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ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

13.8.1998

GROSSE KLAPPE - BESCHEIDENE LEISTUNG

 

Ihre Filme floppen an der Kinokasse und werden von der Kritik verrissen. Die Franzosen lieben ihre Sophie Marceau trotzdem.

 

Die Leserinnen des Französischen Frauenmagazins «Madame Figaro» erfuhren kürzlich eine rührende Neuigkeit. «Mon plus beau rôle: Maman», stand als Schlagzeile auf dem Titelblatt. Die schöne Sophie Marceau gab mit Rehaugen und kunstvoll zerzaustem Haar wahrhaftig eine schöne Mutter ab.


Das Geständnis der französischen Schauspielerin kommt nicht ganz von Herzen. Dass Marceau nebenberuflich auch Mutter ist und ihren dreijährigen Vincent vergöttert, weiss man hinlänglich. Schliesslich hat Marceau ihre Mutterschaft wie ein im Lande einzigartiges historisches Ereignis inszeniert. Aber dass Muttersein fortan geradezu ihre Lebensaufgabe sein soll, das ist neu. Im Falle des 33-jährigen Kinostars kommt das Geständnis allerdings einer faulen Ausrede gleich, das von der Leinwandkrise des einst gefeierten Teeny-Idols ablenken soll. Denn Sophie Marceau hat offensichtlich Probleme mit ihrer Karriere.


Ihr neuster Film «Firelight», der nächste Woche auch in den Schweizer Kinos anläuft, wurde in Frankreich mit Spannung erwartet - und entwickelte sich zum Flop: Die Kritiken waren hämisch, einzelne Kinos setzten den Film schon nach kurzer Zeit von ihrem Programm ab. Marceau verkörpert zum ersten Mal - auch auf der Leinwand - eine werdende Mutter, allerdings eine in ganz besonderen Umständen: Sie trägt als Schweizer Gouvernante für Geld ein Kind aus, um die Schulden ihres Vaters zu bezahlen. Der Film, so Kritiker, sei inhaltlich banal, die Leistung Marceaus «pauvre». Abgesehen von der Präsentation ihres nach wie vor schönen Busens, befand die Zeitung «Libération», sei der Streifen eine grosse Panne, der definitiv zeige, dass Marceau alles andere als eine gute Charakter-Darstellerin sei.


Als hätte Mutter Marceau geahnt, wie schlecht es um ihren Ruf als Filmfrau bestellt ist, hat sie sich zur Premiere von «Firelight» geradezu aufdringlich in Szene gesetzt. Marceau, die ihr Privatleben bisher unter Verschluss hielt, kann plötzlich nicht genug Publicity bekommen. Die Plattform dazu geben ihr zahlreiche Zeitschriften; allen voran die Illustrierte «Paris Match».


In einer zwanzigseitigen Fotoreportage und einem «Journal intime» erfuhr man vor kurzem alles über Marceau, ihren Mann, den polnischen Regisseur Andrzej Zulawski, über Söhnchen Vincent und jedes Detail aus dem Alltag ihres Familienlebens in Warschau: dass Sophie gerne in der Jogging-Hose kocht, mit ihrer Familie nur auf sechzig Quadratmetern wohnt, dass sie während der Schwangerschaft täglich schwimmen gegangen ist und wie sehr sie die ersten Ultraschallbilder ihres Ungeborenen aufgewühlt haben.


Eine ungewöhnliche Offenheit, die Marceau aber dringend nötig hat: Sämtliche Filme, die sie in den letzten drei Jahren gemacht hat, wurden von der Kritik als «Amuse-Gueules» abgetan: leckere, aber nicht zwingend nötige Appetithäppchen. Die jetzige Krise offenbart, dass Marceau, die nur eine rudimentäre schauspielerische Schulung genoss, tatsächlich einiges an Handwerk fehlt. Häufig konnte sie dieses Manko mit ihrem Äusseren kaschieren. Wenn das nicht funktionierte, schob sie gerne der Regie die Schuld für Misserfolge in die Schuhe.


Nach der überwiegend schlechten Kritik zum Film «Marquise» zettelte Marceau in den Medien eine Aufsehen erregende Polemik an, in der sie ihre Regisseurin Vera Belmont in einer Art und Weise diffamierte, wie es sich zuvor in Frankreich selten ein Schauspieler erlaubt hatte. Belmont sei völlig ungeeignet für die Verfilmung eines historischen Stoffes, befand Marceau. Und: «Der Dreh mit ihr war die Hölle.» Auch den renommierten Regisseur Maurice Pialat, mit dem sie 1985 «Police» gedreht und sich anschliessend zerstritten hatte, verschonte sie nicht. Ihm attestierte sie in einem Interview «un sale caractère».


Sophie Marceau hat ein durch und durch intaktes Selbstbewusstsein und zu allem und jedem eine Meinung - «une grande gueule», wie die Franzosen sagen. Sie beanstandet ganz generell die französische Politik - «Wir drehen uns im Kreis herum» - und stellt Politikern Fähigkeitszeugnisse aus: «Jospin fehlt das Talent zum Regieren», «Balladur wirkt wie ein Schlafmittel.» Sie zieht übers französische Kino her - «Ich habe schon seit Monaten kein gutes französisches Skript mehr gelesen» - und klagt den Sänger Julien Clerc ein, weil der in einem Lied ihren Busen besingt, während sie selber oben ohne für die Gazetten posiert. Sie kritisierte, wie sich manche Staatsmänner in Szene setzen, und begleitete gleichwohl Mitterrand auf einen Staatsbesuch nach Südkorea.


Auch wenn ihre Filme von der Kritik zerrissen werden, die Franzosen lieben «ihre Sophie» dennoch, vor allem, wenn es um ihre erotischen Fantasien geht. In Umfragen, in denen die Lieblings-Ferienpartnerin der französischen Männer gesucht wurde, landete sie unangefochten auf dem ersten Platz. Dort, wo man ihren Namen von Berufs wegen erwarten müsste, findet man ihn nicht. In der Videothèque de Paris, wo über 6000 für Frankreich wichtige Filme dem Publikum zugänglich sind, ist kein einziger Film registriert, in dem Marceau mitspielt. Hingegen stösst man dort staunend auf einen Film, in dem die Actrice Regie führt.


«L'Aube à l'Envers», so der Titel ihres 1995 gedrehten «Dokumentarfilms», ist ein stiller und genauso nichts sagender Film, der vom Schmerz einer Trennung erzählt. Ein Mädchen mit langen Haaren schlurft während zehn Minuten deprimiert in einem langen Pullover in einem Zimmer umher und verkraftet nicht, dass es von einem Mann verlassen wurde. Leiden und Schmerz scheinen mittlerweile - neben der Mutterschaft - auch zu einem zentralen Punkt von Marceaus Karriere geworden zu sein. Darum hat Frankreich der Schauspielerin - «Ich bin gemacht, für die Liebe zu sterben» - einen neuen Über- beziehungsweise Kurznamen gegeben: SM.


Initialen, die Qualen garantieren, wie deren ehrgeizige Trägerin auch mit ihrem autobiografischen Roman «Menteuse» bewiesen hat. Die «Bekenntnisse einer Frau, die niemals die Wahrheit sagt», sind mehr schlecht als recht rausgekommen und ein weiteres Indiz dafür, wie masslos sich Sophie Marceau überschätzt. Vier Jahre hat sie in das Buch investiert und fest damit gerechnet, dass es ins Englische übersetzt würde. Es kam nicht dazu.


Die letzte grosse Anerkennung liegt schon so lange zurück. 1982 erhielt sie für «La Boum II» einen Preis als beste Nachwuchsschauspielerin. Seither wartet Marceau vergebens auf einen César, wird in Cannes nicht einmal nominiert. «Die Preisverleiher», stellt sie heute fest, «ignorieren mich. Sie tun so, als würde ich nicht existieren.» Und die Journalisten, so vermutet Marceau, hätten einfach keine Lust, den Gehalt ihrer Filme zu verstehen.


Dabei ist ihre neuste Darstellung durch ein simples Strickmuster geprägt: Am Ende von «Firelight» findet Sophie Marceau das Kind, das sie nach der Geburt für Geld wegegeben hat, nach sieben Jahren wieder. Sie drückt es endlich an ihren Busen, und was schluchzt das Mädchen in diesem herzzerreissenden Augenblick des Wiedersehens? - «Maman!»

 

ENDE LAUFTEXT


Sophie Marceau wurde als Sophie Maupu am 17. November 1966 in Paris geboren. Ihre Eltern waren in der Brauereibranche tätig. Als 13-Jährige machte «La Boum» sie zum Star. Seither hat Marceau in über zwanzig Filmen die Hauptrolle gespielt.

Neben der Schauspielerei engagiert sich Marceau in einer französischen Wohltätigkeitsorganisation für kranke Kinder und ist ein beliebtes Model für Yves-Saint-Laurent-Parfüms.
sophie marceaus schauspielkarriere
Mitterrand musste intervenieren

Als sich die 13-jährige Sophie Marceau um die Rolle der Halbwüchsigen Vic in «La Boum» bewarb, ging sie noch zur Schule, brach sie aber ab, als sie von Regisseur Claude Pinoteau unter 500 Bewerberinnen ausgewählt wurde. Der Film brach in ganz Europa und Japan Zuschauerrekorde und veranlasste über 200 000 Teenager, ihrem Idol zu schreiben.
1984 stand Marceau mit bekannten Stars vor der Kamera: In «Fort Saganne» und «Police» mit Gérard Depardieu, in «Joyeuses Pâques» mit Jean-Paul Belmondo. 1985 entfachte der Jungstar mit offen- herzigen Liebesszenen in «L'Amour braque» einen Skandal. Regie führte ihr heutiger Lebenspartner Andrzej Zulawski.

Der von vielen Franzosen als pornografisch und obszön verteufelte Film empörte dermassen, dass der damalige Staatspräsident François Mitterrand sich zu einer beschwichtigenden Stellungnahme verpflichtet fühlte. Die Franzosen taten sich schwer, Marceaus Wandlung vom süssen Teenager zur liebestollen Frau zu akzeptieren. Doch Sophie gefiel sich in den offenherzigen Rollen. Freizügig zeigte sie sich auch 1986 in «Descente aux Enfers», in dem sie als Zwanzigjährige den alternden Claude Brasseur verführt, pikanterweise ihren Filmvater aus «La Boum.»


Nach «Chouans!» (1987) und «L'Etudiante» (1988) stellte sich Marceau in «Mes nuits sont plus belles que vos jours» einmal mehr als junge Frau vor, die neugierig auf Liebeserlebnisse ist. Nach 15 vorwiegend in Frankreich gedrehten Filmen übernahm Marceau 1994 an der Seite von Mel Gibson die Hauptrolle in «Braveheart». Zu den letzten Filmen, die sie drehte, gehörten die Tolstoi-Verfilmung «Anna Karenina» und «Marquise» (1997).