PUBLIKATION

Magazin Rundgang

ZUSAMMENARBEIT

Christine Suter (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

4.8.2020

BEGEISTERUNG FüR NATUR UND TECHNIK

 

Im Frühjahr 2021 erscheint der neuste Band des Natur-und-Technik-Lehrwerks «Prisma». Biochemikerin Kathrin Durrer, Autorin der ersten Stunde, über Chancen und Tücken des Naturkundeunterrichts.

 

Meine Schulkarriere war geprägt von schlechten Noten in Mathematik, Chemie, Biologie und Physik. Woran könnte das gelegen haben?
Das kann ich nicht so einfach  beantworten. Gegenfrage: Interessierten Sie die Fächer?

 

Nicht wirklich. Halbwegs Freude bereitete mir Biologie. Die Fotosynthese fand ich spannend. In Physik und Chemie verstand ich nur Bahnhof.

Die Fächer Physik und Chemie sind sehr abstrakt. Viele Schülerinnen und Schüler finden keinen Zugang. Ich bin aber überzeugt: Wenn im Unterricht der Bezug zum Alltag und zur Lebenswelt hergestellt wird, kann man Jugendliche für fast jedes Thema begeistern. Wenn es aber nur darum geht, chemische oder physikalische Formeln zu büffeln, wird es schwieriger. Letztlich spielen viele Faktoren eine Rolle, ob Schüler an einem Fach Spass haben oder nicht: die persönlichen Interessen, die Lehrperson, die Klasse, das Umfeld, die Stundendotation und – in den Naturwissenschaften – die Möglichkeit von praktischen Übungen im Labor. Auch das Lehrmittel kann ein Faktor sein.

 

Die Publikation des dritten «Prisma»-Bandes steht bevor. Was überwiegt, Nervosität oder Vorfreude?
In erster Linie freue ich mich. Denn die Publikation eines neuen Lehrwerks ist immer ein grosser Moment. Die Phase der Entwicklung ist lang und intensiv. Da ist der Augenblick, wo man das gedruckte Buch in den Händen hält, schon toll. Ein wenig nervös bin ich auch, denn es bleibt noch viel zu tun. Jeder Abschnitt wird zum jetzigen Zeitpunkt nochmals detailliert kontrolliert. Es lastet auch ein gewisser Druck auf einem und man fragt sich: Werden wir die Erwartungen der Lehrerschaft erfüllen?

 

Band 1 und 2 stiessen schon mal auf positives Echo, so dass viele Lehrer freudig auf Band 3 warten. Eigentlich eine schöne Ausgangslage.

Das stimmt. Die Tatsache, dass Band 1 und 2 gut ankommen, war für uns Autorinnen und Autoren innerhalb des gesamten Prozesses durchaus motivierend. Das positive Image von «Prisma» zeigt, dass der Verlag mit diesem Lehrwerk auf dem richtigen Weg ist.

 

Für den Inhalt haben Sie sich an den Kompetenzstufen des Lehrplans 21 orientiert. Wie gingen Sie vor?
Wir haben zuerst ein Konzept für alle drei Bände erarbeitet. Anschliessend planten wir Band für Band, indem wir Manuskript-Skizzen erstellten. Diese definierten, in welcher Abfolge welche Themen wie bearbeitet werden. Danach starteten wir mit dem Schreiben und überlegten, welche Experimente, Aufgaben und Abbildungen es braucht. Teilweise konnten Seiten aus der deutschen Ausgabe übernommen werden. Teilweise wurden Seiten und Experimente angepasst oder von Grund auf neu konzipiert. Diese gingen in einer ersten Phase bei den Schulen in die Erprobung. So wussten wir, ob unsere Vorlagen im Unterricht funktionieren.

 

Sie selbst haben die Texte zu Evolution, Genetik und Gentechnik verfasst. Was fasziniert Sie an diesen Themen?

(strahlt) Die Evolution gehört zu den Königsdisziplinen! Sie ist unglaublich vielschichtig und zeigt das Wechselspiel zwischen Lebewesen und Umwelt. Zu meinem Bedauern ist dieses Thema aber bei den Jugendlichen gar nicht sonderlich beliebt. Sie empfinden die Evolution als ein Thema von Vorgestern, das wenig mit dem Hier und Jetzt, mit ihrem Alltag zu tun hat. Ganz anders sieht es bei Genetik und Gentechnik aus. Diese Themen sind hochaktuell, in politischen Debatten und in den Medien präsent und es wird viel dazu geforscht. Denken wir nur an die PID, die Präimplantationsdiagnostik, bei der ein Embryo vor der Übertragung in die Gebärmutter gezielt auf genetische Veränderungen untersucht wird. In der Gentechnik wiederum setzen sich Forscherinnen und Forscher mit der Frage auseinander, wie man zum Beispiel Maissorten gegen Schädlinge und Pestizide resistent machen kann. Das interessiert junge Menschen.

 

Band 3 beinhaltet eine geballte Ladung an Informationen. Besteht der Anspruch, dass der gesamte Inhalt von den Schulklassen erlernt und verstanden wird?
Nein. Das Lehrwerk – dies trifft auch auf Band 1 und 2 zu – enthält mehr Themen, als im Unterricht bearbeitet werden können. Es handelt sich um ein Angebot. Die Lehrperson wählt innerhalb der Themen eines Bandes die einzelnen Kapitel aus. Diese werden im klassischen Buchformat konsequent auf einer Doppelseite präsentiert. Die Auswahl macht Sinn, denn jede Lehrperson hat Vorlieben und soll den Unterricht ein Stück weit darauf ausrichten können. Wichtig ist jedoch, dass die einzelnen Kapitel die Schüler nicht überfordern. Hilfestellungen hierzu bietet der Begleitband. Da liefern wir Ideen, wie man sich Schritt für Schritt einem Thema annähern und wie man den Unterricht zu jedem Kapitel gestalten kann. Wir weisen auch darauf hin, welche Seiten weggelassen werden können und welche zwingend behandelt werden sollten.

 

Das Spektrum der Leistungs- und Aufnahmefähigkeit innerhalb einer Klasse ist mitunter gross. Wie gehen Sie damit als Autorin um?

Das ist eine Herausforderung! Darum haben wir grossen Wert darauf gelegt, auch komplexe Themen in einfacher Sprache zu verfassen. Der Text sollte für die Schülerinnen und Schüler niemals ein Grund sein, sich nicht auf ein Thema einzulassen. Die Differenzierung findet via Aufgabentypen statt. Die erstrecken sich von relativ einfach bis durchaus komplex und anspruchsvoll.

 

Was fällt Ihnen als Autorin einfacher, sich in die Position der Neuntklässlerin, die lernen muss, zu versetzen oder in die Situation der Lehrerin, die einen Stoff vermitteln will?
Die Rolle als Lehrerin ist mir natürlich präsenter, denn die Zeit, in der ich selbst Teenager unterrichtet habe, liegt noch nicht so weit zurück. Es ist ein sehr langer Prozess, bis das Niveau der einzelnen Kapitel passt und die Texte verständlich und sinnvoll strukturiert sind. Die einzelnen Kapitel wurden darum mehrmals von der Redaktion gelesen und punktuell haben die Autoren meine Texte begutachtet. Auch ein Fachexperte hat sich alle Manuskripte angeschaut und kritisch kommentiert. Diese Rückmeldungen waren sehr hilfreich. Meine eigenen Texte habe ich immer wieder ein paar Tage ruhen lassen und sie dann aus einer gewissen Distanz erneut gelesen. Das hat mir geholfen, Stolpersteine oder Unstimmigkeiten zu erkennen. 

 

Wie kamen Sie zu den Naturwissenschaften? Machte es nach der ersten Biologiestunde sofort Klick?

Klick machte es bei mir schon in der Primarschule beim Mathematikunterricht. In der Kanti hatte ich dann einen Lehrer, der mich sehr für die Biologie begeistern konnte. Richtig spannend fand ich es, als Themen interdisziplinär behandelt wurden. Auch mit «Prisma» kann fachübergreifend gearbeitet werden. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür ist das Thema «Nervensystem, Akustik und Optik» in Band 2. Da kommen Biologie, Physik und Technik zusammen: Da geht es um Sinneswahrnehmung, werden Schwingungen untersucht, wird geschaut, wie sich der Schall ausbreitet, wie unsere Ohren  funktionieren und es gibt eine Anleitung für den Bau von Musikinstrumenten.

 

Haben Sie bei der Entwicklung von Band 3 auch an die vielen jungen Frauen gedacht, die man via Lehrmittel und Unterricht für Naturwissenschaften begeistern sollte und könnte?
Dieser Aspekt hat uns sogar stark beschäftigt. Denn das Autorenteam will Mädchen und Jungen gleichermassen gerecht werden. Dies fängt bei der Sprache an, zieht sich über die Bildauswahl und erstreckt sich bis hin zu konkreten Inhalten, mit denen das Interesse von Mädchen und jungen Frauen geweckt werden kann.

 

Abgesehen von Marie Curie kommen in «Prisma» aber sehr viele Männer vor: Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne, Georg Simon Ohm, der zur Proportionalität zwischen Stromstärke und Spannung forschte, Robert Hooke, Entdecker der Pflanzenzellen, John Dalton, der Untersuchungen zur Atomtheorie anstellte, der Physiker Hans Geiger, der Chemiker Ernest Rutherford und natürlich der Evolutionstheoretiker Charles Darwin.

Wir können die Geschichte der technischen Erfindungen und Theorien nicht umschreiben. Die erwähnten Männer haben nun mal Bahnbrechendes geleistet. Es ist eine Tatsache, dass die Naturwissenschaften sehr lange sehr männerlastig waren. Wo es aber Frauen gibt, werden sie im Lehrwerk erwähnt. Zum Beispiel die 1920 geborene, britische Biochemikerin Rosalind Franklin. Sie leistete einen wichtigen Beitrag zur Entdeckung der DNA-Struktur und ihre Verdienste werden in Band 3 thematisiert.

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Kathrin Durrer (*1983) studierte an der ETH Zürich Biochemie, unterrichtete danach als Kantilehrerin in Luzern und Zürich und arbeitet heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Sie wohnt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Oberkirch im Kanton Luzern.