PUBLIKATION

Zuger Neujahrsblatt

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.1.2008

SCHRITT INS UNGEWISSE

 

Migi Barmettler, 69, kam in den 1960-er Jahren als Nidwaldner auf den Zugerberg und wanderte Anfang 1980-er Jahre Richtung Kanada aus - nicht ganz freiwillig.

 

Herr Barmettler, Sie sind  in Alpnach als ältester Sohn einer neunköpfigen Bauernfamilie aufgewachsen. Wie kamen Sie auf den Zugerberg?

Ich wollte selbständig werden und war auf der Suche nach einer Pachtliegenschaft. In Nidwalden wurde ich nicht fündig, also streckte ich meine Fühler in der Region Zug aus. Der Unterhof von Johann Weiss, der gesundheitsbedingt aufhören musste, schien meiner Frau Heidi und mir geeignet. Am 1. April 1963 starteten wir mit dem Bauernbetrieb.

 

Wie waren die Anfänge?

Schwierig. Viele Kirschbäume waren als Folge der Hornerkälte von 1956 dürr. Aufgrund eines viel zu warmen Sommers standen die Bäume in der Fasnacht schon voll im Saft, bis plötzlich über Nacht ein gewaltiger Temperatursturz kam und grosse Frostschäden verursachte. In den ersten zwei Jahren mussten wir über 120 Bäume fällen, und dies ohne Motorsäge. Das war happig. Auch finanziell hatten wir keine einfache Situation. Darum ging ich nebenbei im Winter noch Akkordholzen. Weil ich präzis und effizient holzen konnte, durfte ich auch die kritischen Bäume in der Nähe von Hochspannungsleitungen fällen. So kam zusätzlich etwas Geld herein. Meine Frau war auch sehr gschaffig. Wir waren ein gutes Team.

 

Nicht alle Nachbarn fanden es gut, dass sich ein Nidwaldner auf dem Zugerberg niederliess.

Ja, es gab viel Neid und Missgunst. Dagegen ist eben kein Kraut gewachsen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit der «Bränte» meine Milch in die Käserei Sennhütte brachte. Auf einer Tabelle trug jeder Bauer die gelieferte Milchmenge ein. Diese Tabelle wurde argwöhnisch studiert. Vorab ging es darum, zu sehen, wie viel Milch der andere Bauer ablieferte.  Wenn einer weniger hatte als der andere, verkaufte er sofort ein, zwei Mastkälber, die bis 20 Liter Milch pro Tag tranken, um im Gegenzug mehr Milch abliefern zu können. 

 

Warum war man neidisch auf Sie?

Wir stiegen in die Braunswisszucht ein. Schon bald zeigte sich der Erfolg. Wir verkauften alle weiblichen Tiere, die wir nicht selber brauchten, zu guten Preisen. Einmal erhielt ich für ein Rind 6000 Franken, was damals ein horrender Betrag war. Achtzehn Jahre lang waren wir auf dem Berg. Hier kamen zwischen 1964 und 1973 auch unsere fünf Kinder zur Welt. Die hatten hier oben eine schöne Kindheit. Über die Tschuopis liefen sie jeden Morgen in die Stadt runter zum Schulhaus. 


Man munkelte, dass Sie die Kühe der anderen Bauern verhexten.

(lacht). Ja, so etwas habe ich auch gehört. Das kam so: einem Nachbar starb eines Tages ein Kalb.  Daraufhin organisierte der Bauer eine Art Hellseher. Dieser ging in den Stall, schlug mit einem Hammer einen Nagel in einen Holzbalken und der Funken blitzte in unsere Richtung, zum Unterhof. Da war für den Bauer klar, dass ich schuld am Tod seines Tieres war. Von diesem Tag an war ich als Hexenmeister verschrien. Es ist absurd. Diese ganze Geschichte habe ich aber erst später erfahren. Im Nachhinein war mir dann auch klar, warum mich gewisse Leute auf dem Zugerberg schnitten und nicht einmal mehr grüssten. 

 

Machte das Ihnen zu schaffen?

Klar. Wenn ich im Restaurant Geissboden eins trinken ging, machten die Leute einen grossen Bogen um mich. In der Feuerwehr gaben mir einige Kollegen nicht einmal mehr die Hand. Darunter litten meine Frau und ich. Mein Onkel tröstete mich mit den Worten: Ein Bauer, der keine Neider hat, ist ein schlechter Bauer. Mit diesem Satz konnte ich dann leben.

 

Gaben diese Ausgrenzungen den Ausschlag,  dass Sie auswanderten?

Nicht nur. Sepp Weiss, der Sohn unseres damaligen Verpächters, wollte den Hof selber bewirtschaften. Da schauten wir uns um.  Unser Traum war ein eigener Hof. Doch wir sahen bald ein, dass das in der Schweiz für uns nicht realistisch war. Durch einen Zufall machten wir Bekanntschaft mit einem Liegenschaftshändler, der in Kanada aktiv war. Im Sommer 1979 flogen wir dann selber nach Quebec und schauten uns ein paar Farmen an. Wir waren sehr beeindruckt von der Ebene und der Weite des Landes. Wir entschieden uns für die Farm, die für uns punkto Milchkontingente am wirtschaftlichsten erschien. Es war ein Hof mit  neunzig Hektaren Kulturland und siebzig Kühen. Sorgen machte uns nur noch die Finanzierung. Aber da zeigte sich, dass wir auf dem Zugerberg auch gute Nachbarn hatten. Wir sind diesem Menschen, der uns einen Kredit gewährte, ein Leben lang dankbar. Nach 15 Jahren war alles abbezahlt. 

 

Erinnern Sie sich an den Tag, an dem Sie mit Sack und Pack über den Atlantischen Ozean flogen?

Natürlich! Es war am 4. Januar 1981. Es war ein Schritt ins Ungewisse mit fünf minderjährigen Kindern. In Quebec war es minus 38 Grad Celsius und der Wind fegte mit 120 Stundenkilometern durch die Gegend. Die Lastwagen lagen neben der Strasse. Bis Mitte Februar war es bitterkalt. Nachher kam der Regen. Wenn man am Morgen aufstand, trat man draussen in riesige Pfützen. Das war keine schöne Zeit. Aber wir konzentrierten uns auf die Arbeit. Schon bald konnten wir pro Jahr zehn bis fünfzehn Stück Nutzvieh verkaufen. Das war ein gutes Standbein. Für ein schönes Munikalb, das man für die Weitermast brauchte, bekam man mehr als für eine Metzgkuh. Auch mit der Milchwirtschaft lief es gut. Die Provinz Quebec ist das Zentrum der Milchwirtschaft und produziert 48 Prozent der Milch von ganz Kanada.

 

Haben Sie in Quebec keine Neider?

Die Kanadier sind da schlauer. Die sind nicht neidisch auf einen erfolgreichen Bauern, sondern lernen von seinem Erfolg und fragen ihn um Rat. Heute haben wir 120 Hektaren Kulturland. Da läuft einiges. Wir haben noch nie so gut geerntet und geheuet wie dieses Jahr. Auch ich arbeite noch voll, bin jetzt allerdings von meinem zweiten Sohn, der den Hof übernommen hat, angestellt.

 

Wie ist Ihr Verhältnis zur Schweiz heute?

Die Schweiz ist mir hoch und heilig. Ich bleibe mein Leben lang Schweizer und freue mich immer, wenn mich Schweizer besuchen. Am nächsten Wochenende geh ich zusammen mit fünf anderen Auslandschweizern ans Eidgenössische Schwingfest in Aarau. Danach fliege ich zurück auf unseren Hof nach Warwick.