PUBLIKATION

Zentralplus

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

12.5.2020

DIREKT UND OHNE VORURTEILE

 

Domenik Eisenring, 35, Leiter der Alternativbeiz Podium 41 in Zug, mag seine Stammgäste, schätzt die gute Zusammenarbeit mit der Polizei und freut sich, wenn das Publikum des Restaurants noch durchmischter wird.

 

Sie leiten seit Dezember 2019 das Podium 41 an der Chamerstrasse in Zug. Ihr Arbeitsort hat viele Namen: Begegnungsort ohne Konsumationszwang, Alternativbeiz, aber auch der Begriff Drogenumschlagplatz ist schon gefallen. Meine Generation, die in den 1990er Jahren im damals noch als Jugendbeiz geführten Betrieb verkehrte, spricht bis heute vom «Chaotikum». Welche Bezeichnung bevorzugen Sie?
«Chaotikum» finde ich witzig, aber am zutreffendsten ist wohl «Begegnungsort ohne Konsumationszwang». Die Umschreibung «Alternativbeiz» gefällt mir nicht, weil sich das politisch anhört. Für die Drogenproblematik gibt es einen Leitfaden, eine Hausordnung und einen Austausch mit den involvierten Sicherheitsorganen. Stellen wir einen Verstoss fest, wird ein Hausverbot erteilt.


Entspricht dies auch der Strategie der Polizei?
Das entspricht der Strategie der ganzen Steuergruppe, die sich zweimal pro Jahr trifft. Ihr gehören Vertreter der Stadt Zug und der GGZ an, und auch ein Vertreter der Polizei nimmt an diesen Sitzungen teil. Er informiert uns an diesen Treffen jeweils über die aktuelle Sicherheitslage. Gemeinsam diskutieren wir aktuelle Themen und Probleme und besprechen Massnahmen zur Lösung.


Angefangen haben Sie Ihre Arbeit im Podium als Küchenchef. Wäre ein Job in einem konventionellen Gastrobetrieb nicht angenehmer?
Es kommt drauf an, welche Herausforderung man sucht. Nach meiner Lehre als Koch in der Gastronomiefachschule St. Gallen von Kurt Hanselmann war ich viele Jahre in der Gault-Millau-Küche tätig. Ich habe auf der Corviglia oberhalb St. Moritz im Restaurant «La Marmite» von Reto Mathis gearbeitet, in Luzern im Hotel Montana bei Johan Breedijk und in weiteren Restaurants in Rom und Kanada. Irgendwann hatte ich genug von der gehobenen Küche. Denn das heisst vor allem: viel arbeiten und trotzdem wenig verdienen. Irgendwann reifte die Idee, in den sozialen Bereich zu wechseln.


Wo auch nicht das grosse Geld winkt.
Es aber mehr Gestaltungsspielraum gibt! Ich absolvierte ein Sozialpraktikum mit Schwerstbehinderten in einer Institution im sankt-gallischen Altstätten und nahm danach eine Stelle als Küchenchef im Hotel Dom in St. Gallen an, das Lehrstellen und Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung anbietet. Das waren tolle Erfahrungen. Parallel dazu absolvierte ich Kurse in der Arbeitsagogik. Die Stelle als Küchenchef im Podium kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Zudem vereinte sie das Kochen und das Soziale. Damit meine ich jetzt gar nicht nur die Kundschaft. Auch im Service und in der Küche des Podiums arbeiten jeweils ein bis zwei Leute, die über die Sozialdienste und über das Asylwesen vermittelt werden.


Stehen Sie als Betriebsleiter noch in der Küche?
Nein, im Moment nicht, ich könnte aber jederzeit einspringen. Als Betriebsleiter erledige ich viel Administrativarbeit, bin im Kontakt mit den Behörden, führe, plane und helfe – wenn viel los ist – mittags und nachmittags im Service mit. Mit einer guten Einsatzplanung gelingt es sogar, einzelne freie Abende und Wochen- enden zu schaffen, die ich dann am liebsten mit meiner Frau und meinen drei Kindern verbringe. Die sind zwei, fünf und sieben Jahre alt.


Das Podium ist bekannt für seine feine Küche, die tolle Lage direkt am See und das gute Preis-Leistung-Verhältnis. Trotzdem haben viele Leute Berührungsängste und meiden den Ort, weil sie davon ausgehen, dass hier nur Randständige verkehren.
Ich bedauere das und möchte alle Leute, die Hemmungen haben, einladen: Kommen Sie vorbei und machen Sie sich ein Bild vom Podium. Das Problem ist: Viele Leute kennen das Podium nur vom Hörensagen oder aus der Distanz. Die spazieren dann an einem Samstag spät abends bei uns vorbei, stellen fest, dass da jemand einen Joint raucht und schreiben das Restaurant schon ab. Das ist schade! Diese Leute sollten unbedingt mal an einem Mittag vorbeikommen. Dann werden sie feststellen, dass wir ein durchmischtes Publikum haben und hier eine angenehme Atmosphäre herrscht. Im vergangenen Februar verpflegten wir zum Beispiel über Mittag während zweier Wochen ein Dutzend Kinder von einem Schachclub. Die fühlten sich hier sehr wohl.


Durchmischung ist ein Thema, seit es das Podium gibt.
Ja, aber die erreichen wir eben nur, wenn auch die sogenannt «Nicht-Randständigen» zu uns kommen. Wie gesagt: Am Mittag haben wir diese Durchmischung bereits erreicht. Da bedienen wir Leute aus den Büros, Arbeiter von Baustellen, Jugendliche in der Ausbildung oder einfach Gäste mit kleinerem Budget. Auch an schönen Sommerabenden ist das Publikum durchmischt. Da kommen Leute spontan nach der Badi vorbei, essen bei uns einen Burger oder trinken ein Glas Wein. Mit Konzerten und anderen Anlässen versuchen wir, den Gästekreis stets ein wenig zu erweitern. Man darf jedoch nicht vergessen: Unser primärer Auftrag besteht darin, eine Art offene Gassenküche zu betreiben. Darum sind die Nutzer dieses Angebots auch unsere Stammgäste. Gegen Vorweisen eines Bons, für den man 5 Franken bezahlt, bekommen sie etwas zu essen und zu trinken.


Ihre Bilanz nach einem Jahr Podium?
Sie fällt sehr positiv aus! Zwischenfälle gab es in letzter Zeit kaum. Ich gehe ohne Vorurteile auf Leute zu und komme mit allen klar, egal, wie sie aussehen oder gekleidet sind. Im Gegenzug respektieren mich die Gäste und schätzen – so mein Eindruck – meine ungekünstelte und direkte Art.

 

 

Wiedereröffnung Podium 41 und Mittagsbeiz
Ab Montag, 11. Mai ist auch das Podium 41, der beliebte Treffpunkt beim Zuger Yachthafen, wieder geöffnet. Jedoch gelten wie andernorts spezielle Hygiene- und Distanzregeln.  Zudem ist das Podium vorderhand nur von Montag bis Freitag zwischen 11 und 15 Uhr geöffnet. Maximal 20 Personen dürften sich im Restaurant aufhalten. Der Aussenbereich bleibt in der ersten Öffnungsphase noch geschlossen. Die Gassenküche / Mittagsbeiz, über die Wintermonate jeweils auf dem Yellow-Schiff einquartiert, nimmt ihren Betrieb per 11. Mai im Podium 41 ebenfalls wieder auf. Damit entfällt die Abgabe von Take Away Gutscheinen für Bedürftige und Armutsbetroffene, wie es während der Corona-Krise gehandhabt wurde. Inhaber der Bezugskarte erhalten nun wieder täglich ein frisch zubereitetes Mittagsmenü im Podium 41.