PUBLIKATION

Denkmaljournal

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

28.3.2023

AUFBRUCH STATT ABBRUCH

 

In Hünenberg wurde ein altes Sennhaus mit Speicher aus dem 18. Jahrhundert vor dem Abbruch gerettet und in ein modernes Wohnhaus verwandelt. Eigentümerschaft, Architekt, Handwerker und Denkmalpflege haben gemeinsam Lösungen entwickelt, die zu einem erstaunlichen Resultat führten.

 

Es ist logisch, dass beim Anblick des frisch sanierten Speichers auf dem Hof Drälikon in der Hünenberger Reussebene Begeisterung aufkommt. Ein wunderschönes, wohlproportioniertes Ökonomiegebäude präsentiert sich da, mit in Biberschwanzziegel gedecktem Teilwalmdach, massivem Bruchsteinsockel und neu gezimmertem Treppeneingang samt Laube. Im Innern offenbaren sich aus Massivholz konzipierte Räume, historische Bretter und Balken; mutig ergänzt mit neuen Elementen: einer schwarzen Küchenzeile mit Chromstahlabdeckung, einer türkisfarbenen Nasszelle aus Naturafloor, einer clever konzipierten Garderobe und einer schlichten, rohen Stahltreppe, die steil nach oben führt. Keine Frage: da war ein Architekt mit sicherem Instinkt am Werk, der weiss, wie ein kraftvolles architektonisches Statement daherkommt, das Alt und Neu unkonventionell verbindet.

 

Der «Wow-Effekt» verstärkt sich allerdings noch einmal erheblich, wenn man alte Fotos anschaut die entstanden sind, als Architekt Enzo Cozza, Mitinhaber der Hegglin Cozza Architekten, mit der Planung des Projekts beauftragt wurde. Da sieht man einen unscheinbaren, verlotterten Schuppen mit in Mitleidenschaft gezogenen Wänden, Decken und Böden, eine verwitterte Fassade mit kaputten Fenstern und ein marodes Mauerwerk. Die Räume auf den Fotos wirken heruntergekommen und verwaist, sind vollgestopft mit ausrangiertem Mobiliar, alten Milchkannen, Plastikstühlen, Gartenschläuchen, Töpfen und Spielzeug – Staub, Schmutz und Spinnennetze, wohin das Auge reicht.

 

Nicht dass die Familie Luthiger, die hier seit Jahrzehnten erfolgreich Landwirtschaft betreibt, keinen Sinn für Ordnung und Sauberkeit hätte – im Gegenteil! Ihr Hof Drälikon ist bestens in Schuss. Der Speicher aber diente seit Jahrzehnten nur noch als Abstellraum, und die Kinder nutzten ihn zum Spielen. Im Traum wäre die Familie nicht auf die Idee gekommen, das kleine Nebengebäude jemals auszubauen und für Wohnzwecke sanieren zu lassen. Anfang Januar 2013 orientierte man das Amt für Denkmalpflege und Archäologie, dass man den alten Speicher abzubrechen und durch einen Neubau am selben Standort zu ersetzen gedenke. Dieser sollte künftig als «Stöckli» für die mittlerweile pensionierten Eltern Leo und Jolanda dienen, die damals noch im alten Bauernhaus wohnten. Konkret ersuchte man um die Entlassung des Speichers aus dem Inventar der schützenswerten Denkmäler, eine Voraussetzung, damit ein Abbruch überhaupt in Betracht gezogen
werden kann.

 

Es kam dann aber bekanntlich anders. Bereits einen Monat später schaute sich die Denkmalkommission das Objekt genauer an, erachtete es als schützenswert und beantragte bei der Direktion des Innern die Unterschutzstellung. Das Ökonomiegebäude, so die Begründung, sei von «sehr hohem wissenschaftlichem Wert» und ein «wichtiger baukünstlerischer Zeuge der ländlichen Architektur des ausgehenden 18. Jahrhunderts». Der renommierte Schweizer Bauernhausforscher Benno Furrer hatte aufgezeigt, dass die Sennhütte für Hünenberg hohen Seltenheitswert hat. Das Gebäude, so Furrer, verkörpere einen für das Gebiet Ennetsee wichtigen Teil der landwirtschaftlichen Produktion und zeige den interessanten Versuch zur Diversifizierung auf einem Zuger Bauernhof. Früher wurde im Kellergeschoss eine Käserei, später dann eine Schmiede betrieben, im Erdgeschoss befanden sich Werkstatt und Speicher.

 

Eigentümer und Architekten sahen sich also plötzlich mit neuen Tatsachen konfrontiert – vor allem aber auch mit neuen Chancen! Statt den Speicher abzubrechen und durch einen Neubau zu ersetzen, wurde das Stöckli für die Eltern Luthiger in Form eines einstöckigen Holzhauses nur wenige Meter nebenan realisiert. Für Sohn Manuel wiederum sollte der Speicher knapp 10 Jahre später saniert werden. Tatsächlich war da – dank der frühzeitigen Erneuerung des Daches nach der Unterschutzstellung des Speichers – noch viel gute Bausubstanz vorhanden, aus der sich etwas machen liess. «Was mich besonders beeindruckte», betont Architekt Cozza, «ist, dass sich die Familie auf meine Ideen eingelassen hat und offen für Neues und UnkonvenUnkonventionelles war, was für eher traditionell geprägte Bauernfamilien keine Selbstverständlichkeit ist.» Landwirte, so seine Erfahrung, sind Praktiker und stellen bei Bauprojekten von geschützten Denkmälern verständlicherweise nicht die gleichen Überlegungen an wie Kunsthistoriker. Vor allem Ehefrau Jolanda habe dann mit ihrem guten Geschmack wichtige Akzente gesetzt und bei Ehemann Leo und Sohn Manuel entsprechend Überzeugungsarbeit geleistet.

 

Der Erwähnung bedürfen auch die involvierten Handwerker. Restaurator Josef Ineichen stellte verputzte Steinwände innen und aussen instand, besserte Fehlstellen aus und versah das Werk mit einer neuen Schlämmschicht. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Berufsstolz deponierte der längst pensionierte, über 80-jährige Fachmann vor Vollendung seines Werks unter der Fensterbank noch ein paar Münzen für die Nachwelt und verewigte sich so im Denkmal. Genauso engagiert waren die Mitarbeiter der Zimmerei von Beat Hürlimann aus Walchwil bei der Sache. Sie stellten ihr Fachwissen bei der Planung zur Verfügung und sorgten für eine präzise Umsetzung. Das Nadel- und Laubholz wurde vorsichtig gebürstet, saniert, geflickt und wenn nötig rekonstruiert, hölzerne Schiebeläden hat man wieder funktionstüchtig gemacht, passende Fenster angebracht. Im Dachstock wurde die Haupttragkonstruktion sichtbar belassen. Die Zwischenräume hat man gedämmt und mit Gipsplatten verkleidet. Wie sehr sich die Eigentümerschaft mit Hünenberg identifiziert, zeigt sich am Mobiliar im Esszimmer. Eckbank und Tisch fertigte die lokale Boog Schreinerei aus einer waschechten Hünenberger Eiche.

 

In Teamwork wurde also dieses kleine, feine Denkmal in ein stilvolles Wohnhaus verwandelt, das durch starke Kontraste in der Materialisierung und Farbe überzeugt. Da und dort gingen den Entscheidungen engagierte Diskussionen voraus. Da kam zum Beispiel seitens der Bauherrschaft der Wunsch auf, an der Südfassade einen Balkon anzubringen. «Unpassend» – befanden Architekt und Denkmalpflege und brachten als Alternative die Idee des verlängerten und laubenartigen Treppeneingangs ins Spiel, was definitiv stimmiger und praktischer ist und letztlich alle zufriedenstellte.

 

Auf Umwegen zu einer sinnvollen Lösung ist man beim Thema Garagentor gekommen. Luthigers plädierten anfänglich für ein Kipptor, was für ein Gebäude mit Jahrgang 1790 nicht wirklich typisch ist, weshalb die Denkmalpflege die Idee eines Flügeltors einbrachte. Gegen diese Variante sprach allerdings der unebene Boden, der das Öffnen und Schliessen erschwert hätte. Nachdem schliesslich der neue Eingangsbereich realisiert war, sah die Ausgangslage aber ohnehin wieder anders aus und die Version Kipptor war plötzlich wieder im Rennen. Damit konnten sich schliesslich alle Involvierten anfreunden. Dieses verschwindet bei offener Garage elegant unter der neuen Holzlaube. Bei geschlossener Garage harmonisiert es bestens mit der Fassade. Die Quintessenz davon? Manche Ideen müssen zuerst verworfen werden, bis sie – unter anderen Vorzeichen – letztlich doch überzeugen.

 

Involvierte Firmen: Hegglin Cozza Architekten, Zug; Hürlimann GmbH, Walchwil; Hauri AG, Staffelbach; Josef Ineichen, Rupperswil; Boog Schreinerei AG, Hünenberg; Maler Huwiler AG, Hünenberg; Involvierte Amt für Denkmalpflege und Archäologie: Anke Köth (Baubegleitung)

 

Das Denkmal in Kürze

 

Das Sennhaus mit Speicher aus dem späten 18. Jahrhundert (um 1790) gehört zur in der Reussebene gelegenen Hofgruppe Drälikon. Es ist über einem massiven Sockelgeschoss als eingeschossiger Ständerbau konstruiert und verfügt über ein geknicktes, mit Biberschwanzziegeln eingedecktes Teilwalmdach. Das ehemalige Ökonomiegebäude bildet zusammen mit dem benachbarten, geschützten Wohnhaus und dem modernen Stöckli ein intaktes Kleinensemble am Fuss der Hünenberger Weinrebenhalde. Ursprünglich umfasste die Hofanlage zahlreiche Nebengebäude. Heute ist davon einzig das Sennhaus mit Speicher erhalten.