PUBLIKATION

100 Jahre Zuger Frauenbund

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

6.6.2013

WIE EIN ZWEITES ZUHAUSE

 

Jahrzehnte lang hat sich der Zuger Kantonale Frauenbund in der Vermittlung von Tagesmüttern engagiert. Dadurch hat er einen wichtigen Beitrag für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf junger Eltern geleistet.

 

Wie so oft, wenn man Familienplanung macht, kommt es anders, als man denkt. Rita Steinger, 44, hätte sich gut vorstellen können, selber einmal  drei oder gar vier Kinder zu haben. Stattdessen ist sie nun Mutter zweier Teenager und 18-fache Tagesmutter. Auf einer Liste, die auf dem Küchentisch in ihrer Wohnung im Chamer Seeblick-Quartier  liegt, stehen die Namen sämtlicher Kinder, die sie im Laufe ihrer zehnjährigen Karriere als Tagesmutter betreut, verpflegt, gewickelt und nötigenfalls getröstet hat: Carlo, Elias, Mara, Claire, Alex, Lucy, Gianna, Heidi, Anouk, Lars, Armand, Marco, Eva, Michael, Janis, Lotte, Ariane und Sandra.

 

Heute Morgen sitzen die vierjährige Ariane und die zweijährige Lotte am Frühstückstisch. Die Grössere blättert im Yakari-Heft, die Kleinere angelt mit einer Spielzeugrute Fische aus einem Plastikteich und kaut an einem Laugenbrötli. Die beiden Mädchen sind zwei von insgesamt 330 Kindern, die im Jahr 2012 von einer durch den ZKF vermittelten Tagesmutter im Kanton Zug betreut wurden. Sie fühlen sich hier offensichtlich wie zu Hause, klettern Rita auf die Knie, rutschen wieder hinunter und haben ständig etwas zu berichten und zu fragen, was Tagesmama Rita aber nicht aus der Ruhe bringt.  Auch sonst erfüllt die gelernte Krankenschwester alle Bedingungen, die an eine ideale Tagesmutter gestellt werden: Sie wohnt in einer kinderfreundlichen Umgebung,  hat ein paar tolle Spielsachen, die auch mal am Boden liegen bleiben dürfen, ist mit viel Humor ausgestattet, und  – das Wichtigste – sie liebt Kinder! 

 

Der ZKF, der das Ressort Tagesfamilien im Januar 2013 an den Verein „KiBiZ“ übergeben hat, legte grossen Wert auf vertraglich einwandfreie Betreuungsverhältnisse. Nach einer ersten  Bedürfnisabklärung wurde jeweils geschaut, wo, wann und in welchem Umfang eine  Betreuung gefragt war. Anschliessend liessen die ZKF-Vermittlerinnen ihre Kontakte in den Gemeinden spielen und machten sich auf die Suche nach einer passenden Familie. Hatten sie eine bestimmte Kandidatin im Auge, wurde ein gemeinsames Treffen zu Hause bei der potentiellen Tagesfamilie vereinbart und geschaut, ob zwischen den beiden „Parteien“ die Chemie stimmt. War dies der Fall, konnte ein entsprechender Vertrag aufgesetzt und eine Probezeit vereinbart werden. Alle Tagesmütter mussten pro Jahr mindestens einen Weiterbildungskurs absolvieren, Newcomerinnen zusätzlich einen Einstiegs- oder Notfallkurs. Kam es zu Problemen organisatorischer Natur oder gab es mal Differenzen bezüglich  Erziehungsfragen, war die Kompetenz des ZKF ebenfalls gefragt.

 

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Seit der pionierhaften Gründung der Abteilung Tagesfamilien im Jahre 1985 durch Elsbeth Kamer und Christa Landis wurden insgesamt über 7000 Kinder betreut. Am meisten Betreuungsverhältnisse, nämlich 444,  gab es im Jahr 2008.  Danach zeigte die Kurve der Betreuungsverhältnisse kontinuierlich nach unten. Denn einerseits hat von diesem Zeitpunkt an die Zahl der erwerbstätigen Mütter  stark zugenommen, doch gleichzeitig schossen in der Region private und staatliche Kitas wie Pilze aus dem Boden.  Die  Konkurrenz zu den Tagesfamilien ist stark gewachsen.

 

Als Auslaufmodell möchte der ZKF das Modell Tagesfamilie aber keinesfalls verstanden wissen. „Das System der Tagesfamilien ist flexibler als jenes der Kita, die Bindung zwischen Kind und Tagesmutter sehr persönlich und das Klima familiär“, sagt Doris Zürcher, die viele Jahre für den ZKF im Gebiet Ennetsee als Vermittlerin tätig war. Eltern, die in der Gastronomie oder  im Gesundheitswesen arbeiten und allenfalls Nachtschichten bestreiten, sind sogar darauf angewiesen, dass ihr Kind nach Bedarf auch mal bis sieben oder acht Uhr abends bleiben und gegebenenfalls die  Nacht oder das Wochenende bei der Tagesfamilie verbringen kann. Ein spezielles „Programm“ oder gar „Action“ mussten die ZKF-Tagesmütter den Kindern allerdings nicht bieten. Vielmehr haben die Frauen die Kinder auf selbstverständliche Art und Weise in den Familienalltag und ihren Haushalt integriert. Die minimale Wochenbetreuung lag jeweils bei fünf Stunden pro Kind.

 

Existenzsichernd war die Arbeit als ZKF-Tagesmutter bei einem Stundenlohn von zuletzt sieben Franken pro Kind nicht, weshalb diese Aufgabe viel Idealismus voraussetzte. Für die abgebenden Eltern galten dank Leistungsvereinbarungen mit dem Gemeinden einkommensabhängige Tarife.  Den tiefsten Ansatz, nämlich 1.50 Franken pro Stunde, bezahlten Sozialhilfebezüger, den höchsten Tarif (10.70 Franken pro Stunde)  Eltern, die gemeinsam ein Jahreseinkommen von mindestens 130‘000 Franken erwirtschaften.  Hinzu kam eine Fallpauschale von 880 Franken, welche die Gemeinde pro  vermitteltes Kind jährlich an den ZKF zur Deckung der Verwaltungskosten bezahlte. Das administrative Prozedere, so heisst es beim ZKF-Sekretariat,  sei  im Laufe der Zeit immer umfangreicher geworden: Rapporte mussten erstellt, Stunden erfasst, Statistiken geführt, Löhne bezahlt, AHV-Zahlungen erledigt, Rechnungen verschickt werden. Gelegentlich muss der ZKF zahlungspflichtigen Eltern auch eine Mahnung nachreichen.

 

Mit dem Transfer der Tagesfamilien zum Verein „KiBiZ“ sollen Synergien mit einer Institution genutzt werden, dessen Kerngeschäft die familienergänzende Kinderbetreuung ist. Allerdings ändert dies nichts an der Tatsache, dass es immer schwieriger wird, im Kanton Zug überhaupt Tagesmütter zu finden. Schon jetzt existieren in den Gemeinden Wartelisten mit Kindern,  die auf einen Platz bei einer Tagesmutter hoffen.  Der Grund: Vollzeitmütter werden immer rarer, und  Mütter, die Teilzeit arbeiten, wollen an ihren freien Tagen nicht zusätzlich  ein fremdes Kind betreuen, sondern sich voll und ganz ihrem eigenen Kind widmen. Rita Steinger war da  pragmatischer. Ihre Kinder hätten von den Tageskindern profitiert, betont sie, und gelernt, dass ihre Mama nicht ausschliesslich für sie da war. Bis heute hat Tagesmama Rita Kontakt zu einigen ihrer früheren Tageskindern. Manche schicken Zeichnungen oder Postkarten aus den Ferien.

 

Im Seeblick 8 rückt die Mittagszeit näher. Lotte und Ariane haben sich ins Kinderzimmer zurückgezogen und schauen auf dem Teppich  Bilderbücher an, während Rita Steinger in der Küche die Gratinform mit den Kartoffeln in den Ofen schiebt. Das Essen muss bereit sein, wenn um 12 Uhr auch ihre beiden Teenager Iris und Nina  aus der Schule kommen und sich zusammen mit ihren kleinen „Tagesgeschwistern“ hungrig an den ovalen Holztisch setzen.