PUBLIKATION

Buch «Die Welt entdecken»

ZUSAMMENARBEIT

Benni Weiss (Fotos)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

30.5.2021

VON KNALLGELB AUF KNALLORANGE

 

Die Schnittstellen zwischen Kitas und Kindergärten sind vielerorts noch immer nicht ideal aufeinander abgestimmt. Auffangen müssen die Ungereimtheiten die Erzieherinnen und Erzieher. Zum Beispiel in der Zuger Kita Guthirt.

 

Wichtige Weichenstellungen und neue Lebensabschnitte werden gerne mit Symbolen verdeutlicht: das frischvermählte Ehepaar schenkt sich einen Fingerring, zum Bezug der neuen Wohnung bringen Gäste Salz und Brot, mit dem Entzünden der Taufkerze wird das christliche Leben des Säuglings initiiert. Kinder, die in der Stadt Zug von der Kita in den Kindergarten wechseln, wissen um die Bedeutung solcher Symbole. Bei ihnen geht der Übertritt ins Schulsystem mit dem Farbwechsel des reflektierenden Leuchtgürtels einher. Der schimmert jetzt plötzlich nicht mehr knallgelb, sondern knallorange. «Die Kinder sind mächtig stolz darauf und freuen sich, dass auch für andere sichtbar wird: sie zählen jetzt nicht mehr zu den Kleinen», sagt Ronja Burkart. Die Kindererzieherin arbeitet seit über zehn Jahren in der Kibiz-Kita Guthirt und absolviert aktuell die tertiäre Ausbildung an der HF Kindererziehung CURAVIVA.


So bedeutsam für Kinder der Eintritt in eine andere Bildungs- oder Betreuungsinstitution sein mag: Entwicklungspsychologen appellieren, diese Übergänge so sanft wie möglich zu gestalten. Zu Recht! Schliesslich ist auch längst die Vorstellung überholt, dass in Kita und Kindergarten ausschliesslich gespielt und mit dem Eintritt in die erste Klasse der viel zitierte «Ernst des Lebens» beginnt. Vielmehr scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass Übergänge sorgfältig aufeinander abgestimmt und ineinander verzahnt werden müssen. In der Fachwelt ist von «gelingender Transition» die Rede, von «Anschlussfähigkeit» und «Schnittstellen», die sorgfältig bereinigt werden müssen.


Im Alltag der Kita Guthirt versucht man diesem Anspruch gerecht zu werden, indem beispielsweise Kita-Kinder bereits im Vorfeld einen Augenschein im Kindergarten nehmen und sich dort ein Bild von der Umgebung machen können. Schliesslich erwarten sie da neue Räume, neue Abläufe und neue Gesichter. Einmal pro Woche steht bei den Kita-Kindern zudem eine Turnstunde im benachbarten Schulhaus an. Auf diese Weise kann schon mal die neue Strecke zu Fuss zurückgelegt und gelernt werden, welche Herausforderungen der Strassenverkehr bereithält. Bewährt hat sich auch das System der Patenschaften, bei dem jedes Kind, das neu in den Kindergarten eintritt,

einen Götti oder ein Gotti zugeteilt erhält. Diese mit der neuen Umgebung bereits vertraute kindliche Bezugsperson weiss, «wie der Laden läuft», hilft bei Schwierigkeiten weiter, erleichtert den kleinen Newcomern die Startphase, macht Mut und gibt Sicherheit.


Die Umstellung ist tatsächlich nicht ohne: in der Kita verweilen die Kinder in Gruppen von 9 bis 14 Kinder, im Kindergarten können es 20 bis 25 sein. Immer wieder stellt Ronja Burkart fest, wie kräfteraubend das erste Kindergartenjahr für Kinder sein kann. Sie müssen sich da behaupten, mit neuen Regeln und Bezugspersonen klarkommen. Darum nehmen viele Kindergartenkinder, die noch für das Mittagessen in die Kita kommen, gerne die Chance wahr und legen sich dort in einem ruhigen Zimmer für eine halbe Stunde aufs Ohr.


«Transition», heisst es so oder ähnlich aus Expertenmund, «wird auf Lebensereignisse bezogen, die eine Bewältigung von Veränderungen auf mehreren definierten Ebenen erfordern und in denen Lebenszusammenhänge des Kindes entscheidende Umstrukturierungen erfahren.» Fernab von wohlformulierten entwicklungspsychologischen Theorien gilt aber auch: der Übertritt eines Kindes von der Kita ins Schweizer Schulsystem stellt – um es freundlich auszudrücken – das Planungs- und Improvisationstalent berufstätiger Eltern auf eine harte Probe. Ronja Burkart und ihre Kollegin
Jolanda Nussbaumer von der Freizeitbetreuung (so heisst in der Stadt Zug der Hort), die
jetzt ebenfalls am Tisch Platz genommen hat, nicken und schauen beim Thema etwas
besorgt aus.

Die beiden Pädagoginnen erleben es «alle Jahre wieder», wie – meist so gegen Ende Frühling – bei Stadtzuger Eltern eine gewisse Hektik ausbricht, weil nicht klar ist: Bekomme ich nach den Sommerferien für mein Kind einen Platz in der Freizeitbetreuung? Kann es dort auch wirklich fünfmal pro Woche zu Mittag essen oder muss ich für unsägliche eineinhalb Stunden aus dem Büro nach Hause hetzen, um für den lieben Nachwuchs Spaghetti, Gratin oder Wienerli im Teig aufzutischen? Und: soll ich mein Kind überhaupt in die Freizeitbetreuung schicken? Oder ist es dort mit seinen 4 oder 5 Jahren unter lauter älteren Primarschülern schlichtweg überfordert? Und wie organisiere ich mich während den Ferien? Ist da die Freizeitbetreuung geöffnet oder müssen situativ Nachbarn, Freunde, Gross- und Schwiegereltern aufgeboten werden, weil von insgesamt sechs Sommerferienwochen die Betreuung nur an vier Wochen sichergestellt
ist? Fragen über Fragen.

 

«Solange keine Zusage für einen Betreuungsplatz besteht, rate ich den Eltern, angehende Kindergartenkinder noch nicht von der Kita abzumelden», sagt Jolanda Nussbaumer. Und Ronja Burkart ergänzt: «Irgendeine Lösung gibt es am Schluss immer. Aber das Problem ist, dass sich die Planungsunsicherheit und der Stress der Eltern auf die Kinder überträgt.» Mit anderen Worten: Solange nicht ausreichend verlässliche, tagesschulähnliche Strukturen da sind, die für Eltern und Kinder eine gewisse Ruhe in den Alltag bringen, weil die Betreuung in der schulfreien Zeit garantiert ist, können die tollsten pädagogischen Betreuungskonzepte für eine «optimale Identitätsentwicklung in sozialen Systemen» ihre Wirkung nicht entfalten. Auf der Warteliste der Freizeitbetreuung Guthirt gedulden sich gegenwärtig Dutzende von Kindern. Die Mühlen der Politik und Verwaltung mahlen langsam. Und der Platz für die dringend benötigten Neubauten wird auf dem Areal auch immer rarer, obgleich der Raumbedarf für die Kinder der Freizeitbetreuung ausgewiesen ist. 


Ungeachtet dessen, dominieren das Engagement, Herzblut und die Freude, mit der Ronja Burkart und Jolanda Nussbaumer tagtäglich in ihrem Beruf als professionelle Pädagoginnen stehen. Verabschiedet sich ein Kind definitiv von der Kita und naht der letzte Tag in der vertrauten Institution, die für viele wie eine Art zweites Zuhause geworden ist, folgt das Abschiedsritual bei einem feinen Zvieri mit Kuchen. «Solche Momente sind für die Kinder, die Eltern, aber auch für uns als Team ziemlich emotional», so Ronja Burkart. Denn alle Involvierten werden sich schlagartig bewusst: jetzt geht eine Ära zu Ende und das Neue, Unbekannte steht vor der Tür