PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

28.3.2023

MEISTERHAFT IM TEAM GESCHAFFT

 

Wer zu einem alten Haus einen persönlichen Bezug hat, ist eher bereit, in eine Sanierung zu investieren. Das sagt Franz Stadlin, der das Bauernhaus, in dem er aufwuchs, aufwändig in Stand stellen liess. Die Rolle des privaten Denkmalpflegers übernahm er vorbildlich.

 

Ein altes, verwunschenes Haus, das seit Jahren leer steht, aus dem Dornröschenschlaf zu wecken – ist das nicht der Traum eines jeden Architekten? Oliver Guntli jedenfalls ist jahrelang an einem solchen Haus vorbeigefahren – am Bauernhaus «Lorzen» an der Chamerstrasse 98, auf halber Strecke zwischen Zug und Cham – und hat sich gefragt: Was passiert mit diesem Objekt? Wie lange steht es noch? Ist es noch zu retten oder bereits dem Untergang geweiht? Als er im Juli 2012 in der Lokalzeitung einen Artikel über Haus und Besitzer las, schrieb er dem Eigentümer, Franz Stadlin, spontan einen Brief.

 

«Der Erhalt der Liegenschaft erfordert eine regelmässige Pflege, um einem Zerfall vorzubeugen», schrieb Guntli. «Bei Ihrem Haus scheint es mir sinnvoll, gewisse Arbeiten in Angriff zu nehmen, um höhere Folgekosten zu vermeiden. Gerne würde ich Sie bei allfälligen Unterhaltsmassnahmen unterstützen.» Die direkte Kontaktaufnahme überraschte Stadlin. Der langjährige Zeichnungslehrer und freischaffende Künstler liess die Sache erst mal ruhen. Erst 2019, also sieben Jahre nach Erhalt des Schreibens, als die Sanierung ein Thema war, nahm er mit dem Architekten Kontakt auf und lud ihn zu einem Gespräch ein. Es war der Anfang einer Bekanntschaft und guten Zusammenarbeit, die 2021 zum erfolgreichen Abschluss der Sanierung des «Dornröschenhauses» führte. Diese umfasste den Einbau einer Zentralheizung, den Anbau eines Erschliessungsturms, die Konzeption von zwei unabhängigen Wohneinheiten, die Sanierung von Dach und Fassade, Massnahmen im Bereich Energie-, Lärm- und Brandschutz sowie die Restaurierung bzw. Instandstellung diverser historischer Einbauten wie Täfer- und Bodenbeläge.

 

Nicht nur für Architekt Guntli und Eigentümer Stadlin steht ausser Zweifel, dass es sich bei diesem Bauernhaus um ein besonderes Objekt handelt. Auch Oliver Tschirky von der Zuger Denkmalpflege ist begeistert: «Der Ursprungsbau dieses Blockbaus stammt gemäss dendrochronologischer Untersuchung von 1664/65. Somit zählt das Haus zu den ersten Wohnbauten, die im 17. Jahrhundert im ehemals sumpfigen Ufergebiet zwischen Cham und Zug erstellt wurden.» 1885 wurde das Haus mit einem zweigeschossigen Dachstuhl versehen und erhielt sein heutiges Erscheinungsbild mit der hellgrünen Schindelfassade und den ausgesägten hölzernen Zierformen im Schweizerhausstil. «Zusammen mit dem aus der gleichen Zeit stammenden, überaus qualitätsvollen Innenausbau, der in dieser Vollständigkeit Seltenheitswert besitzt, stellt das Haus ein vorzügliches Zeugnis gehobener bäuerlicher Wohnkultur dieser Epoche dar.»

 

Aufgrund all dieser Qualitäten wurde das Haus im Jahre 2020 auf Antrag der Eigentümerschaft
unter Denkmalschutz gestellt. «Im Hinblick auf die Sanierung, bei welcher der Erhalt der historischen Bausubstanz im Zentrum stand, macht dies für uns Sinn», berichtet Franz Stadlin, der mit seiner Frau Barbara auf dem gleichen Grundstück, nur wenige Meter vom Bauernhaus entfernt, in einem modernen, 1995 erstellten Flachdachneubau wohnt und von dort aus freie Sicht aufs Denkmal geniesst. «Im alten Bauernhaus habe ich meine Kindheit und Jugend verbracht. Ich identifiziere mich damit. Jedes formschöne und sorgfältig angefertigte Detail darin bereitet mir Freude.» Auch als seine Eltern im Jahre 1969 den Bauernbetrieb aufgaben und einen Teil des Landes an den benachbarten Landwirt verpachteten, war darum für die Familie klar, dass das historische Wohnhaus erhalten bleiben soll, zumal Mutter Stadlin bis 1998 darin wohnte und Sohn Franz im Bauernhaus noch viele Jahre sein Kunstatelier unterhielt.

 

Historisches Decken- und Wandtäfer, Parkettböden, Einbauschränke, kunstvoll und aufwändig gestaltete Türen mit Ziergittern und verätzten Verglasungen, gusseiserne Stützen mit korinthischen Kapitellen, dekorative Bretterverschalungen, eine schöne Sandsteintreppe mit verschnörkeltem Schmiedeeisen-Geländer, ein schmuckvoller Jugendstilofen – dies alles konnte praktisch unversehrt im Original erhalten werden und erstrahlt nun seit der Sanierung in neuem Glanz. Gleiches gilt für die imposante Christus-Figur, die sich im Garten befindet. Hier konnte die Bauherrschaft auf das Fachwissen von Restaurator Josef Ineichen zurückgreifen, der die poröse und verwitterte Steinskulptur mit einem aufwändigen Verfahren reinigte, mittels Injektionen festigte und von Rissen befreite, sodass sie nun als eine Art religiöses Nebendenkmal das geschmackvolle Anwesen schmückt.

 

Dass mit der Sanierung nicht nur der Erhalt und die Pflege alter Bauteile einhergehen soll, sondern auch eine Modernisierung, Aufwertung und zeitgemässe Nutzung, zeigt sich am Design und der Ausgestaltung der Nasszellen und Küchen. Diese kommen topmodern daher und bieten den üblichen Komfort. Profitieren davon können die neuen Bewohner, die nach der Sanierung 2021 eingezogen sind. Eine junge Familie mietet die Wohnung in Hochparterre und erstem Stock. Stadlins Tochter Katharina ist im zweistöckigen Dachgeschoss zu Hause. Von Anfang an war zudem klar, dass das Bauernhaus neu erschlossen, das heisst mit einer Aussentreppe und einem Lift ausgestattet werden sollte.

 

«Diesbezüglich gab es intensive Diskussionen mit der Denkmalpflege, weil diese meinen ersten Vorschlag zu massiv empfand und der Ansicht war, dass sich der Neubau zu wenig vom Altbau abgrenzte», erinnert sich Architekt Guntli und betont, dass er sich bei allem Verständnis für denkmalpflegerische Aspekte primär für die Wünsche der Bauherrschaft stark mache, weil auch sie berechtigte Anliegen und gute Ideen hätten. Diese trügen letztlich das finanzielle Risiko und müssten mit dem Denkmal leben. Generell ist er überzeugt, dass man auch historischen Bauten etwas zumuten darf und in der Verbindung von Alt und Neu gewisse ästhetische Brüche vollzogen werden sollen. «Das braucht manchmal Mut, sorgt aber auch für Spannung.» Der am Ende bewilligte und realisierte freistehende Betonturm – elegant verpackt in eine fein strukturierte Hülle aus Streckmetall – ist immer noch markant, aber trotzdem stimmig und kommt als eigenständiges architektonisches Statement daher. Mehr noch: Dank der neuen, externen Erschliessung, die einen unabhängigen Zutritt zu den beiden unterschiedlich grossen Wohneinheiten schafft, konnten wertvolle Teile des historischen Innenausbaus geschont und die originäre Raumstruktur weitestgehend erhalten bzw. wiederhergestellt werden. Mit dem Resultat sind nun alle Involvierten zufrieden.

 

Der Erwähnung bedürfen zu guter Letzt Dach und Fassade, die einen wichtigen Bestandteil der Sanierung ausmachten und die involvierten Handwerksbetriebe besonders forderten. Denn die dicht verbauten Schindeln mussten allesamt ersetzt werden. Weil es sich dabei um äusserst filigrane und kleinteilige Exemplare handelte, galt es, im Vorfeld eigens ein speziell feines Messer zu produzieren, das die Plättchen stanzte. Zu 16-teiligen Bändern aneinandergereiht, wurden sie anschliessend von den Zimmermännern an die Wand genagelt. Pro Quadratmeter verbauten die Handwerker rund 1500 Schindeln. Viel Zeit und Geld investierte man auch in die Sanierung des Dachs aus handgemachten Biberschwanzziegeln, wovon die ältesten mit der Jahreszahl 1666 gekennzeichnet sind. Denn diese waren teilweise stark beschädigt, verwittert und durch die unmittelbare Nähe zur 130-jährigen Sommerlinde mit grünem Bewuchs bedeckt. Stück für Stück wurde jeder einzelne Ziegel vom Dach genommen, von Hand gereinigt, imprägniert, palettiert und wieder montiert.

 

Der Aufwand hat sich gelohnt. Das findet auch der stolze Eigentümer, der seine Verantwortung als privater, umsichtiger Denkmalpfleger vorbildlich wahrgenommen hat. «Der ganze Prozess war aber auch anspruchsvoll und erforderte viel Geduld und Durchhaltewillen», bilanziert Franz Stadlin und atmet tief durch. «Einen Neubau hinzustellen, wäre wohl einfacher gewesen.»

 

Involvierte Firmen: guntli architektur gmbh, Zug; Xaver Keiser Zimmerei Zug AG, Zug; Haupt AG, Ruswil; A. + S. Weiss Schreinerei AG, Zug; Fontana & Fontana AG, Jona; Atelier Momo Dragovic, Meggen; Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie: Oliver Tschirky (Baubegleitung), Anette JeanRichard, Vincent von Glasow (Bauforschung), Michael Cerezo (Fachbericht)

 

Das Denkmal in Kürze


Das Bauernhaus Hof Lorzen an der Chamerstrasse 98 in Zug ist als Blockbau ausgeführt, verfügt über ein zweigeschossiges Satteldach und einen gemauerten Sockel. Die Fassaden sind mit hellgrün bemalten Holzschindeln verkleidet. Der Kernbau stammt aus dem 17. Jahrhundert. Das im Jahre 2021 unter Denkmalschutz gestellte Haus steht exemplarisch für die ländliche Innerschweizer Baukultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die traditionelle Holzbaukunst mit zeittypischem Bauschmuck vereint. Zum Haus gehören eine Scheune und ein kleines Wasch- und Dörrhaus, die jedoch beide nicht unter Denkmalschutz stehen.