PUBLIKATION

Neue Zürcher Zeitung

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

30.4.2010

ACHTUNG STILLSTEHEN, ICH SCHIESSE!

 

Ein Ausflug mit meinen Kindern führt mich in die Hohle Gasse und die nicht minder mythologisierte Gesslerburg bei Küssnacht am Rigi.

 

Er ist ein Klassiker, gleichsam ein Muss und ein ebenso historischer wie romantischer Ausflug, den alle Kinder, die in der Innerschweiz aufwachsen, mindestens einmal in ihrem Leben absolviert haben: Die Besichtigung der berühmten Hohlen Gasse und der nicht minder mythologisierten Gesslerburg bei Küssnacht am Rigi. Die beliebte Destination für Schulreisen kann auch Besuchern, die dem Schulalter längst entwachsen sind, von Herzen empfohlen werden. Denn sie lässt sich mit unzähligen Wandervariationen rund um die Rigi ideal verbinden.

 

Am besten lässt man sich im attraktiv gestalteten, 2005 eröffneten Informationspavillon von der kurzweiligen Tonbildschau, welche die Geschichte rund um Wilhelm Tell auf imposante Weise erlebbar macht, gleich ins Thema einstimmen. Mucksmäuschenstill lauschen die Kinder  den Ausführungen über den historischen Verkehrsweg, die Biografie des bärtigen und kräftigen Bauers Tell, der sich weigerte, den Hut des habsburgischen Landvogts Heinrich Gessler zu grüssen, und finden sogar Gefallen an der Ouverture von Rossinis gleichnamiger Oper, deren Klänge durch die Lautsprecheranlage dringen. Am meisten aber sind sie vom kleinen Walterli beeindruckt, der auf dem grossformatigen Farbbild, den Apfelschuss erwartend, tapfer als lebendige Zielscheibe vor seinem Vater steht. Sichtlich erleichtert, dass die Sache dank Tells Treffsicherheit nochmals glimpflich ausgeht, spazieren wir nun also durch die historische Hohle Gasse, wo der «megafiese» Gessler von Tell zu Fall gebracht wurde.

 

Unversehens sickern ein paar warme Sonnenstrahlen durch die Äste des frühlingshaften Waldes und verwandeln den berühmt-berüchtigten und engen, ja fast klaustrophobischen Pfad aus Plastersteinen in ein derart zauberhaftes Gässchen mit Schattenspiel, dass wir fast bedauern, dass das Wegstück nicht länger ist. Einer Spendensammlung der Schuljugend und einer darauf folgenden Stiftungsgründung ist es zu verdanken, dass der Hohlweg in den 30-er Jahren nicht zu einer Überlandstrasse ausgebaut und stattdessen wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt wurde. Begleitet von Vogelgezwitscher stehen wir bereits nach wenigen Minuten vor einer weiteren Wegmarke: der Tellskapelle, in deren Innern wir die Darstellung von Tells heldenhaftem Tod – provoziert durch die Rettungsaktion eines Kindes aus dem Schächenbach – auf einer Wandmalerei zur Kenntnis nehmen.

 

Nun aber genug der Dramatik. Schliesslich wollen wir auf unserem Ausflug nicht in Trübsinn verfallen, sondern diesen frühlingshaften Sonntag geniessen. Auf darum zur Gesslerburg, entlang des Rigi Lehnenwegs! Der halbstündige Fussmarsch führt uns durch saftig grüne Wiesen, über kleine Hügel, vorbei an Bauernhöfen, wo Hasen, Ziegen und Enten gemeinsam in Freilandgehegen weilen und ein willkommenes Alibi für weitere Zwischenstopps liefern. Phantastisch ist der Ausblick, der sich von hier aus bietet. Zu unserer Linken liegt der Zuger-, zu unserer Rechten der Vierwaldstättersee, in Marschrichtung die bis zur Seebodenalp schneebedeckte Rigi.

 

Bei der alten Knochenstampfi, die früher die Produktion von Knochenmehl sicherstellte und von einer Wassermühle angetrieben wurde, stechen wir ins Tobel, wo ein kleiner Tümpel abermals für Aufregung sorgt. Voll mit Fröschen ist das trübe Gewässer, rundherum spriesst der Bärlauch aus dem Boden, und ein Eichhörnchen huscht sogar übers stillgelegte Wasserrad. Ein letzter Anlauf Richtung Burgruine und wir haben unser Ziel erreicht. Die Szene mit dem Apfelschuss wird beim ausgiebigen Picknick unter Berücksichtigung der historisch verbrieften Rollenverteilung und mit selbst geschnitztem Pfeil und Bogen nochmals detailliert nachgestellt. «Achtung, stillstehen!», ruft der junge Schütze, verzichtet dann aber auf elterliche Mahnung hin auf einen Abschuss in Richtung seiner kleinen Schwester.  So macht Geschichte richtig Spass. Oder ist es Mythologie?

 

ENDE LAUFTEXT

 

Die Hohle Gasse ist sowohl mit dem Auto, als auch mit dem öffentlichen Verkehr gut zu erreichen. Vom Bahnhof Küssnacht a/R besteht eine Busverbindung (Linie 22) zur Hohlen Gasse. Direkt unterhalb der historischen Stätte befinden sich aber auch Parkplätze. Reizvoll ist auch die Anreise per Schiff. Von Luzern her kommend benützt man die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (Anlegestelle Küssnacht a/R), von Zug her kommend jene des Zugersees (Anlegestelle Immensee). Von beiden Orten aus kann man die Hohle Gasse in einem halbstündigen Spaziergang erreichen. Individuelle Führungen werden zwischen den 15. Juni und 14. September 2010 angeboten. Als Ausflugsbegleiterin eignet sich die 40-seitige Publikation «Gesslerburg und Hohle Gasse mit Tellskapelle» der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. www.hohlegasse.ch

www.hohlgassland.ch