PUBLIKATION

Denkmaljournal / CH Media

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.4.2021

BEHAGLICHKEIT IST TRUMPF

 

Das «Bommerhüttli» in Unterägeri ist nach einer umfangreichen Sanierung fast nicht wiederzuerkennen. Am 350-jährigen Gadenhaus lässt sich ablesen, wie ländliche Bauten beispielhaft modernisiert werden können. Korporation, Holzbauprofis und Architekturbüro sei Dank.

 

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass eine Bauherrschaft allenfalls skeptisch reagiert, wenn klar wird, dass bei einer Sanierung die Denkmalpflege mitredet. Klar, bei Bauprojekten reden immer viele Fachleute und Behörden mit, und es müssen unzählige Gesetze, Reglemente, Vorgaben und Aspekte berücksichtig werden. Steht aber ein Haus unter kantonalem Schutz, kommt ein weiterer Player hinzu. Ein Player, der Ideen, Vorstellungen und einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat. «Dessen waren wir uns bewusst. Die Korporation als Eigentümerin der Liegenschaft ist darum mit einer positiven Grundhaltung in diesen Prozess gestartet», erklärt Korporationsschreiber Thomas Hess. «In Detailfragen haben wir den Baufachleuten vertraut und selbst den Blick fürs Ganze bewahrt.» Das Projekt, meint er zufrieden, sei von Anfang an unter einem guten Stern gestanden.

 

Erworben hat die Korporation die Liegenschaft allerdings aus einer Art Notlage. Sie suchte einen Platz, um in der Nähe des Dorfzentrums einen neuen Werkhof zu bauen, was gar nicht so einfach war. Man suchte und suchte und wurde nicht fündig. Erst das Gespräch mit der Erbengemeinschaft Iten-Heinzer brachte schliesslich die Lösung. Diese war bereit, der Korporation ihre Liegenschaft Bommerhüttli samt gleichnamigem Gadenhaus zu verkaufen, damit sie auf dem Areal ihren neuen Werkhof realisieren konnte. Für das alte Haus hatte die Kaufinteressentin freilich keine Verwendung. Es war bis vor Kurzem nur mit einem Plumpsklo ausgestattet und verfügte nicht einmal über fliessendes Wasser. Das Holzhaus wirkte heruntergekommen und sollte früher oder später einem Neubau weichen. Eine Sanierung war jedenfalls keine Option.

 

Tatsächlich? Eine von der Denkmalpflege in Auftrag gegebene Studie zeichnete – konträr zum ersten Eindruck – ein anderes Bild. Der historische Kernbau war intakt und im Innern viel originale Bausubstanz erhalten. Das Vielzweckhaus, so die Studie, könne durchaus umgenutzt werden und stehe einem neuen Forstwerkhof auf dem gleichen Areal nicht im Wege. Auch die Realisierung eines zeitgemässen Raumprogramms sei darin möglich. Im Herbst 2008 stellte das Amt für Raumplanung der Korporation schliesslich die Bewilligung für den Bau des neuen Werkhofes in unmittelbarer Nähe des Bommerhüttlis in Aussicht. Bedingung: Das historische Haus muss stehen bleiben und saniert werden. Mit diesem Vorschlag erklärte sich die Korporation einverstanden und beantragte im Frühling 2009 die Unterschutzstellung des Gebäudes beim Kanton. Die Zuger Regierung sah die Voraussetzungen für einen Schutz gegeben und gab ihren Segen noch im gleichen Jahr, am 21. Dezember 2009. Was für eine Bescherung, so kurz vor Weihnachten!

 

Nun galt es nur noch die Korporationsbürger zu überzeugen, was allerdings nicht so schwer war. Die traditionsbewussten Bürger hiessen erst einen Projektierungskredit in der Höhe von 50000 Franken und etwas später einen Baukredit von 1,9 Millionen Franken einstimmig gut. Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs, zu dem sechs Büros eingeladen wurden, ging Zumbühl & Heggli schliesslich als Siegerin hervor. Das Büro hat mit denkmalgeschützten Bauten langjährige Erfahrung und überzeugte mit Referenzen und mit dem präsentierten Vorschlag. Primär galt es, das dreigeschossige Gebäude zu ertüchtigen und neu als Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung zu konzipieren, wobei letztere als eine Art «Haus im Haus» zu integrieren war. Dies gelang. Die beiden Wohnteile – beide verlaufen über drei Etagen – verfügen seit der Sanierung über je einen eigenen Zugang, sind aber mit einer Tür miteinander verbunden. Falls sich nun jemand wundert, was mit dem einstigen Anbau passiert ist, dem sei gesagt: Dieser wurde mit dem Segen der Denkmalpflege abgebrochen, sodass die ursprüngliche Aussenwand des ehemaligen Stalls jetzt wieder sichtbar ist. Damit die neu entstandene Fassade und ihre wertvollen alten Balken nicht total der Witterung ausgesetzt sind, hat man zwei zum Haustyp passende Klebedächer montiert.

 

Faszinierend ist, wie es den Bauprofis gelungen ist, die Instandstellung von Böden, Wänden, Decken und Treppen so zu realisieren, dass bestehende und neue Elemente zwar optisch klar voneinander unterscheidbar sind, als Teile eines grossen Ganzen aber harmonisch zusammenfinden. «Dies ist der Kreativität, dem Engagement und dem Know-how der Architekten und Zimmerleute zu verdanken», so Bauberater Oliver Tschirky von der Denkmalpflege. Die dendrochronologische Datierung ergab, dass die ältesten Balken aus der Zeit um 1620 stammen und die jüngsten um 1780; Jahreszahlen, die bei den beigezogenen Holzbauprofis offenkundig Ambitionen weckten, dem Holzbauwerk auch im Hier und Jetzt mit hoher Qualität gerecht zu werden. Morsche und faule Holzteile mussten sorgfältig entfernt und durch neue, formgleiche Balken ersetzt werden. Viel Zimmermannskunst steckt auch in der gedeckten Laube, die vom alten Riegelbau gestützt wird und von aussen mit einer neuen Bretterschalung verkleidet wurde. Da lässt es sich trefflich verweilen – selbst bei einem Sommerregen.

 

Wie viel Freude und Interesse ein solches Sanierungsprojekt bei der Bevölkerung auslösen kann, zeigte der Tag der offenen Tür, welchen die Korporation im Juni 2021 organisierte. «Tout Ägeri» strömte ins Bommerhüttli und erkundete neugierig alle Ecken und Nischen, Etagen und Räume, insbesondere die mit Bohlenbrettern und Holztäfer ausgestattete Stube. Hier kann man es sich auf der Eckbank gemütlich machen, schaut aus den vielen kleinen Sprossenfenstern und denkt: Zum Teufel mit den heutzutage in jeder Broschüre beworbenen «lichtdurchfluteten Räumen» mit bis zum Boden reichenden Fenstern, die nachts zu bedrohlichen schwarzen Löchern werden. Behaglichkeit ist Trumpf!

 

Zwei Attraktionen zogen die Besucher besonders in ihren Bann: Das aus Ahornholz gefertigte Louis-XVI-Buffet mit geschnitzten Ornamenten von 1780/90 und der blau-weisse Kachelofen mit klassizistischen Verzierungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Beide Innenausstattungen wurden saniert und instand gestellt. Klare Zeugen der Gegenwart sind die schlichten Einbauküchen und Nasszellen, die geschickt in bereits vorhandene oder eigens geschaffene Raumnischen gebaut wurden und der künftigen Mieterschaft den üblichen Komfort bieten.

 

Eingezogen ist diese im Oktober 2021 und bereut es keinen Moment: «Wir haben viel Platz, geniessen die Räume, und wenn am Wochenende unsere Kinder kommen, füllt sich das Haus mit Leben», sagen Tina und Michael. Das Ehepaar reagierte auf das Online-Inserat der Korporation und ist aus dem Kanton Thurgau hierhergezogen. Da die beiden viel Platz schätzen, häufig im Homeoffice arbeiten und auch Freunden und Verwandten eine Übernachtungsgelegenheit bieten möchten, haben sie beide Teile gemietet: das 160 m2 grosse Haus und die 60 m2 grosse Atelierwohnung. «Die historische Innenausstattung macht aber nur einen Teil des Reizes aus. Was uns genauso begeistert, ist der grosszügige Umschwung. Das gefällt auch unseren Hunden und Katzen», erklärt Tina. Erste Kontakte haben die Ostschweizer im Ägerital längst geknüpft und dabei realisiert, welchen Bekanntheitsgrad das Bommerhüttli hier geniesst. «Erzählen wir, wo wir wohnen, ernten wir neidische Blicke und ebensolche Kommentare.»