PUBLIKATION

Magazin Werkspuren

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

2.4.2011

ES (K)LEBE DER RUNDUMMEL!

 

Was eine durch und durch unkreative Mutter von den Handarbeiten hält, die ihre Kinder von der Schule mit nach Hause mitbringen.

 

Ich kenne den Lehrplan im Schulfach «Handwerkliches Gestalten» nicht, aber ich habe Augen im Kopf und sehe: Die Ausbeute, die meine Kinder (8 und 10 Jahre alt) vom Werkunterricht nach Hause bringen, ist phänomenal! Aus Holz und Draht gefertigte Ameisen, aus Handtüchern und Kordeln gefertigte Kochschürzen, aus farbigen Klarsichtmäppchen gedrehte Propeller. Dies bringt mich zur Einsicht: in kaum einem Schulfach hinterlassen Kinder so eindrückliche und vielfältige Lernspuren wie im Gestaltungsunterricht.

 

Vornweg: Mein Handarbeitsunterricht bei Frau Betschart (Gott hab sie selig) in der Primarschule Risch (ZG) war ein Trauerspiel. Erstens sprach Frau Betschart St. Galler Dialekt, weshalb sie sich für uns innerschweizer Kinder wie eine Ausländerin anhörte. Zweitens war sie absolut humorfrei. Drittens war sie (für unser Empfinden) steinalt (über 50) und viertens trug sie seltsam gemusterte und geschnittene Röcke. Während wir strickten oder häkelten, las sie uns mit demonstrativ-frommer Mine die Geschichte über die drei Hirtenkinder von Fatima, der die Gottesmutter Maria erschienen sein soll, vor. Wir hätten – wenn schon ein Stricksoundtrack – lieber «Duran Duran» gehört. Das Schlimmste aber war, dass Frau Betschart uns bei der Wahl der Stoff-, Wolle- und Garnfarben nicht auswählen liess, bzw. uns dabei sanft manipulierte. Wenn wir für die zu strickenden Baby-Schlüttli oder Hüttenfinken die Farbenklassiker Rot und Blau bevorzugten, meinte sie: «Wötsch nid lieber  e Geel oder e Bruu nee?» Um Frau Betschart nicht zu verärgern, gab ich meistens nach.

 

Ich kenne die Gestaltungslehrerinnen meiner Kinder nicht, aber ich gehe davon aus, dass sie diesbezüglich souveräner sind. Und sie sind mir (obwohl ich sie gar nicht kenne) sympathisch, allein aufgrund der tollen Handarbeiten, zu denen sie die Kinder animieren. Entsprechend stolz und enthusiastisch bringen sie ihre Werke mit nach Hause und erklären, wie das Fabrizierte überhaupt zustande kam: Jakob: «Diese Rolle haben wir zuerst mit Kleister eingepackt, dann haben wir das getrocknet und mit so einem Glimmerzeug übermalt. Dann haben wir das Papier oben so ausgefranselt, damit es aussieht, wie ein Hundeschwanz.» Charlotte: «Und wir haben das hier gefaltet und links und rechts ein Loch gemacht, und dann diesen Rundummel mit Heissleim aufgeklebt. Und dann musste man aber aufpassen, dass das oben blieb, damit man unten die Watte reinstopfen konnte.» Nicht die bizarr anmutende Kartonpuppe mit den struppigen Haaren bzw. der breitbeinige Dackel stehen dabei im Mittelpunkt, sondern die dabei gelernten Handgriffe- und Kniffe. Das Verständnis für Gestaltungsabläufe wächst fast automatisch mit der erweiterten Kenntnis über die dafür verwendeten Materialen.

 

Gerade Kinder, die, wie meine, eine eher werkfaule bzw. unkreative Mutter haben, können zu Hause mit ihren Arbeiten auftrumpfen. Ich, die in der Freizeit entweder auf dem Bike oder hinter einem Buch (aber garantiert nie mit einer Handarbeit) zu sehen bin, lasse mich durch handgefertigte Kärtchen, geritzte Gläser, gefilzte Bälle oder bemalte Blumentöpfe tief beeindrucken. Meine Frage zur selbst gegossenen Seife «Hast Du die wirklich selber gemacht?» mag rhetorischer Art sein, aber die Begeisterung dafür ist nicht gespielt. Und wenn ich sage; dass ich die aus Holz geschnitzte Angel mit einer tadellos funktionierenden Kurbel so nie zustande gebracht hätte, dass ich schlichtweg nie auf die Idee gekommen wäre, aus Korkzapfen ein Schaf oder aus Kastanien eine Ente zu kreieren, kommt dieses indirekte Kompliment von ganzem Herzen.

 

Andererseits sind die beiden aber auch völlig baff, wenn sie merken, dass selbst bei mir vom Betschartschen Handsgi-Unterricht einige Basics hängen geblieben sind und ich im Stande bin, aus Wollfäden – eingespannt zwischen Türklinke und Bleistift – eine Kordel zu drehen, aus Garn ein Freundschaftsbändchen zu knüpfen und (wenn es denn sein muss) einen Knopf anzunähen. Kaum glauben konnten die beiden, dass das mit einer blauen Sonne bemalte «Holztruckli», das noch immer im Regal meiner Eltern bzw. ihrer Grosseltern steht, im Jahre 1980 von mir selber bepinselt wurde. «Sabine! Du konntest ja als Kind noch schlechter malen als wir jetzt!»

 

Mit der Würdigung der Werke geht es mir freilich wie fast allen Eltern. Der Platz, um sämtliche Handarbeiten aufzustellen, reicht nicht. Doch da und dort sind die Spuren gegenwärtig: im Badezimmer die mit Kunststoffkristallen verzierte und mit Badesalz gefüllte Glasschale, im Wohnzimmer der mit Buntstiften illustrierte Witzkalender, der mit geradezu kafkaesken Sprüchen aufwartet («Sagt die Null zur Acht: «Schicker Gürtel!»). Und dann schliesslich noch mein Lieblingsobjekt: das Regenrohr - eine im Innern mit Nägeln bestückte Kartonrolle, die mit Sand gefüllt ist und Regenlaute erzeugt, sobald der Sand über die Metallstifte gleitet.

 

Aufschlussreich auch die Reaktionen von Besuchern, wenn in der Wohnung ein Werk aus Kinderhand entdeckt wird. Schier grenzenlos war die Begeisterung jener Nachbarin, die bei mir auf dem Küchentisch die zum Schneemann umfunktionierte Petflasche sah, deren Innenleben (winzig kleine Styroporkügelchen) sich in ein turbulentes Schneegestöber verwandelte, sobald man ins Plastikröhrchen pustete, das in der Flaschenwand steckte.  Hat jemand Roman Signer gesagt? Hitverdächtig schliesslich auch das Holzbrett mit den umgarten Metallnägeln, das an die Fadenbilder der wunderbaren Emma Kunz (1892-1963) erinnert. Nicht dass ich bei jedem Geschmier aus Farbe an das «action painting» von Jackson Pollock denke oder in jedes schief geratene Gesicht einen Picasso hineininterpretieren möchte, aber manchen Arbeiten würde es wohl zu Ruhm gereichen, kämen sie in die Hände einer global vernetzten und gewieften Galeristin.

 

Neulich nahm mein Sohn ein Rechaudkerzchen zu Hand, löste daraus vorsichtig den Wachs und meinte: «Sabine, hast Du gewusst, dass man aus diesem kleinen Aluminiumteil einen Weihnachtsstern pressen kann?». Seither kann ich gut verstehen, warum der Donnerstagmorgen – wenn Werken angesagt ist – sein Lieblingsmorgen ist. So abenteuerlich ist Lernen nie.