PUBLIKATION

Denkmaljournal / CH Media

ZUSAMMENARBEIT

Regine Giesecke (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.4.2022

HAUS DER KINDHEIT

 

Das Haus am Guggitalring 8 in Zug ist geprägt von Farbigkeit und bauzeitlich typischen Materialien, Formen und Oberflächen. Auf diese Qualitäten richtete sich der Fokus auch bei der Restaurierung. Die Eigentümerin konnte diese coronabedingt nur aus der Ferne begleiten, ist mit dem Resultat aber rundum glücklich.

 

Es gibt Häuser, die sehen von aussen so verheissungsvoll aus, dass man als Passantin viel dafür geben würde, kurz einen Blick reinwerfen zu können – aus purer Neugier oder weil der Bau auch im Innern etwas Aussergewöhnliches erahnen lässt. Die Liegenschaft Guggitalring 8 in der Nähe des gleichnamigen Hotels in Zug ist so ein Haus. 1955 an aussichtsreicher Hanglage erstellt, handelt es sich bei diesem wunderbaren Vertreter der Nachkriegsmoderne um ein Einfamilienhaus, das nicht nur Fans dieser Architekturepoche begeistert.

 

Denn nicht nur das Haus stammt aus der Bauzeit, sondern auch ein grosser Teil der Innenausstattung und zahlreiche Möbelstücke wie Sessel, Tische und Lampen. Materialien, Formen und Oberflächen – sehr vieles ist im Originalzustand erhalten bzw. wurde im Sommer 2021 in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege behutsam saniert und aufgefrischt. «Die vorgängige Unterschutzstellung des Hauses machte Sinn», erzählt Katharina Dalcher, die der Besucherin Einlass gewährt und sie auskunftsfreudig durch alle Räume führt. Die gebürtige Zugerin hat im Haus ihre Kindheit verbracht, lebte aber bis vor kurzem in Berlin und war im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) oft im Ausland unterwegs. Nach dem Hinschied beider Elternteile ist sie nun im letzten Sommer mit ihrem Mann von Deutschland nach Zug heimgekehrt und hat die Liegenschaft übernommen. «Meine Mutter liebte dieses Haus und liess uns Kinder wissen, dass ihr der Erhalt eine Herzensangelegenheit sei. Auch für uns Geschwister war ein Abbruch nie ein Thema.»


Wahrnehmbar sind zwei pavillonartig gegeneinander versetzte Baukörper mit klugem Grundriss, klaren Linien, wunderbaren Räumen, sorgfältig ausgestalteten Einbauten und Ablagen. Prägend und besonders augenfällig sind die gezielt eingesetzten und markanten Farbakzente auf Böden, Türen, Decken, Wänden und Textilien. Ihnen schenkte man bei der Sanierung besonders viel Aufmerksamkeit. Rotes Linoleum, holzverkleidete braune Wände sowie orangefarbene Türen markieren den Eingangsbereich. Ein rotes Staketengeländer mit schwarzem Handlauf passt zu eleganten Treppenstufen aus Kunststein. Gelb und Blau gestrichene Holzdecken sorgen in Zimmern und Gängen für Behaglichkeit. Auf schwarz-weiss marmoriertem Vinylbodenbelag stösst man in Küche und Office. Der Geist und die Architektursprache der 1950er Jahre, aber auch die persönliche Handschrift des Architekten sind so allgegenwärtig, dass man nicht erstaunt wäre, wenn plötzlich Leo Hafner  auftauchen würde, der das Wohnhaus entworfen und zusammen mit seinem Geschäftspartner Alfons Wiederkehr vor 67 Jahren realisiert hat. Es strahlt eine Modernität aus, von der manche Neubauten meilenweit entfernt sind.

 

Wohn- und Essbereich setzen auf Offenheit und sind mit zwei schwebenden Kunststeinstufen verbunden. Eine Kaminecke und ein Einbausofa bieten Verweilmöglichkeiten inklusive Seesicht. Schlafzimmer, Nebenräume und Küche sind auf Privatheit und Rückzug angelegt und mit schmalen Fensterbändern versehen. Von einem hohen Qualitätsanspruch zeugt auch die gekonnte Anbindung von Innen- und Aussenräumen sowie die stimmungsvolle Gartengestaltung mit Rasenflächen, Kletterpflanzen, Steinplatten, Stauden, Büschen und Bäumen. Die ausladende Pergola auf dem Sitzplatz: unaufgeregt und stilvoll. Das rechteckige Betondach auf Metallstützen: elegant und zweckmässig. «Hier hat man nicht einfach ein Haus hingestellt, sondern ein Aufenthaltskonzept verwirklicht, das im klaren Zusammenspiel bis heute funktioniert», sagt Architekt Wolfgang Antosch, Partner der Nachfolgefirma von Hafner & Wiederkehr.


Antosch hat die Sanierung in Zusammenarbeit mit Anke Köth, Bauberaterin bei der Denkmalpflege, realisiert und denkt gerne an das Projekt zurück. «Gemeinsam überlegten wir, wie schadhafte Materialien oder Oberflächen schonungsvoll restauriert oder ersetzt werden können und wo welcher Aufwand gerechtfertigt war.» Bei den gelben und blauen Holzdecken, aber auch vielen Wänden habe man bewusst auf einen neuen Farbanstrich verzichtet, die Oberflächen stattdessen einer sorgfältigen Reinigung unterzogen und wo nötig ausgebessert. Allerdings nicht um Geld oder Zeit zu sparen, sondern weil dadurch Strukturen von Holz und Putz sichtbar blieben. Um die ursprünglichen Fenster zu behalten, hat man nur die bestehenden Gläser mit Isolierglas ausgetauscht, was sich energetisch positiv auswirkt. Die Dächer wurden neu abgedichtet. Zwingend nötig war die Erneuerung der haustechnischen Installationen, da die Verkabelung teilweise noch aus den 1950er Jahren stammte. Die hübschen bauzeitlichen Lichtschalterleisten wurden anschliessend wieder montiert. «Sie erzeugen beim Ein- und Ausschalten so ein schönes Klick-Geräusch», freut sich Katharina Dalcher. Auch die Sonnerie der Haustür ist noch im Original erhalten. Tatsächlich: Drückt man auf den Knopf, vernimmt man ein klangvolles «Ding-Dong», wie man es aus der Kindheit kennt.


Die Freude am Dauerhaften und das Bewusstsein für die Wertigkeit von Materialien und Gegenständen war schon bei Katharinas Mutter Hanni Dalcher ausgeprägt. Sie scheute keinen Aufwand, in die Jahre gekommene Textilien stil- und fachgerecht ersetzen zu lassen, sodass sie für weitere Jahrzehnte ihren Zweck erfüllen konnten. Die beigen Vorhänge in der Stube liess Hanni Dalcher bei einer bekannten Handweberin aus Burgdorf nach altem Muster nachweben. Als das fix in der Stube montierte Sofa frisch bezogen werden musste, kontaktierte sie für die Erneuerung des Stoffes ein Fachgeschäft in Müstair. Wer sagt, dass Nachhaltigkeit eine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist?


Die von allen Beteiligten als konstruktiv empfundene Zusammenarbeit ist umso bemerkenswerter, als Bauherrin Katharina Dalcher während der fünfmonatigen Bauzeit nicht ein einziges Mal vor Ort sein konnte. Im Ernst jetzt? Corona- und Lockdown-bedingt verfolgte sie die Sanierung zuerst von ihrem damaligen Wohnort Berlin aus, später dann aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum, wohin sie vom EDA für mehrere Monate entsandt worden war. «Mit dem Architekturbüro und der Denkmalpflege stand ich während der gesamten Bauzeit nur per Telefon und E-Mail in Kontakt», erzählt Dalcher. «Getroffen haben wir uns erst, als ich von Berlin nach Zug zog.» Zu einer weiteren Begegnung kam es dann am 11. September 2021, als das Haus nach geglücktem Facelifting im Rahmen der europäischen Denkmaltage von der Zuger Bevölkerung besichtigt werden konnte. Bauherrin, Bauberaterin und Architekt standen den interessierten Denkmalfans Red und Antwort.

 

Das Schlusswort gehört Leo Hafner, der nicht nur für seine bauliche Tätigkeit hoch angesehen
war, sondern sein Architekturverständnis auch schriftlich festhielt: «Wohnlichkeit, Behaglichkeit, physisches und psychisches Erleben von Räumlichkeit sind für mich keine Schlagworte, sondern das direkte Ergebnis von Architekturgeschehen», schrieb er im Vorwort der Publikation «40 Jahre – 40 Objekte», die das Architekturbüro 1988 zum Firmenjubiläum herausgab. Und weiter: «Bauen ist weder Selbstzweck noch Selbstdarstellung, sondern die wohldurchdachte Disziplinierung und Zurückhaltung im Erscheinungsbild von Gebäuden.» Das Wohnhaus am Guggitalring 8 bringt diese ehrenwerte Haltung exemplarisch zum Ausdruck.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Das Denkmal in Kürze


Das Haus Dalcher von Hafner & Wiederkehr wurde 1955 gebaut und ist ein typischer Vertreter der
Nachkriegsmoderne. Es setzt sich aus zwei pavillonartig gegeneinander versetzten Baukörpern zusammen. Charakteristisch für die Fassade sind die vertikal gerillten, blau gestrichenen Betonelemente, die an Holzverschalungen erinnern. Der südliche Baukörper ist von einem Schmetterlingsdach gedeckt, einer Dachform, bei der zwei einander zugeneigte Dachflächen v-förmig verbunden sind. Der nördliche Baukörper ist von einem Pultdach gedeckt, einer Dachform, die aus nur einer geneigten Dachfläche besteht.