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Jahresbericht Verein für Arbeitsmarktmassnahmen

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2013

KREATIV STATT STELLENLOS

 

Als Leiterin der Halle 44 ist Esther Staub verantwortlich für 120 Beschäftigungsplätze für Arbeitslose. Manch einer, der hier zu einem Atelierjob verknurrt wird, findet am Ende Gefallen daran.

 

Gefragt nach einem Produkt der Kreativateliers, das ihr besonders gut gefällt, zögert Esther Staub, 50. «Sehr schwierig, mir gefallen die meisten Sachen.» Besonders angetan aber haben es ihr die Schachteln und Portemonnaies mit dem farbigen Landkartenmuster, die aus den bedruckten Seiten alter Atlasse entstanden sind. Die Kinderkleider, Fasnachtskostüme und Mosaikbilder sind aber auch nicht ohne!


Die ausgebildete Handarbeitslehrerin fand nach einer mehrjährigen Familienphase, in der sie sich ausschliesslich um ihre beiden Söhne kümmerte, als Wiedereinsteigerin eine Anstellung
in einem Stoffladen. Da war es ihr aber zu ruhig und zeitweise fast ein wenig langweilig. Als das Geschäft wegen tiefen Umsatzzahlen schliessen musste, stand auch für Esther Staub eine
Veränderung an. Zum VAM stiess sie im Jahr 2000 als Mitarbeiterin verschiedener Kreativateliers. Drei Jahre später wurde sie mit dem Aufbau des Kartonateliers beauftragt und übernahm
2005 die Leitung eines Teams. «Beim VAM», betont Esther Staub, «hat es mir von Anfang an gefallen, weil der Betrieb so lebendig ist.» In ihrem Team arbeiten neun Festangestellte.


Durch die Betreuung von 120 Einsatzplätzen ist Esther Staub zwar kaum noch in kreative Prozesse eingebunden, aber den Kontakt zu den Leuten auf Stellensuche, die hier während maximal drei Monaten beschäftigt sind, hat sie nach wie vor. Sie führt Arbeitsgespräche, erstellt Einsatzpläne, koordiniert Ein-und Austritte, überprüft Bewerbungen, überwacht Einnahmen und Ausgaben, kümmert sich um Buchhaltung und Weiterbildung und engagiert sich nicht zuletzt innerhalb der dreiköpf­i­­­gen VAM-Geschäftsleitung, wo gemeinsam mit RAV-Leiterin Manuela von Arx und VAM-Geschäftsleiter Fredy Omlin strategische Entscheide gefällt werden. Stehen in der Weihnachts- oder Osterzeit grössere Ausstellungen an, bringt sie sich gerne als Ideenlieferantin ein und gibt Inputs, wie die saisonalen Themen umgesetzt werden können.


Beobachtet man die Frauen und Männer, die in der Halle in irgendeiner Form kreativ sind, fällt auf, wie konzentriert sie dies tun. Ambitionen scheint es hier durchaus zu geben und der Anspruch, dass aus den vielen zur Verfügung stehenden Materialien etwas Tolles entsteht, ist hoch: mit Mosaiken bestückte Blumenvasen oder Früchteschalen, Kunstkarten aus selbst geschöpftem Papier, Kartonboxen, Kissenbezüge, Küchenschürzen, Kartoffelsäcke, Etuis für Stifte oder Toilettenartikel,
Handschuhe für den Backofen. Neben einem riesigen, mit Stoff gefüllten Holzgestell stehen zwei massive, alte, aber funktionstüchtige Webstühle: Hier entstehen farbenfrohe und qualitativ einwandfreie Teppiche in diversen Grössen, die man sich auch gut an einer Designmesse in Zürich oder Basel vorstellen könnte. Einfach ist es nicht, sich in diesem Fadensystem zurechtzufinden. Bis ein Teppich fertig ist, dauert es je nach Grösse 60 bis 70 Stunden oder noch mehr.


«Ist ein Produkt fertig, erfüllt das die Männer und Frauen durchaus mit Stolz, auch wenn sie am Erlös nicht beteiligt sind», so Esther Staub. «Wenn die Mitarbeitenden merken, dass jemand
an ihrem Produkt Gefallen findet, ist die Freude gross.» Die Hallenmanagerin ist überzeugt: In der Lage zu sein, etwas Sinnvolles, Gefragtes herzustellen, wirkt sich positiv auf das Selbstbewusstsein aus. Überhaupt scheint hier ein guter Geist zu herrschen und sich die positive Art der Vorgesetzten auf die Mitarbeitenden zu übertragen. Aus der einen oder anderen Ecke vernimmt man leise Musik aus dem Radio, da und dort berät sich ein Grüppchen über seine Arbeit, gibt sich gegenseitig

Tipps, wie am besten genäht, geschneidert, geklebt oder gefaltet wird. Auf diese Weise sind schon oft Freundschaften entstanden. Freundschaften, die weiterbestehen, auch wenn der
Einsatz in der Halle 44 beendet ist.


Nicht alle Anwesenden können sich jedoch gleich gut verständigen. Manche verfügen nur über rudimentäre Deutschkenntnisse und wirken als stille, unauffällige Schaffer. Personen, die weder schreiben noch lesen können, erhalten spezifische Unterstützung von Fachleuten. Grundsätzlich laufen die Einsätze in der Halle 44 auf freiwilliger Basis. Verfügt ein RAV-Klient über keinerlei Tagestruktur oder droht er sozial abzudriften, kann er vom RAV aber auch zu einem Einsatz «verknurrt» werden; zum Beispiel bei Verdacht auf Schwarzarbeit. Der Umfang des Arbeitseinsatzes hängt in jedem Fall von der Höhe des Arbeitspensums ab, das auf dem freien Markt angestrebt wird.

 

Wer bei der Arbeitslosenkasse für ein 100%-Pensum angemeldet ist, arbeitet auch in der Halle 44 zu 100%, wer nur für ein 50% angemeldet ist, ist auch hier in Teilzeit angestellt. Praktisch
nicht vertreten sind hoch qualifizierte Stellensuchende, die beispielsweise im Bereich Versicherung/Treuhand oder im Bankwesen tätig waren. «Wenn aber jemand aus dieser Branche Lust hat, einmal ein paar Monate kreativ zu arbeiten, ist er hier willkommen», betont Esther Staub.
Immer wieder macht sie die Erfahrung, dass RAV-Klienten, die eher widerwillig in der Halle 44 einen Einsatz starten, im Laufe der Zeit durchaus Gefallen daran finden. «Einige bedauern es
sogar richtig, wenn sie nach drei Monaten wieder gehen müssen.» Das wiederum freut die Chefin der Halle 44. «Mein Ziel ist es, dass alle Mitarbeitenden gerne an ihren Einsatz in Baar zurückdenken.»