PUBLIKATION

GGZ Jahresbericht

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2021

DAS TöPFERVIRUS

 

Ylenia Müller, 29, hat während der Pandemie die Leidenschaft fürs Töpfern entdeckt und festgestellt, dass Tonkeramik gerade sehr im Trend ist – ein Blick auf Instagram bestätigt dies.

 

Das freie Drehen an der Töpferscheibe ist ein Jahrtausende altes Kunsthandwerk, das bis heute viele Menschen weltweit fasziniert. Doch die Technik soll schwieriger sein, als man meinen könnte. 

Allerdings! Wenn man einer Person zuschaut, die es kann, denkt man, das ist einfach, das probiere ich auch. Wenn man dann selbst die ersten Versuche macht, realisiert man, wie schwierig das ist. Das Zentrieren des Tons braucht unglaublich viel Geschick, Gefühl und Geduld. Wenn der Ton nicht von Anfang an exakt in der Mitte positioniert wird, hat man keine Chance, dass beim Hochziehen eine halbwegs vernünftige Form zustande kommt. Das hat mit dem Material Ton zu tun. Die erdige Masse ist in Kombination mit Wasser sehr geschmeidig und fühlt sich gut an. Doch gerät sie durch diese Geschmeidigkeit eben auch leicht aus der Form. Wichtig ist, dass die Drehscheibe von Anfang ein gewisses Tempo hat, so lässt sich der Ton besser formen und können Fehler korrigiert werden.

 

Ihre ersten Versuche machten sie vor Kurzem in einem Schnupperkurs in der Freizeitanlage Loreto. Warum gerade Töpfern?
Gestalterisch zu arbeiten hat mir schon in der Schule immer sehr viel Spass gemacht. Doch nach der Matura hatte ich plötzlich keinen Gestaltungsunterricht mehr und vermisste das kreative Arbeiten je länger je mehr. Im letzten Frühling fing ich dann mit Malen und Stricken an. Als ich realisierte, wie viel Spass mir die Handarbeiten machten, meldete ich mich schliesslich für das erste Modul des Kurses «Jetzt läuft’s rund» an, bei dem man das Töpfern an der Drehscheibe unter fachkundiger Leitung lernen konnte. Wegen Corona hatte ich plötzlich viel mehr Zeit.

 

Arbeiten Sie im Gastgewerbe oder in der Eventbrache?
Nein, ich bin Physiotherapeutin. Aber wegen der Pandemie durften wir ab Mitte März nur noch in reduziertem Masse arbeiten und ausschliesslich Klienten empfangen, die nach einer Operation zwingend mit einer Therapie starten oder diese fortsetzen mussten. In der Praxis hatten wir somit nur noch sogenannte Notfallpatienten. Ich überlegte mir, wie ich die gewonnene Zeit sinnvoll nutzen könnte. Da kam mir der Töpferkurs, der im Juni 2020 im Loreto stattfand, gerade recht.

 

Bei «Töpferkurs» denke ich an eine Gruppe Ü50-Frauen, die auf dem Weg zur «Selbstfindung» sind.
Dieses Bild haben viele Leute, aber es trifft nicht zu. In meinem Kurs waren wir lauter junge Frauen in meinem Alter. Und wie ich gehört habe, hatte es in den Nachfolgekursen sogar noch jüngere Teilnehmerinnen. Irgendwie scheint da ein Boom zu sein. Die Arbeit mit dem Naturmaterial Ton «erdet». Jedes getöpferte Produkt ist individuell, einzigartig und trägt die Handschrift der Töpferin. Die selbstgefertigten Kaffeetassen und Schälchen brauche ich entweder selbst oder verschenke ich im Freundeskreis. Keramik ist hipster, Keramik ist fancy.

 

Das alte Kunsthandwerk hat sich offenbar endgültig vom Wolle-Seide-Bast-Image befreit. In einer Zeitschrift las ich neulich die Überschrift: «Ist Töpfern das neue Yoga?»
Wer weiss? Auch auf social media ist Keramik omnipräsent. Auf Instagram wimmelt es von Fotos, auf denen wunderschöne tönerne Skulpturen, Schalen, Vasen und Teller inszeniert werden, die zuvor an der Töpferscheibe gedreht oder von Hand geformt wurden. Wunderschöne Objekte. Meine Schälchen sehen noch nicht ganz so professionell aus und sind teilweise auch ein wenig unregelmässig.

 

Üben, üben, üben.
Genau. Als mein Schnupperkurs vorbei war, besuchte ich nachmittags regelmässig die offene Werkstatt an der Löberenstrasse. Das Tolle war, dass immer eine Fachfrau da war, die bei Bedarf korrigierend eingreifen, Tipps geben und auch mal eine neue Technik zeigen konnte – zum Beispiel wie man Ton in Gipsformen auslegt, glattstreicht und wieder herauslöst. Welche Technik auch immer zur Anwendung kommt: Das Bemalen und Brennen des Tons sind weitere interessante Schritte, in einem längeren Prozess, der sich über Wochen ziehen kann. Was mir gefällt: Beim Töpfern kann man so schön die Zeit vergessen.

 

Steht noch ein weiterführender Kurs an?
Im Moment nicht. Am Montag starte ich meine neue Stelle als Physiotherapeutin in der Klinik Adelheid. Da ich mein Pensum erhöhe, bleibt mir nicht mehr so viel Freizeit. Aber wenn möglich, werde ich versuchen, die offene Werkstatt am Abend zu besuchen. Danach würde ich gerne das zweite Modul von «Jetzt läuft’s rund» belegen, um neue Techniken zu lernen und grössere Objekte zu formen; meine Kollegin ist sicher auch mit von der Partie. Die habe ich nach meinem Schnupperkurs mit dem Virus angesteckt.

 

Mit dem Töpfervirus?
Genau.