ein höchst willkommenes Puzzleteil im Belebungsbild der Zuger Altstadt. Bliggenstorfer hatte das Erdgeschoss seiner Liegenschaft zuvor verpachtet, und er erzählt, dass einzelne Gäste der dort eingemieteten «Blues Brothers Bar» durch rücksichtsloses Verhalten gelegentlich die Nachbarschaft vergrault hätten. Seit der gelernte Elektroingenieur mit einem ebenso motivierten wie zuverlässigen Barteam selber wirtet und mit neuen Öffnungszeiten und angepasstem Angebot eine etwas andere Klientel anzieht, gibt es keinerlei Anlass für Beschwerden mehr. Im Gegenteil: «Meine Nachbarn sind jetzt meine Gäste», sagt Bliggenstorfer, der seit Januar 2023 auch noch als FDP-Gemeinderat im Stadtparlament politisiert.

 

Sicher kein Nachteil ist, dass sich der Fischerstube-Gastronom zeitgleich mit seinem Neustart bereit erklärt hat, das Präsidium der Nachbarschaft Unteraltstadt zu übernehmen. Das Ehrenamt als Obmann – wie die Funktion nach alter Tradition heisst – kommt einem Commitment für die Zuger Altstadt gleich. Durch das Engagement im 80-köpfigen Nachbarschaftsverein fühlt Bliggenstorfer jedenfalls automatisch den Puls des Quartiers und weiss, was die Nachbarschaft bewegt. Genau wie Rüttimann vertritt auch Bliggenstorfer den Standpunkt, dass die Altstadt durchaus noch etwas mehr «Action» vertragen könnte. Worauf die beiden ansprechen: Kunsthandwerkliche Betriebe, Kleingewerbe, Galerien und dergleichen gelten gemäss aktuellem Reglement zwar offiziell als «publikumsattraktive Nutzung» und sind Voraussetzung, damit eine Nutzungsänderung in Erdgeschossen überhaupt bewilligt wird. Der Haken: Sind diese Mini-Betriebe pro Woche nur zwei Stunden geöffnet, hält sich deren Beitrag zur Belebung der Kantonshauptstadt in Grenzen.

 

Zum Glück kommt bald der Sommer und steigen die Temperaturen. Dann vitalisiert sich die (Unter-) Altstadt wie von selbst, beleben Flohmärkte die Gassen, suchen Einheimische und Touristen ein angenehm schattiges Plätzchen auf oder erhaschen einen Blick auf die letzten Sonnenstrahlen, die spektakulär am Horizont verschwinden. André Bliggenstorfer wird dann seine Gäste wieder auf der seeseitigen Terrasse bewirten und Albert Rüttimann kann sich vorstellen, seine Volksmusik-Konzerte nach draussen auf das pittoreske Kopfsteinpflaster zu verlegen. Wer weiss: vielleicht überwindet die Altstadt ihr Belebungs-Trauma doch noch.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Altstadtreglement - worum geht's?


Nach der letzten Revision der Ortsplanung der Stadt Zug (2010) wurden anschliessend weitere Reglemente überarbeitet und wo erforderlich an eine zeitgemässe Praxis angepasst. So auch das Altstadtreglement. Dieses ordnet sich in eine Reihe von Gesetzen und Inventaren ein, die Auswirkungen auf das Bauen in der Zuger Altstadt haben. Es sind dies:


– Bundesinventar der schützenswerten
Ortsbilder der Schweiz von nationaler
Bedeutung (ISOS)
– Kantonaler Richtplan
– Planungs- und Baugesetz von 1998 (PBG)
und Verordnung von 1999 (V PBG)
– Bauordnung (BO) und Zonenplan von 2010


Mit dem 2015 revidierten und 2016 in Kraft getretenen Altstadtreglement wurde einerseits eine Vereinfachung und Straffung vorgenommen und andererseits das veraltete, sehr detaillierte Reglement an das übergeordnete Recht angepasst. Inhalte, die bereits in übergeordnetem Recht wie dem Denkmalschutz- und dem Planungs- und Baugesetz geregelt werden, wurden entfernt. Ebenso hat man gewisse Detailvorschriften, beispielsweise die Pflicht zu Sprossenfenstern, eliminiert, damit das Reglement nicht nur den heute als «richtig verstandenen» Zustand beschreibt, sondern sich auch künftigen Entwicklungen anpassen kann. Das führte zu einem kurzen und schlanken Reglement mit 16 Paragrafen. Sie beschränken sich auf Bestimmungen, die wichtig für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Altstadt von Zug sind. (win.)


RESTAURANT FISCHERSTUBE
Unteraltstadt 12
Dienstag bis Donnerstag: 17.00 – 23.00 Uhr;
Freitag: 17.00 – 01.00 Uhr;
Samstag: 14.00 – 01.00 Uhr,
Sonntag: 14.00 – 19.00 Uhr
Aktuelle Veranstaltungen:
www.fischerstube.ch

 

HAUS ZUR MEISE
Unteraltstadt 16
Mittwoch bis Freitag: 13.30 – 18.30 Uhr
Samstag: 10.30 – 16.30 Uhr
Mittagessen: jeweils freitags auf Bestellung,
Voranmeldung bis am Vortag
(von 6 – 18 Personen)
Musig-Stubete: Mittwoch 18.00 – 21.00 Uhr
Aktuelle Veranstaltungen:
www.musigstube-zug.ch