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ZUSAMMENARBEIT

In Zusammenarbeit mit Alexandre Resovaglio (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

18.3.1999

GRATIS COUSCOUS BEI MONSIEUR GUEDDOU

 

Monsieur Gueddous Idee ist einfach und erfolgreich: Freitags kann man in seinem Bistro gratis essen. Schon findet er die ersten Nachahmer.

 

Die Tische sind leicht wacklig, die kunstlederne, rote Sitzbank ist durchgesessen, die Luft qualmig, das Licht grell. Und trotzdem ist das marokkanische Restaurant von Monsieur Gueddou jeden Freitag gestossen voll. Im nordafrikanisch animierten «Château Rouge»-Quartier ist die Kundschaft zu kostenlosem Dinieren eingeladen. Das Lokal hat sich zum neuen Szenetreff gewandelt, seit der Wirt gratis Couscous offeriert. Was die meisten Leute zuerst als neustes Projekt städtischer Sozialarbeiter von «le coeur de Paris» zu Gunsten unterernährter Clochards missverstanden haben, ist eine neue Strategie in der Pariser Gastronomie: Der Wirt bekocht seine Gäste gratis, bezahlt wird nur das Getränk.


Gueddou hat mit seiner Idee einen Coup gelandet. Heute hat er mehr Stammkunden denn je. Und die Neuen staunen über die einzigartige Atmosphäre. Zwischen 25 und 60 Jahren bewegt sich das kulturell durchmischte Publikum. Zwar könnten sich die meisten Gäste ein normales Restaurant leisten, aber bei «Chez Gueddou» geht es nicht nur ums Essen und Trinken: «Faire la fête» lautet die Devise. Die Musik dazu kommt aus der Jukebox: Charles Aznavour, Gipsy Kings, Cesaria Evora, Cheb Khaled und Julio Iglesias veranlassen die Klientel zu Ausgelassenheit. Dabei kann es noch so hoch zu- und hergehen - die Bedienung bleibt stets freundlich.


«Ich bin ein Menschenfreund und habe ein gutes Herz», sagt Gueddou von sich ohne falsche Bescheidenheit. «Ich koche, weil ich Spass daran habe - nicht weil ich reich werden will.» Mit den Getränkepreisen und dem grosszügigen Trinkgeld, das die Leute liegen lassen, verdiene er genug. Für eine Flasche vom marokkanischen Boulon-Schnaps verlangt er 20, für eine Flasche Rotwein 8 Franken.


Mund-zu-Mund-Propaganda hat dazu beigetragen, dass die schlemmende Couscousgemeinde immer grösser wird. Wer auf einen freien Tisch warten muss, trinkt am Tresen ein Glas oder wirft einen Blick in die Miniküche, wo pro Abend bis zu hundert Teller gefüllt werden. «Couscous», freut sich der Küchenchef, «ist hier in Frankreich bei allen beliebt. Man könnte fast von einem Nationalgericht sprechen.»


Mittlerweile hat Gueddou sogar einen Nachahmer gefunden. Nur zwei Schritte von seinem Lokal entfernt, an der gleichen Strasse, trumpft ein türkischer Kollege seit wenigen Wochen mit demselben Hit auf. Das Hinweisschild ist nicht zu übersehen: «Momo vous offre le couscous!»
Geschöpft wird auch hier bis zum Morgengrauen. Der Ideenklau des Türken stört den Marokkaner nicht. Im Gegenteil: überzählige Gäste werden galant zur Konkurrenz geschickt, wo die Weinflasche sogar noch zwei Francs billiger ist. «Dort unten», sagt Gueddou, «ist es noch mehr gratis.»

 

* Restaurant «La Chope/Chez Gueddou», 40, rue de Clignancourt, Paris.