PUBLIKATION

GGZ Jahresbericht

ZUSAMMENARBEIT

Daniela Kienzler (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.4.2017

VERANTWORTUNG AUF DEM BERG

 

Manuel Ottiger ging als junger Mann durch Hochs und Tiefs und hat strube Zeiten hinter sich. Diese Erfahrungen kommen ihm als Arbeitsagoge und Verantwortlicher der Hauswirtschaft in der Sennhütte zu Gute.

 

Es ist halb neun Uhr morgens. Das mise-en-place für das Mittagessen ist wohl kaum schon fertig. Aber wissen Sie, was heute Mittag auf dem Menüplan steht?
Toast Hawaii mit Salat. Da heute Freitag ist und die Klienten bis halb elf in der Gruppentherapie sind, haben wir uns für ein schnelles, unkompliziertes Menü entschieden. Denn Punkt zwölf muss das Essen für 25 Leute auf dem Tisch parat stehen. Normalerweise startet die Küchenmannschaft aber bereits um viertel ab acht und es bleibt etwas mehr Zeit für Vorbereitungen.

 

War Kochen schon immer Ihre Leidenschaft?
Ja, schon als Kind stand ich gerne und oft am Herd. Meine Mutter motivierte und inspirierte mich. Als ich dann aus dem Gymnasium flog, war für mich darum klar, dass ich eine Lehre als Koch machen würde. Tatsächlich arbeitete ich aber nach der Ausbildung in den unterschiedlichsten Jobs: im Forstwesen, in der Metallbranche und auf Montage, bevor ich dann wieder zu meiner Passion fand. Im Prinzip versuchte ich einfach, irgendwie mit Freude Geld zu verdienen. Daneben stürzte ich mich vor allem durch das Leben, machte Party, viel viel Party mit erfreulichen, aber auch allen unerfreulichen Begleiterscheinungen.

 

Das heisst?
Ich erlebte strube Zeiten. Weit vor meinem dreissigsten Geburtstag realisierte ich, dass ich in meinem Leben etwas verändern musste und wollte, aber dies noch nicht hin bekam. Schlussendlich gaben zwei Bandscheibenvorfälle den zwingenden Anlass, mich beruflich neu zu orientieren. Im Gespräch mit der IV wurden schliesslich verschiedene Optionen in Erwägung gezogen. Entweder ich mache eine Umschulung zum Sozialpädagogen oder zum Arbeitsagogen. Ich entschied mich für Letzteres. Menschen mit Arbeit zum Leben zu befähigen: Das ist mein Ding!

 

Wie sieht nun Ihr Aufgabenbereich in der Sennhütte aus?
Ich bin verantwortlich für das Ressort Hauswirtschaft; dies umfasst: die Küche, den Garten, die Reinigung und den Unterhalt des Hauses. Die Leute arbeiten während drei bis sechs Monaten in einem Arbeitsbereich. Alle paar Monate gibt es eine Standortbestimmung mit den Klienten, in welcher wir miteinander die Ziele auswerten. Je nachdem definiert man zusammen neue Ziele. Wir fordern und fördern. Egal, in welchem Bereich die Leute beschäftigt sind: der Fokus liegt immer darauf, Verantwortung zu übernehmen. Die Sennhütte funktioniert wie ein Zahnradgetriebe. Alle Elemente – Arbeit, Therapie, Zusammenleben und Alltag in der Gemeinschaft – greifen ineinander und alles, was hier geschieht, geschieht in einem Kontext. Wir Fachleute – die Psychotherapeuten, die Sozialpädagogen, der Sozialdienst und wir Arbeitsagogen  – sehen uns nicht als Einzelkämpfer, sondern als Zahnrad in diesem Räderwerk.

 

Können die Klienten ihre Arbeit selber auswählen?
Wir wägen ab und überlegen uns: Was kann jemand, was will jemand und was braucht die Sennhütte? Was nützt dem Klienten? Was der Institution? Ein gelernter Schreiner verbringt nicht die ganze Zeit in der Werkstatt, nur weil er Schreiner gelernt hat. Einen Gärtner setzten wir nicht per se und ausschliesslich im Garten ein, nur weil er sich mit Pflanzen auskennt. Arbeit hat ja bei uns durchaus eine therapeutische Funktion. Das heisst: sie soll auch Lebensfreude und Selbstvertrauen wecken, neue Perspektiven aufzeigen und nicht nur den Tag strukturieren.

 

Die Arbeit mit Suchtkranken ist kein 0815-Job.
Das stimmt. Wenn Dir diese Arbeit nicht zu hundert Prozent liegt, sie Dich nicht voll und ganz begeistert, ist es eher schwierig, in einer solchen Institution zu arbeiten. Ich mag die Menschen, interessiere mich für sie und stecke viel Leidenschaft und Energie in meinen Job. Weil es auch in meinem Lebensdrehbuch viele Tiefs gegeben hat, weiss ich, wovon ich rede. Ich versuche mich in die Leute hinein zu versetzen. Unsere Klienten, zur Mehrheit Männer zwischen 20 und 50 Jahren, haben soziale und persönliche Abgründe im Leben gesehen und erlebt und geglaubt, dass Drogen ein Weg sind, um mit diesen schwierigen Situationen klar zu kommen. Hier lernen sie, dass Drogenkonsum nie die Lösung, sondern Teil des Problems ist. Das zu akzeptieren ist ein langer, harter Weg, der leider nicht immer gelingt.

 

Zurück zum Essen. Welchen Stellenwert hat es hier?
Einen hohen. Essen ist in der Sennhütte nicht bloss Kalorien- oder Energiezufuhr. Die gemeinsamen Malzeiten – drei pro Tag, plus Znüni – sind immer auch Anlass für Gespräche und Diskussionen. Wenn die Küchenmannschaft gut drauf ist, etwas Tolles mit Freude zustande gebracht hat, überträgt sich das auf die Stimmung von allen. Aber klar: Manchmal schaufelt auch jeder schweigsam seine Pasta in sich hinein und ist mit den Gedanken ganz woanders.

 

Welche Highlights aus der Küche sind erwähnenswert?
Gestern gab es Kotletten mit frischem Kräuter- und Knoblauchbutter, dazu Zucchetti und Tomaten Risotto. Auch schon gab es ein feines Entrecôte, frischen Fisch oder ein üppiges Fajitabuffet. Generell  wird grossen Wert auf frische Zubereitung und viel Handgemachtes gelegt. Zudem möchte ich den Leuten beibringen: auch mit wenig Geld lässt sich etwas Wunderbares kochen.

 

Manuel Ottiger, 41, arbeitet seit  vier Jahren als Arbeitsagoge in der Sennhütte. Er wohnt mit seiner Freundin und den drei Kindern im Kanton Obwalden, verbringt die Freizeit in den Bergen, beim Lesen oder als Goa-DJ.