MIT LICHT UND LEINTUCH
In der Zuger Kita Hofmatt lernen Kinder spielend und beiläufig. Wie intensiv und dynamisch das geschieht, überrascht die Erzieherinnen immer wieder aufs Neue.
Ist es denn wirklich nötig, dass schon Kleinkinder wissen, wie man sich auf Russisch und Chinesisch «En Guete!» wünscht? Wer sich im Sprachzimmer der Kita Hofmatt in Zug umschaut, könnte dies meinen. In sage und schreibe 18 verschiedenen Sprachen kleben dort an einer Pinwand bunte Zettel mit entsprechenden Übersetzungen: «afiyet olsun» heisst es auf Türkisch, «lekker eet» auf Afrikaans, «buen provecho» auf Spanisch, «Nyd dit maltid» auf Dänisch, «bon appetyt» auf Polnisch, «Приятного аппетита» auf Russisch, «Насладете се на яденето» auf Bulgarisch, «เพลิดเพลินกับมื้ออาหารของคุณ» auf Thailändisch.
«Keine Sorge», beschwichtigt Janina Galante, «wir erteilen hier keinen Sprachunterricht, die Sache ist spontan entstanden.» An einem Mittagessen gab ein fremdsprachiges Kita-Kind plötzlich ein Müsterchen in seiner Muttersprache preis, worauf die anderen nicht auf sich warten liessen und sofort mitzogen. Schon bald vergnügte sich die Runde beim Austausch unterschiedlichster Sprachbrocken und hatte ihren Spass. Die Erziehenden nahmen den Ball auf und ermunterten die Kinder, mit Hilfe von Eltern, Geschwistern und Freunden weitere Beispiele zu sammeln und diese in die Kita zu bringen. Der Rücklauf war immens und erstaunte die Kinder selber. Wie viele Sprachen es doch gibt und wie unterschiedlich die klingen! Besonders faszinierend: Da existieren Schriftzeichen und Alphabete, die man zuvor noch nie gesehen hat.
Das Beispiel illustriert, wie die Kita Hofmatt die von ihr betreuten Kinder spielend lernen und Kompetenzen aufbauen lässt: nicht forciert, ziel- und ergebnisorientiert, sondern situativ und eher beiläufig. «Jedes Spiel enthält die Komponente des Lernens», ist Janina Galante überzeugt, «jene des impliziten, explorativen und intrinsisch motivierten Lernens.» Die 29-jährige Erzieherin HF hat sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und meint, dass der lernfördernde Effekt des Spiels wenn nicht verkannt, so doch generell unterschätzt wird. Dazu beigetragen hat ihrer Ansicht nach auch die Fokussierung auf die Frühförderung. Vor lauter Fokussierung auf das «richtige», «überprüfbare» Lernen blieb das Spiel mitunter auf der Strecke.
Sie braucht doch die Kinder in der Hofmatt nur zu beobachten, wie sie in Rollen schlüpfen und Szenen nachspielen, wie sie mit Licht und Leintuch experimentieren und faszinierende Schattenspiele an die Wand zaubern, wie sie sich mit grossem Eifer verkleiden, wie sie hochkonzentriert Nussschalen, Tannzapfen und Kieselsteine sortieren und in unterschiedlich grosse Gefässe abfüllen, wie sie aus Zeitungen Kleider basteln, wie sie musizieren und werken, alte Radios und Kassettenrekorder auseinandernehmen, wie sie mit Bauklötzen Türme bauen und mit Holzschienen Bahnstrecken verlegen. Da wird konstruiert und geplant, was das Zeug hält. Wie sagte so treffend der russische Schriftsteller Maxim Gorki: «Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis der Welt, in der sie leben.»
Janina Galante erlebt tagtäglich, wie wahr diese Aussage ist. Sie ist zudem überzeugt: Kinder brauchen keine Anweisungen oder Instruktionen für ihr Spiel, höchstens mal einen sanften Input, einen Anstoss. Da reicht es, den Kindern das Modell eines Bauernhofs hinzustellen, damit sie wenig später mit Karton, Stift und Schere einen Anbau ganz nach ihrem Geschmack kreieren, damit die Kühe und Pferde noch mehr Platz haben. Eine Spielsequenz gewinnt so an Dynamik und Intensität, angetrieben vom Bedürfnis, den Tieren – auch wenn sie nur aus Kunststoff sind – möglichst viel Auslauf zu gewähren.
Die Erziehenden im Hofmatt-Team verwenden nicht wenig Zeit darauf, die ihnen anvertrauten Kinder im Spiel zu beobachten, Verhaltensweisen und Aktivitäten zu dokumentieren und zu reflektieren. Grundlage dafür bildet das im Jahre 1997 entwickelte «infans»-Konzept, bei welchem die pädagogische Arbeit individuell auf das einzelne Kind und dessen Interessen abgestimmt ist. Die Idee dahinter: das Kind selber signalisiert durch sein Spiel, in welche Richtung es lernen, seine Talente entfalten und Ressourcen einsetzen will. Bei der konzeptionellen Arbeit nach «infans» stellt Galante immer wieder fest, wie viel Energie in der kindlichen Beschäftigung steckt und wieviel Kraft die Kleinen wiederum aus dem Spiel schöpfen. Unbeabsichtigt geben Kinder etwa im Rollenspiel nicht wenig von ihrer Persönlichkeit preis. Da gehe es oft um Gut und Böse, um Ethik und Moral. Für das Hofmatt-Team bieten solche Momente mitunter einen Steilpass, um mit den Kindern niveaugerecht über gesellschaftliche Fragen zu diskutieren, über Gefühle und Ansichten, Vorstellungen und Meinungen. Und selbstverständlich wird in geselliger Runde auch das eine oder andere Thema aus dem aktuellen Weltgeschehen diskutiert, werden Argumente in Diskussionen ausgetauscht. Wenn das kein Lernen ist!
Dass sie den Beruf der Erzieherin ergreifen will, zeichnete sich bei Janina Galante im Laufe der Sekundarschulzeit ab. Hoch motiviert durchlief sie nach der dritten Sek die dreijährige «FaBe»-Lehre in der Hofmatt, wechselte anschliessend in eine andere Kita, um anschliessend wieder an ihren geliebten Ausbildungsort zurückzukehren. «Ich hatte Lust, mich vertieft mit der Entwicklung von Kindern auseinanderzusetzen und realisierte, dass ich in der Hofmatt die besten Rahmenbedingungen dafür vorfand.» Im Oktober 2015 startete sie schliesslich die tertiäre HF-Ausbildung bei CURAVIVA, um diese im September 2018 mit dem entsprechenden Diplom abzuschliessen. Der berufsbegleitende Lehrgang, bilanziert sie, habe primär ihr Verständnis für pädagogische und entwicklungspsychologische Fragen geschärft, aber auch grundsätzlich den Horizont in Bildungs- und Erziehungsfragen erweitert. Das A und O sei aber, dass man die Theorie
immer wieder mit der Praxis abgleichen könne.
Janine Galante führt die Besucherin durch die Räumlichkeiten und sprüht vor Begeisterung, gerät ins Schwärmen, wenn sie über ihren Alltag spricht, die unterschiedlichen Kinder, das tolle Team, und die Räumlichkeiten. Doch was heisst da Räumlichkeiten! Eingemietet ist die Kita in einer Traumliegenschaft der Bürgergemeinde Zug, die sich in einem idyllischen Wohnquartier befindet, nahe am See. Vor kurzem wurde die Liegenschaft einer umfangreichen Sanierung unterzogen und um einen clever konzipierten Dachstock mit reizvollen Spielnischen erweitert. Ein Haus mit Charme und Patina, ein veritables Paradies für Kinder! Hinzu kommt ein mit altem Baumbestand bestückter Garten, in dem es sich wunderbar verweilen, austoben und – ja! – so richtig die Zeit vergessen lässt. Unvergesslich der Mittag, als das Team bereits besorgt nach einem Jungen suchte, der einfach nicht am Mittagstisch erschien. Strahlend kam er schliesslich aus einem mit Bärlauch bedeckten Wiesenstück gelaufen, streckte dem Koch stolz seine Ausbeute entgegen und rief: «Damit lässt sich ein feiner Pesto machen!» Spielend gelernt auch in diesem Fall!