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ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

18.10.1999

HOCHKARäTIGER KENNER

 

Der Chef der Cartier-Collection, Eric Nussbaum, ist Herr über 1600 antike Schmuckstücke. Im Dienste von Juwelen und Diamanten bereist er die Welt.

 

Der Lärm des Staubsaubers brachte Eric Nussbaum, 59,  in Rage. Auf dem Flur des Hotels «Intercontinental» an der Michigan Avenue in Chicago setzte ein Zimmermädchen am Samstagmorgen punkt sieben Uhr das dröhnende Reinigungsgerät in Betrieb - direkt vor Nussbaums Tür. «Ich musste aufstehen und mich beschweren», sagt Nussbaum und seufzt: «Das Leben in Hotels hat seine Nachteile.»

 

Für Nussbaum gehört es jedoch zur Pflicht. Denn seine Leidenschaft treibt ihn um den Erdball. London, New York, Paris, Tokio, Chicago standen als Destinationen das letzte Halbjahr auf dem Programm.  Nussbaum reist im Dienste von Diamanten und Juwelen. Er ist Chefkurator der «Collection Art de Cartier» und somit Herr über 1600 antike Schmuckstücke.

 

Die Sammlung gehört weltweit zu den wertvollsten. Sie zeigt die künstlerische und stilistische Entwicklung des Unternehmens Cartier seit der Gründung im Jahre 1847. Müsste man den Edelstein-Spezialisten im Jargon der Haute Joaillerie umschreiben, wäre der treffende Begriff für seine Person «hochkarätig». Kein Prominenter zwar hier zu Lande, aber hoch angesehen auf dem internationalen Parkett des Edelschmucks.


Der Aufenthalt in Chicago ist für Eric Nussbaum ein beruflicher Höhepunkt: Nach dem Metropolitan Museum in New York stellt nun auch das Field Museum «seine» Cartier-Collection aus. Die Stücke haben den Weg ans Tageslicht gefunden - aus den dunkeln Schliessfächern des gepanzerten Tresorraums an der Rue du Rhône in Genf, wo die Kostbarkeiten sonst lagern.


Feierlich führt Nussbaum durch die Ausstellungsräume. Unendlich schön und kostbar ruhen die Colliers, Bracelets und Broschen in ihren Schneewittchensarg-Vitrinen. Rubin, Saphir, Smaragd, Gold und Platin leuchten um die Wette mit funkelnden Bergkristallen und Diamanten. Es sind Einzelstücke, Luxus pur von Hand gefertigt, formvollendet, raffiniert. Nussbaum hat sie im Lauf der letzten fünfzehn Jahre an Auktionen für Cartier ersteigert oder von betuchten Privatpersonen aus Adel und Aristokratie direkt zurückgekauft. Es sind kühne Kreationen, für deren Ankauf Nussbaum oft monatelange und zähe Verhandlungen führen musste. «Schmuck ist mein Leben», sagt Nussbaum, «die Kollektion meine Familie.»


Die Branche der Bijoux ist ein diskretes Metier, und diskret ist auch Eric Nussbaum. Besitzer von alten Erbstücken, die plötzlich in Liquiditätsnöte geraten und Nussbaum um Rat oder eine konkrete Schätzung fragen, legen Wert auf Anonymität; nie und nimmer würde Nussbaum ihre Namen verraten. Die Kaufpreise hält er geheim. «Wir sind eine honorable Firma.»


Wenn er bei internationalen Auktionen für die Cartier-Sammlung um ein Diadem oder ein Sautoir aus der Vorkriegszeit mitbietet, schreit er sein Angebot nicht wie ein japanischer Börsenhändler in den Raum. «Ich bin konzentriert und weiss genau, zu welchem Zeitpunkt ich welche Summe offerieren will.» Die Kunst des Mitbietens will gelernt sein. «Man braucht das Flair und Geduld.» Auch wenn es nur per Telefon ist und Nussbaum wegen der Zeitverschiebung mitten in der Nacht aus dem Bett steigen muss, ist für ihn jede Versteigerung ein Nervenkitzel - bis endlich der Hammer fällt. «Das sind lange Sekunden und anstrengende Momente.»


Der Hammer fiel beim «devant de corsage», einer 27 Zentimeter langen Diamant-Bauchbrosche in Form zweier Lilienäste, zu Nussbaums Gunsten. 1991 hat er sie bei Sotheby's in New York für Cartier für 800 000 Dollar zurückgekauft. Mehr als die enormen Geldsummen interessieren Nussbaum die Geschichten hinter den Kostbarkeiten. Wie ein Detektiv analysiert er Gipsabdrucke, Skizzen, alte Bestellbücher und Kundenlisten, welche die Brüder Cartier gewissenhaft erstellt haben.


Immer wieder stösst Nussbaum beim Stöbern im New-Yorker Archiv auf imposante Kundendossiers. «Eva Stotesbury», fand er heraus, «hat eines der längsten Dossiers.» Die Lady stammte aus einer philadelphischen Bankiersfamilie und wusste ihr teures Hobby auf eine Art zu pflegen, die den distinguierten Schweizer beeindruckt: Miss Stotesbury beschäftigte rund um die Uhr einen Kleidersekretär, der jeden ihrer Auftritte bis zum letzten Clip durchstylte. Damit sie nicht zweimal dasselbe Collier zum selben Kleid trug, arrangierte sie in ihrem Apartment auf Büsten jede Kombination und führte minuziös Buch darüber, was sie wann und wo in welcher Zusammensetzung getragen hatte.


Das Tragen von Schmuck ist eben eine Kunst für sich. «Wichtig dabei ist nicht, dass die Frau makellos schön ist, sondern dass sie Stil hat und weiss, wie man sich mit Schmuck bewegt.» Als Ästhet sieht Nussbaum sofort, wenn eine Frau im Schmucktragen keine Übung hat. «Die Brosche muss exakt sitzen, am richtigen Ort, auf dem richtigen Stoff», sagt er und spreizt - wie vornehme Omas beim Kaffeetrinken - den gestreckten kleinen Finger. Zum Vorschein kommt sein eigener Fingerschmuck: ein Platinring mit Saphir und ein Diamant in Goldfassung. Rutscht der weisse Hemdrand nach hinten, offenbart sich am schlanken Handgelenk ein Klassiker von Cartier: Modell Tank, Stahl und 18 Karat Gold. «Ein Geschenk meines Chefs», kommentiert der Träger, «mit einem neckischen Detail.» Die Fabriknummer entspricht seinem Geburtstag: 180440.


An dem Tag wird Eric Nussbaum an der Cäcilienstrasse in Bern geboren. Er macht die Handelsmatura und findet seine erste Stelle in der Marketingabteilung von Omega. Die Karriere, die dann folgt, ist kein müheloses Wohlstandsmärchen, sondern solide Ausbildungsarbeit. Bei der Gemmological Association of Great Britain studiert Nussbaum die Wissenschaft der Edelsteine. Dann ist er in verschiedenen Filialen von Gübelin tätig und absolviert ein Praktikum bei einem Pariser Diamantenhändler. Mit dreissig wird Nussbaum zum Direktor von Cartier München ernannt. Dann arbeitet er während sieben Jahren als rechte Hand von Gianni Bulgari. Seit 1983 ist er für die «Collection Art de Cartier» verantwortlich.


«Aber schreiben Sie nicht so viel über mich. Schreiben sie über den Schmuck», sagt Nussbaum und zeigt auf ein Schwarzweissfoto von Daisy Fellowes. Die extravagante Lady aus der Dynastie der Singer-Nähmaschinen und Herausgeberin von «Harper's Bazaar» habe ein Vermögen für Schmuck ausgegeben. Zehn Mal liess sie das berühmte Hindu-Halsband ändern, um es 1954 ein einziges Mal auf einem Maskenball in Venedig zu tragen. Ihr Neffe gab es schliesslich 1991 in eine Auktion bei Sotheby's in Genf. Es fiel in die Hände von Eric Nussbaum. Mit Handschuhen hat er das Prachtstück von geradezu obszönen Ausmassen angefasst. «Ein enormes Gefühl.»


Auch wenn es nahe liegt - ein Snob ist Eric Nussbaum nicht. Logisch freut er sich über seine 5000 Franken teuren Manschettenknöpfe, Jahrgang 1925, und zieht die First- der Businessclass vor. Als Vielflieger gehört er zum «Cercle-Club», einer topexklusiven Travelvereinigung, die weltweit nur 1000 Mitglieder zählt. Doch für penetrant zur Schau getragenen Protz hat der letztlich unscheinbare Herr nichts übrig. Das Wort Kurator stammt schliesslich vom lateinischen curare und bedeutet pflegen. Nussbaum kultiviert den Luxus gekonnt und ungezwungen. Grossanlässe sind ihm ein Graus. «Nach fünf Minuten hab ich genug.»


Man sieht es ihm förmlich an. Als das Field Museum in Chicago zur Eröffnung der Cartier-Ausstellung zum Gala-Dinner lud, hielt sich Nussbaums Vorfreude in Grenzen. Der Schweizer wurde wohl in einer schwarzen Limousine mit polierten Radkappen heranchauffiert und figurierte unter den handverlesenen Gästen als einer der Protagonisten. Aber im Mittelpunkt fühlt sich Nussbaum nicht wohl. Für die Banalitäten des amerikanischen Smalltalks ist er nicht empfänglich. Lieber schleicht er sich unauffällig aus dem pompösen Festsaal, um auf der Terrasse eine Zigarette zu rauchen und schweigend die Abendbrise zu geniessen.


Dabei gab der Anblick der über 1000 Gäste und Donatoren gerade punkto Schmuck einiges her. Viele der betuchten Damen haben zur Feier des Tages ein Stück von Cartier aus den eigenen Schatullen geholt. Es funkelt an Hals und Händen. Anlass für Nussbaum, sein beliebtes Spiel zu spielen: Was ist echt? Was ist falsch? Der Edelstein-Spezialist kneift die Augen zusammen und bilanziert: «Die falschen funkeln zu sehr. Das gibt ein Farbengemisch beim Reflektieren. Echte Diamanten schicken ihre Farbstrahlen in geordneter Reihenfolge: Rot, blau, grün, orange, goldgelb.»


So wie der Halsschmuck des Maha- radschas von Patiala. Nussbaum entdeckte das 900 Gramm schwere Stück bei einem Diamantenhändler in London. Zur Familie «Collection Art de Cartier» gehört das kolossale Diamantencollier jedoch nicht. «Noch nicht», korrigiert Eric Nussbaum viel sagend.

 

ENDE LAUFTEXT

 

Eric Nussbaum


Eric Nussbaum, Jg. 1940, ist gebürtiger Berner. Seine erste Stelle fand er in der Marketingabteilung von Omega. Dann wandte er sich in England dem Studium der Edelsteine zu und war in verschiedenen Filialen der Firma Gübelin tätig. Nach einem Praktikum bei einem Pariser Diamantenhändler wurde der 30-jährige Nussbaum zum Direktor von Cartier München ernannt. Anschliessend arbeitete er während sieben Jahren als rechte Hand von Gianni Bulgari. 1983 engagierte ihn Joseph Kanoui, der damalige Präsident von Cartier monde, für den Aufbau der «Collection Art de Cartier».