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TEXT

Sabine Windlin

DATUM

25.5.2000

DIE ALLESKöNNERIN

 

Integrieren, mobilisieren, kommunizieren, motivieren - die Erwartungen der Sozialdemokraten in Christiane Brunner sind enorm.

 

Was erwarten die Sozialdemokraten von Christiane Brunner? SP-Mann Didier Berberat, Stadtschreiber von La Chaux-de-Fonds, sagt: «Viel.» Dann holt er Luft und sagt «sehr viel», zählt einen Rattenschwanz an Erwartungen auf und sagt: «Brunner kann das.»

 

Brunner kann alles: Integrieren, mobilisieren, motivieren, kommunizieren, koordinieren. «Ich erwarte eine knallharte Führung des Parteisekretariats und ein durchdachtes Agendasetting», sagt Boris Banga, Solothurner SP-Nationalrat. «Ich erwarte Integration nach innen, kraftvolle Vertretung nach aussen», sagt der Zürcher SP-Nationalrat Mario Fehr. «Ich erwarte, dass Brunner eine Brücke schlägt zwischen Partei und Gewerkschaft», sagt Paul Günter, SP-Nationalrat aus Bern. «Ich erwarte, dass die SP den Strukturwandel und das Wirtschaftswachstum sozial verträglich begleitet», sagt Susanne Leutenegger Oberholzer, Nationalrätin aus Baselland. «Ich erwarte, dass wir punkto Medienarbeit den Anschluss an Bodenmann-Zeiten finden», sagt Stephanie Baumann, Nationalrätin aus Bern, und Rudolf Rechsteiner, Nationalrat aus Basel, erwartet, dass Brunner die Parlamentsarbeit vorantreibt, kompetente Leute in den Vordergrund rückt und «dass wir vom Rechtskurs abkommen».

 

Die Frau, von der all das erwartet wird, schweigt. Seit Wochen. Und sie wird weiter schweigen, bis zum 27. Mai. Dann tagt der SP-Parteivorstand und diskutiert die Vorschläge der Arbeitsgruppe Strukturreform. Dass Brunner ihre Kandidatur von einer «breiten Akzeptanz» der (von ihr selbst mitausgearbeiteten) Strukturreform abhängig macht, stört die Mehrheit der Sozialdemokraten nicht. Hauptsache, der Partei-frieden kehrt ein. Brunner ist gesetzt - seit dem Rücktritt von Jean-François Steiert mehr denn je. Der umstrittene General- sekretär liess durchblicken: Mit seinem Abgang wollte er Brunner den Weg ebnen.

 

Konzilianz statt Konfrontation heisst das neue Motto nach dem dreijährigen Koch-Interregnum. Die Präsidentin der SP Lausanne, Géraldine Savary, bringts auf die Formel: «Brunners Aufgabe ist es, zu kitten, zu kitten und nochmals zu kitten.» «Die Streitkultur», fordert die Berner SP-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot, «muss besser, die verschiedenen Meinungsströmungen optimal kanalisiert werden.» Vreni Müller-Hemmi, Koch-Vertraute aus Zürich, will eine Parteispitze, die der SP «Bodenhaftung» gibt. Rudolf Strahm, Berner Nationalrat, erwartet mit Brunner nicht «den grossen Aufbruch», aber «eine gewisse Stabilisierung». Genau wie Pierre Aebi, SP-Präsident ad interim. Er setzt auf eine «starke Person, die vereinigt», Anita Fetz auf eine Brunner, «welche die SP politisch fit macht». Pierre Chiffelle, Waadtländer SP-Nationalrat, auf eine Christiane, die «die Kampagnenfähigkeit der Partei stärkt».

 

Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Präsident, aus Brig erwartet auch etwas; allerdings nicht explizit von Brunner, aber generell von einer künftigen Führung: mehr Ideen und mehr Initiative. Er fordert vier Kernkompetenzen: «Antizipierende Konzepte, zuspitzende Kommunikation, organisatorische Schlagkraft zur Mobilisierung und feinmechanische Fähigkeiten zur Umsetzung politischer Deals.»

Bodenmann war der Clanchef. Koch die Frau für die Basis, Brunner soll mehr sein: Integrierende Kraft von Deutsch und Welsch, Symbolfigur der Frauenbewegung, Friedenstaube, Moderatorin zwischen der Gewerkschaft und den Modernisten. Alle Hoffnung wird in jene Frau gesteckt, die das magische «Ich will» noch immer nicht über die Lippen gebracht hat. Christiane Brunner liess bis jetzt bloss verlauten, dass sie «im Interesse der Gesamtpartei» eine Kandidatur «nicht ausschliesst».


Fraktionschef Franco Cavalli hingegen weiss schon seit Anfang Mai: «Sie ist die richtige Präsidentin, polithungrig genug, um den Laden zu schmeissen.» Mit Brunner, sagt der Solothurner Ständerat und Eisenbahner-Gewerkschaftspräsident Ernst Leuenberger, könne die Partei den längst fälligen Beweis erbringen, «dass eine Frau fähig ist, dieses Amt auszuüben». Doris Stump aus Zürich findet das, Ursula Wyss, die jüngste Nationalrätin aus Bern, findet das, und Vreni Hubmann, Nationalrätin aus Zürich, sagt: «Sie verkörpert die Anliegen der Frau und ist eine Hoffnungsträgerin.» Regine Aeppli: «Sie ist glaubwürdig - intern und extern.» Valérie Garbani, Nationalrätin aus Neuenburg: « Linke schätzen sie, Rechte respektieren sie.»

 

Die ehrgeizige Bernerin und Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga da-gegen spricht von «Wettbewerb» und «Service public», von «Kostenwahrheit» und «Fortschritt», und darüber möchte sich die SP zum jetzigen Zeitpunkt keine Gedanken machen. Sommaruga würde eine Debatte über die künftige politische Stossrichtung der SP auslösen. Abgeschrieben ist die Sankt-Galler Nationalrätin Hildegard Fässler, die ihre Ambitionen schon vor Kochs Rücktritt kundgetan hat. Bleibt Brunner. «Und gegen die», sagt der Berner SP-Mann Peter Vollmer, «getraut sich niemand anzutreten.»

 

Anfang Woche haben die sozialdemokratischen Frauen der Schweiz ein Anforderungsprofil «betreffend Neubesetzung des Parteipräsidiums» publiziert. Die Person müsse erstens hinter den Zielen des Feminismus stehen, sich zweitens für die Gleichstellung einsetzen, drittens eng mit den SP-Frauen zusammenarbeiten, viertens integrativ wirken und fünftens gut mit den Medien arbeiten. Punkt eins bis vier erfüllt Brunner. Und mit den Medien will sie nach dem 27. Mai auch wieder sprechen.

 

ENDE LAUFTEXT


Einig, einig, einig


Die Konzentration der Macht an der Parteispitze wird in der SP für hitzige Diskussionen sorgen.
Am Samstag, 27. Mai, trifft sich der 120-köpfige Parteivorstand der SP Schweiz in Bern und berät ein Papier, das SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss, die mögliche SP-Parteipräsidentschafts-Kandidatin Christiane Brunner und SP-Fraktionschef Franco Cavalli ausgearbeitet haben. Der erste Satz des Papiers lautet wörtlich so: «Hauptziel dieser Reform ist es zu erreichen, dass sich unsere Partei als geeinte politische Kraft präsentiert, die ideenreich ist und über die nötigen Kräfte verfügt, um politische Vorschläge einzubringen, in der aber gleichzeitig Einigkeit besteht zwischen der «Basis» und den Gewählten, zwischen der Partei und der Fraktion der eidgenössischen Räte und zwischen der lateinischen und der deutschen Schweiz.»


Der unendliche Satzwurm besagt, dass «Einigkeit» zum neuen Merkmal der SP Schweiz avancieren soll. Es handelt sich um eine allumfassende «Einigkeit», die die SP mittels neuen - «effizienten» - Strukturen herstellen will. «Effizient» sind Strukturen, wenn sie klein sind. Sechs Stimmen soll die neue SP-Geschäftsleitung haben, und alle diese sechs Stimmen sind für Mitglieder der Fraktion vorgesehen, was innerhalb der Partei für eine hitzige Debatte sorgen könnte. Bis jetzt haben die SP Frauen und die Jusos angemeldet, dass sie weiterhin in der obersten Parteispitze vertreten sein möchten.