PUBLIKATION

Denkmaljournal / CH Media

ZUSAMMENARBEIT

Christian Senti (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.4.2022

BACKSTEINBAU MIT KLASSE

 

Das Schulhaus Röhrliberg 1 wurde auf Wunsch der Gemeinde Cham unter kantonalen Schutz gestellt. Zum Glück und zur Freude aller Beteiligten. Der neu erlangte Status führte zu einer in jeder Hinsicht gelungenen Sanierung und Erweiterung des legendären Backsteinensembles.

 

Gemessen am rasanten Wandel, den das Bildungswesen in den letzten sechzig Jahren erfahren hat, ist es verblüffend, dass sich ein Schulhaus, das 1968 geplant und 1973 gebaut wurde, in seiner Grunddisposition bis heute bewährt. Mehr noch: Das Gebäude überzeugt und besticht, weil es über Qualitäten verfügt, die nichts mit Jahreszahlen oder Bildungstrends zu tun haben, sondern Generationen überdauern. Das Schulhaus Röhrliberg 1 des Architekten Josef Stöckli ist so ein Exemplar. Im Kanton Zug gehört es in der Baukategorie «Nachkriegsmoderne» zu jenen Gebäuden, die Kultstatus geniessen. Denkmal Röhrliberg! Heisst das: Hände weg von der architektonischen Ikone?

 

Im Gegenteil. Für den Zürcher Architekten Marcel Baumgartner waren es gerade die vorhandenen Qualitäten, die ihn am Sanierungs- und Erweiterungsprojekt reizten. Dieses konnte er zwischen 2019 und 2021 dank eines gewonnenen Wettbewerbs im Auftrag der Gemeinde Cham realisieren. «Schulhaus, Turnhalle, Aula und Bibliothek sind als klassischer Campus angelegt. Diese Struktur überzeugt. Die einzelnen Gebäude greifen klug ineinander und das Erscheinungsbild ist durch die konsequente Materialisierung mit Backstein geprägt», so Baumgartner. Auf diesen für die Anlage so typischen Qualitätsmerkmalen habe er aufgebaut. Baumgartner wollte dem Gebäude keinen eigenen Stempel aufdrücken, geschweige denn sich selbst verwirklichen. «Ich blickte zurück, studierte die

alten Pläne, wollte wissen und verstehen, auf welcher Idee Josef Stöcklis Entwurf basierte, und
orientierte mich bei der Erweiterung stark am Original.» Wichtigste Erkenntnis: Die Morphologie der Anlage basiert auf einem Raster, dessen Ursprung im Modul des Backsteins liegt. Konkret: Das Mass des Backsteins mit 25 cm Länge, 12 cm Breite und 13,5 cm Höhe definiert die Grundgeometrie der Anlage – «ähnlich wie beim Bau mit Legosteinen», erklärt Baumgartner. Die Übernahme des historischen Rasters, aber auch der Materialisierung und Farbigkeit führte schliesslich dazu, dass Alt und Neu harmonisch miteinander verschmelzen.

 

Tatsächlich muss man genau hinschauen, um zu erkennen, welche Gebäudeteile ergänzt wurden und welche seit Jahrzehnten stehen, wo am Bestand angedockt wurde und wo die Baukörper
unverändert blieben. Der Laie nimmt zunächst vor allem ein stimmiges Gesamtbild wahr, das sich wunderbar in die von Hochstammbäumen und Blumenwiesen geprägte Hügellandschaft
fügt. Fakt aber ist: Das rechtwinklige Schulgebäude wurde an zwei diagonal gegenüberliegenden Stellen um zwei komplett neue Schulzimmer ergänzt. Ein weiteres Geschoss spannt sich schliesslich über den gesamten Fussabdruck des Schulhauses. In einem neuen Volumen auf dem Dach der Turnhallengarderoben wurde schliesslich eine neue Bibliothek realisiert. Durch diese Massnahmen konnte für die Schulnutzung 40 Prozent mehr Fläche generiert werden, durch die neue Bibliothek

kamen 10 Prozent dazu – und dies, ohne dass die Proportionen der Bauten zueinander leiden
würden. Wenn das kein Mehrwert ist! Die Gemeinde, konfrontiert mit steigenden Schülerzahlen,
schätzt sich glücklich.

 

Ein Augenschein vor Ort bestätigt: Das Areal funktioniert auch für die Nutzer. Punkt 10 Uhr strömen Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Trakten Richtung Innenhof, verteilen sich wie selbstverständlich auf den Flächen, verschieben sich plaudernd in Nischen, verweilen auf unterschiedlichen Ebenen, formieren Gruppen, bilden neue. Die Staffelung der Höhen und die grosszügigen Verbindungswege zwischen den Gebäudeteilen generieren diverse Aufenthaltsflächen mit Sitzgelegenheiten und Unterständen. Wo immer man geht und steht: Man fühlt sich wohl und keineswegs exponiert. Diese Behaglichkeit gibt der Bau auch im Innern wieder, was einerseits der unaufgeregten und wertigen Materialisierung aus Stein, Holz und Beton geschuldet ist, anderseits der durchdachten Raumkonzeption. Flexibel gestaltbare Klassenzimmer können je nach Bedürfnis um Vorbereiche und Flurflächen vergrössert werden. Ob Frontalunterricht, Workshops, Vortragsstunden oder Gruppenarbeiten – das Gebäude passt sich allen nur erdenklichen Lernsituationen an und ist für die Zukunft gerüstet.

 

Der von Respekt geprägte Umgang mit diesem Chamer Denkmal ist umso bemerkenswerter, weil das Schulhaus noch gar nicht unter Schutz stand, als das Architekturbüro im Jahre 2014 den Wettbewerb für den Auftrag gewann. Vielmehr hatte man ursprünglich ganz andere Ideen und plante für die energetische Sanierung der Gebäudehülle eine Aussenwärmedämmung mit Keramikplatten. Erst als sich Architekt, Gemeinde und kantonale Denkmalpflege in Verbindung setzten und begannen, sich intensiv mit dem architekturhistorischen Wert der Anlage zu beschäftigen, stellte die Gemeinde Antrag auf Unterschutzstellung. Diese erfolgte im Jahre 2016. Unter den neuen Vorzeichen wurde entschieden, das Sichtmauerwerk zu erhalten und die Anbauten und Aufstockungen im Innern zu dämmen. Zum Glück! Das rostrote Backsteinkleid macht auch im 21. Jahrhundert eine gute Figur und wirkt in Ergänzung zu den Pflastersteinen aus Porphyr richtig klasse. Zweckmässig mutet der braune Nadelfilzteppich an, gewagt die knallgrün gestrichenen Türen und die darauf applizierten farbigen Emailflächen, die von der Künstlerin Eva Pauli stammen.

 

Mit Doyen Josef Stöckli – er verstarb 2021 – stand die Gemeinde während der Planung übrigens in regelmässigem Kontakt. Die Meinung des angesehenen, selbstbewussten, bisweilen auch eigenwilligen Architekten wurde abgeholt, und Marcel Baumgartner war offen für die Ratschläge des 46 Jahre älteren Berufskollegen. Was nicht heisst, dass man sich nicht dennoch von gewissen Altlasten befreite. Ohne schlechtes Gewissen hat man etwa die zwar originalen, aber in die Jahre gekommenen beigen Rafflamellen-Storen durch kräftig blaue textile Ausstellmarkisen ersetzt. An sonnigen Tagen sorgen sie am Röhrliberg für einen willkommenen Farbakzent.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Das Denkmal in Kürze


Die Oberstufenanlage Röhrliberg wurde 1973 von Josef Stöckli gebaut und ist als klassischer Campus angelegt. Um den gepflästerten Pausenplatz gruppieren sich Unterrichtsgebäude, ein Trakt mit Aula und Singsaal sowie zwei Turnhallen. Gemeinsam sind den mehrgeschossigen Gebäuden kubische, abgewinkelte Volumen. Die vier Flachdachbauten gewinnen ihre Qualitäten durch die leicht erhöhte Lage sowie die einheitliche Materialisierung. Beton und Backstein sind zwei dominante Materialien und finden sich im Äussern wie im Innern. Prägend sind auch die dunklen Fenster aus Sipoholz und die in roten Tönen gehaltene Pflästerung.