PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Philippe Hubler (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

28.3.2023

VERSTECKTES JUWEL

 

Trotz sorgfältiger Planung und umfangreichen Sondierungen hielt die Sanierung des rund 550-jährigen Hauses an der Neugasse 17 in Zug einige Überraschungen bereit, problematische und höchst erfreuliche. Von den Architekten, die als Bauherrschaft agierte, waren viel Kreativität und Geduld gefragt.

 

Unfair, aber wahr: Das Haus Neugasse 17 im Zuger Stadtzentrum erfährt aufgrund seines zurückhaltenden Erscheinungsbildes nicht jene Aufmerksamkeit, die ihm zustehen müsste. Auf der stark befahrenen Strasse zwischen Kolinund Postplatz präsentiert es sich – eingeklemmt wie ein Sandwich – in einer intakten Häuserzeile. Steht man hinter dem Haus und somit auf dem Hirschenplatz, stehlen ihm deutlich ausgefallenere Objekte die Schau: der attraktive Brunnen, die reich dekorierte «Münz» oder das niedliche Barock-Juwel «Gloriettli».

 

Die Besonderheiten der Neugasse 17 offenbaren sich erst, wenn man sich mit dessen Vergangenheit beschäftigt und mit Urs Zumbühl spricht, Architekt und Miteigentümer besagter Liegenschaft, der diese zusammen mit seinem Geschäftspartner Alfons Heggli 2016 erworben und zwischen 2020 und 2022 umfangreich saniert hat. Die beiden Herren bilden seit Jahrzehnten eine erfolgreiche Bürogemeinschaft und haben 30 Jahre Erfahrung mit dem Umbau historischer Bauten. Zur Neugasse hat Zumbühl einen persönlichen Bezug. Zum einen war es sein Vater Albert, der 1968 das benachbarte Eckhaus mit der Nr. 15 neu erstellen liess und darin – ältere Semester erinnern sich – das angesehene Modehaus Zumbühl betrieb. Zum anderen bewohnt Zumbühl dieses Haus mit seiner Familie seit dreissig Jahren selbst und fühlt sich in dieser idyllischen, altstädtischen Nische sehr zu Hause. «Ich mag das Zentrum, in der Nachbarschaft kennt man sich und mit dem Verkehrslärm arrangiere ich mich. Im Nu bin ich zu Fuss am See.»

 

Dass es sich bei der Neugasse 17 um das älteste bisher bekannte Haus an der Neugasse überhaupt handelt, zeigte sich erst im Laufe der bauhistorischen Untersuchung und erfüllt die Architekten zu Recht mit Stolz. Im Jahre 1472 entstand der Kernbau: ein dreigeschossiges Gebäude, das sich aus einem gemauerten Sockelgeschoss aus Bruchstein und einem Bohlenständerbau in den Obergeschossen zusammensetzt.

 

Im Jahre 1605 kam es zu einer Aufstockung durch einen Fachwerkbau und 1873 erfolgten die Unterkellerung des Hauses sowie der Umbau des Erdgeschosses. Spannende Umstände also,
aber nicht ohne Tücken. «Die grösste Herausforderung bei der Sanierung stellte die Gebäudestatik dar», erinnert sich Zumbühl. «Die Fachwerkaufstockung mit gemauerten Ausfachungen und beträchtlichem Gewicht, aber fehlender Abstützung im Erdgeschoss und ersten Stock führte zu starken Senkungen.» Der Dachboden hat sich einseitig um bis zu 30 Zentimeter gesenkt, die beiden Giebelwände neigten sich um 60 Zentimeter aus dem Lot. Um die Standfestigkeit des Gebäudes zu gewährleisten, musste eine neue Tragkonstruktion mit Stahlträgern und Holzbalken her.

 

Doch der Reihe nach. Als im Juli 2019 ein erster Augenschein mit dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie stattfand und die Architekten ihre Ideen für einen umfassenden Umbau präsentierten, war für alle Beteiligten klar, dass der Umbau sowohl von Seiten Bauforschung wie Denkmalpflege eng begleitet würde. Um dabei auch in den Genuss von finanziellen Beiträgen zu kommen – der Kanton und die Stadt Zug beteiligten sich mit 320’000 Franken an den substanzerhaltenden Massnahmen –, wurde das Gebäude im Jahre 2019 unter kantonalen Schutz gestellt. Nun konnte mit umfangreichen Abklärungen, Sondierungen und Rückbauten begonnen und bald darauf mit der Totalsanierung gestartet werden. Diese umfasste – bei weitgehender Beibehaltung der Raumaufteilung – den Ausbau des Dachgeschosses, die Sanierung sämtlicher Oberflächen, die Erneuerung der ganzen Haustechnik sowie tiefgreifende bauliche Massnahmen, um die Anforderungen in Bezug auf Brandschutz, Schallschutz und Statik zu erfüllen. Gleichzeitig galt es, den eigenen gestalterischen Ansprüchen gerecht zu werden. Im Aussenbereich beschränkte man sich auf die Reinigung und Ausbesserung der Fassade und einen neuen Farbanstrich in Grün. Mauerwerk, Fensteröffnung und Fensterläden erfahren seither durch Farbnuancen eine feine Akzentuierung.

 

Neu beherbergt das Gebäude dank dem ausgebauten Dachgeschoss vier statt wie bisher nur zwei Wohnungen und nach wie vor ein Ladenlokal im Erdgeschoss. In den 1970er und 1980er Jahren war dies der «Wollenhof», danach eine Filiale von «Lacoste» und nun das Beauty-Studio «AP Lashes», wo schönheitsbewussten Menschen Wimpern verlängert und Augenbrauen in Form gebracht werden. Soll noch einer kommen und behaupten, ein 550-jähriges Denkmal tauge nicht für eine zeitgemässe Nutzung. Weil man im schicken Beauty-Studio die historische Bausubstanz jedoch nicht zeigen wollte, wurde sie reversibel abgedeckt.

 

Diese neuzeitliche Nutzung steht in schrillem Gegensatz zu den bauhistorisch spektakulären Funden, die im gleichen Haus entdeckt wurden und aus dem 15. bzw. 16. Jahrhundert stammen: eine mit goldfarbener Rankenmalerei geschmückte Bohlenwand und eine komplett erhaltene Türöffnung mit Kielbogensturz und originalem Türblatt. Hinzu kommen Spuren von ehemaligen Bewohnern in Form von spielerisch in die Holzoberflächen eingeritzten Mustern und Wappen sowie Pentagrammen, den fünfzackigen Sternen als Zauber- und Abwehrzeichen gegen Dämonen.

 

Liest man den Fachbericht der Denkmalpflege, wird spürbar, wie stark man sich auch auf dieser Seite mit dem Haus auseinandergesetzt hat. Von «auskragenden Sohlbänken» wird da gesprochen, von «rustizierten Pilastern», einer «typischen Aufzugslukarne», «neuen Schleppgauben», «qualitätsvollem Feldertäfer», «klassischem Krallentäfer» und gar von einem «Architrav, das mit einem verkröpften Sims mit Zahnschnittfries abgeschlossen wird». Der 51-jährigen Kunsthistorikerin Nathalie Wey, die das Projekt seitens der Denkmalpflege begleitet und sich intensiv mit dem Bau auseinandergesetzt hat, ist die Leidenschaft für ihr Metier ins Gesicht geschrieben.

 

Was für ein Glück, wenn sie auf denkmalaffine Gleichgesinnte trifft. «Die Architekten und Handwerker mussten bei dieser Sanierung unglaublich viel Flexibilität und Ideenreichtum an
den Tag legen», so Wey. «Nur so war es möglich, grosse Teile der Grundstruktur aus dem 15. und 17. Jahrhundert, der Oberflächen und Ausstattungselemente zu restaurieren und zu erhalten.» Vorbildlich gelang auch der Ausbau des Dachstockes, der 1903 einen Brand überstand. Angebrannte Balken wurden in alter Handwerksmanier repariert, ertüchtigt oder in Vollholz ersetzt. Hinter den billigen Verkleidungen aus dem 20. Jahrhundert kamen vielseitige historische Innenausstattungen zum Vorschein, die von der Gotik über die Renaissance, den Barock und Klassizismus bis zum Jugendstil reichen.

 

Dass sich nicht nur Baufachleute für dieses wunderbare Denkmal begeistern können, sondern auch viele Laien, zeigte sich, als die Liegenschaft an den Europäischen Tagen des Denkmals 2021 besichtigt werden konnte. Eine riesige Schlange bildete sich vor dem Haus und die Besucherinnen und Besucher lauschten aufmerksam den Ausführungen von Architekt Zumbühl und weiteren Fachleuten. Ursprünglich, so erfuhr man, befand sich zwischen der Liegenschaft Neugasse 17 und Neugasse 19 eine schmale Gasse oder ein Graben, der nachträglich den beiden Häusern einverleibt wurde. Dies hat zur Folge, dass die Liegenschaften Neugasse 17 und 19 in den ersten beiden Geschossen ineinander «verschachtelt» sind. So befindet sich auf Seite Neugasse der Eingang von Haus Nr. 17 mit einer Treppe zum ersten Stock im Haus Nr. 19. Und auf Seite Hirschenplatz liegen WC und Abstellräume von Haus Nr. 19 in Haus Nr. 17.

 

Auch Architekt und Miteigentümer Alfons Heggli, der nach der Sanierung die eigene Wohnung im ersten Stock von Haus Nr. 17 bezog, ist von der historisch bedingten Raumaufteilung betroffen. Seine Badewanne befindet sich in Haus Nr. 19.

 

Involvierte Firmen: Zumbühl & Heggli Architekten GmbH, Zug; IHT Ingenieurbüro für Holz + Technik AG, Schaffhausen; BHC Holzbau AG, Unterägeri; Boog Schreinerei AG, Hünenberg; Maler Huwiler AG, Hünenberg; A. Iten AG, Unterägeri; Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie: Nathalie Wey (Baubegleitung), Anette JeanRichard, Eugen Jans, Claudia Löckher (Bauforschung), Michael Cerezo (Fachbericht)

 

Das Denkmal in Kürze


Die Neugasse wurde 1478 im Zuge der Stadterweiterung als neue Hauptgasse angelegt. Die Wohnbauten zu beiden Seiten sind mehrheitlich zwischen 1478 und 1500 zu datieren. Der Kernbau der Neugasse 17 stammt jedoch bereits aus dem Jahre 1472. Beim Gebäude mit klassizistischem Habitus handelt es sich um einen Bohlenständerbau, der über einem Sockel aus Bruchsteinen errichtet und im beginnenden 17. Jahrhundert in Fachwerkbauweise aufgestockt wurde. Die repräsentative Schaufenstergestaltung mit den Natursteinplatten bezeugt darüber hinaus die geschäftstreibende Entwicklung der Strasse im 19. Jahrhundert.