DER KONSERVATIVE FEMINIST
Der Glarner SVP-Ständerat This Jenny setzt sich für die Fristenregelung ein und kämpft für die Selbstbestimmung der Frauen. Damit stellt er sich gegen seine Partei.
Volkes Stimme ist unberechenbar und launisch. Dieser Tage meldet sie sich lobend bei This Jenny.
Der Glarner Ständerat, 50 Jahre alt, erhält weibliche Fanpost. Nicht weil er zum vierten Mal in Folge das europäische Parlamentarier-Skirennen gewonnen hat. «Unglaublich toll» und «richtig mutig» finden die Schreiberinnen, dass er sich öffentlich für die Legalisierung der Abtreibung stark macht. Ausgerechnet er. Ein Mann. Ein SVPler aus dem Zigerschlitz.
Jenny sitzt als einziger Vertreter der Schweizerischen Volkspartei im Präsidium des Komitees Ja zur Fristenregelung. Was demonstrierende Feministinnen in den Siebzigerjahren unter dem Motto «Mein Bauch gehört mir» nicht geschafft haben, versucht 30 Jahre später der Konservative Jenny: Noch Konservativere zu überzeugen, dass schwangere Schweizerinnen, die in einer Notlage sind, innerhalb von zwölf Wochen straffrei abtreiben dürfen und dass das restriktive Gesetz von 1942 geändert werden muss.
«Ja», sagt Jenny am Küchentisch seines im Landstil gebauten Einfamilienhauses im Glarner Oberdorf und blickt seine Frau an: «Ein Kind zu bekommen oder ein Kind nicht zu bekommen, ist die tiefgreifendste Entscheidung einer Frau überhaupt. Keine Regierung, kein Parlament kann einer Frau diesen Entscheid abnehmen.» Dann verengen sich seine jungenhaften Augen zu engen Schlitzen, und er fügt an: «Die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung ist allein Sache der Frau. Es geht um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.»
Jennys Argumente sind von der Idee beseelt, dass nur Kinder, die gewollt und geliebt werden, geboren werden sollen. Schliesslich hat er erlebt, was es heisst, in finanziell ärmsten und sozial misslichen Umständen aufzuwachsen. Jenny wurde, weil die eigenen Eltern keine Zeit hatten, von seiner Grossmutter grossgezogen. Deshalb schwillt seine Stimme schon mal an, wenn ihm militante Abtreibungsgegner mit dem «Schutz des ungeborenen Lebens» als elementare Aufgabe des Staates kommen: «Viele wissen gar nicht, was es heisst, ungeliebt und ungewollt in der Gegend herumgestossen zu werden.» Der Vater einer 14-jährigen Tochter und eines 12-jährigen Sohnes plädiert für Prag- matik: Wer sich ausser Stande sehe, ein Kind grosszuziehen, breche eine Schwangerschaft notfalls besser ab. «Notfalls», wiederholt er. Am besten sei natürlich Prävention.
Im laufenden Abstimmungskampf nimmt Jenny eine Schlüsselrolle ein. «Als Strammbürgerlicher hat er das Potenzial, die konservativen Landkantone zu überzeugen, dass die Fristenregelung nicht des Teufels ist, sondern der gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt», sagt etwa SP-Nationalrätin Barbara Haering, Wegbereiterin der Fristenregelung. Die Grüne Cécile Bühlmann rühmt Jennys Haltung und ist überzeugt: «Bei ihm kommt sie aus dem Herzen.» Jennys Halbbruder, ETH-Professor und SP-Mitglied Peter Jenny, nimmt stolz zur Kenntnis, dass This den Weg der fortschrittlichen Frauen eingeschlagen hat. Ganz überraschend sei das freilich nicht. «Er ist kein Chorknabe, sondern ein origineller und eigenständiger Denker, der auf die Hinteren stehen kann.»
Unverhohlen und erfrischend sind seine Voten, heben sich wohltuend von den salbungsvollen und mitunter frömmlerischen Äusserungen seiner Parteikollegen ab. SVP-Bundesrat Samuel Schmid war diesbezüglich als Ständerat Weltmeister. Als könne man dem delikaten Thema auf Deutsch nicht gerecht werden, gab Parlamentarier Schmid lateinische Maximen zum Besten, sprach vom Schutz des «nasiturus» und vom Grundsatz «Fiat iustitia et pereat mundus». Frei übersetzt: Möge die Welt untergehen, Hauptsache, es wurde Recht getan.
Jenny käme das nie in den Sinn. Nicht weil er als eidgenössisch diplomierter Baumeister nie Latein gelernt hat. Aber beim Thema Abtreibung ist das Bewusstsein des unberechenbaren Glarners von der sozialen Wirklichkeit geschärft. Jenny, dessen Familienplanung wunschgemäss verlief, gerät in die sonderbare Rolle des Aufklärers.
«Eine verzweifelte Frau, die ihr Kind nicht bekommen will, wird es nicht bekommen - ganz gleich, was im Gesetz steht. Sie wird sich durchfragen und eine Ärztin finden, die ihr in ihrer Situation hilft», sagt er und verweist darauf, dass heute trotz restriktivem Recht jede achte Schwangerschaft abgebrochen wird. Lässt er sich, wie in der Sommerdebatte 2000 im Ratssaal zu einer pointierten Bemerkung hinreissen, bringt er gar die Journalistentribüne und die Innerschweizer Abtreibungsgegner zum Schmunzeln. «Bei allem Respekt für die männlichen Gegner der Fristenregelung», sprach Jenny damals ins Mikrofon, «ungewollt schwanger war noch keiner von ihnen und wird es auch nie sein.» Der Befürchtung, Frauen würden durch die Legalisierung voreilig oder womöglich unüberlegt abtreiben, entgegnet er trocken: «Ein solcher Entscheid wird ja nicht einfach in fünf Minuten beim Einkaufen gefällt, so zwischen Tür und Angel.»
Für FDP-Ständerätin Vreni Spoerry sind solche ungeschminkten, aber nie beleidigenden Wortmeldungen «typisch Jenny». Sie nimmt ihn in Bundesbern als «einen der farbigsten Debattierer» und geschäftlich als «Unternehmer mit betriebswirtschaftli-cher und sozialpolitischer Verantwortung» wahr. Dass er mit seiner Haltung von der offiziellen Linie der SVP Schweiz abweicht, verleihe ihm zusätzlich Profil. Schliesslich hat die SVP den Schwangerschaftsabbruch nie zur Prestigefrage erklärt und wirkt beim Thema eher gelangweilt. «Für uns ist das keine parteipolitische Frage», bestätigt SVP-Präsident Ueli Maurer, der Andersdenkende in der Partei sonst schnell ausgrenzt. Jenny könne sagen, was er denke. «Das macht er ohnehin.»
Tatsächlich: Der Vorschlag der CVP, Abtreibungen nur mit einer obligatorischen staatlichen Beratung zu akzeptieren, ist für Jenny «eine unnötige Schikane und eine erneute Bevormundung von erwachsenen, selbstständigen Frauen.» Kurz: «Die übelste Heuchelei.» Hat er den Mut solche Voten öffentlich auf Podien zu wiederholen? «Hoffentlich», sagt Annemarie Rey, Präsidentin der Vereinigung für straflosen Schwangerschaftsabbruch. Sie würde es «enorm begrüssen», wenn Jenny seine «superfeministischen Voten» an Veranstaltungen, beispielsweise in der katholischen Innerschweiz, verkünden würde. Jenny hat damit kein Problem: «Wenn man mich will, trete ich an. Ich muss es nur früh genug wissen.»Dass er sich mit seiner liberalen Haltung wertvolle Stimmen für die kommenden Ständeratswahlen 2004 verscherzen könnte, hat er sich nicht überlegt. «Wichtiger», sagt er mit philosophisch anmutender Stimme, «ist mir denkerische Freiheit.»
Schutz des geborenen Lebens: This Jenny ist überzeugt, dass nur Kinder, die gewollt und geliebt werden, geboren werden sollen.
Abstimmung in der Schweiz
Am 2. Juni stimmt die Schweiz über zwei Vorlagen zum Schwangerschaftsabbruch ab: Über die Fristenregelung, die Frauen erlaubt, innerhalb von 12 Wochen straffrei abzutreiben, und die Initiative «Für Mutter und Kind», die ein generelles Abtreibungsverbot vorsieht. Während SP und FDP die Fristenregelung befürworten, lehnen sie SVP und CVP ab. 1977, 1978 und 1985 scheiterte die Lockerung des Abtreibungsverbots an der Urne. Heute hat sich die Ausgangslage zu Gunsten eines straffreien Abbruchs verändert. Bundesrat, Parlament und sogar der Evangelische Frauenbund empfehlen die Fristenregelung zur Annahme.