PUBLIKATION

Online-Magazin Schulinfo

ZUSAMMENARBEIT

Susanne Egli (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

3.4.2018

«WIR BOTEN DIE HALBE COMICSZENE AUF»

 

Die Zuger Grafiker Daniel Christen und Andrea Näpflin gestalten seit Jahren erfolgreich Lehrmittel, auch Bestseller wie «Das Schweizer Zahlenbuch». An die eigene Schulzeit erinnern sich die beiden Grafikdesigner nur ungern.

 

Ihre Firma hat schon mehrere Schulbücher für diverse Lehrmittelverlage gestaltet. Sind solche Aufträge eher gut fürs Renommee oder fürs Portemonnaie?
Daniel Christen: Wir freuen uns über diese Aufträge, sie geben mir und meinem sechsköpfigen Team eine Grundauslastung und sorgen dafür, dass mein Atelier auch wirtschaftlich funktioniert. Lehrmittel braucht es immer wieder neue. Ergo gibt es für uns Gestalter kontinuierlich Arbeit. Wenn man bei einem Verlag einmal einen Fuss drin hat, und die sehen, dass man gute Arbeit leistet, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es Folgeaufträge gibt. Allerdings sind die Margen, da der Markt so umkämpft ist, eher klein.


Hinter jedem Lehrmittel steht eine Redaktion, die für die Konzeption zuständig ist und die die Autoren beschäftigt. Welche Herausforderungen gibt es für Sie als Gestalter zu meistern?
Daniel Christen: Die Herausforderung besteht für uns darin, Handlungsanweisungen so umzusetzen, dass sie sowohl für Lehrer wie auch für Schüler klar sind. Da läuft viel übers Auge. Als Gestalter können wir mit klaren Visualisierungen wichtige Inputs liefern. Nehmen wir zum Beispiel das Thema der Masseinheiten. Anstelle eines Textes zeigt man einen 1-Liter-Krug, der sichtbar bis zur Hälfte gefüllt ist. So wird erkennbar, dass das Gefäss fünf Deziliter enthält. Ein Punkt, der immer zu längeren Diskussionen führt, sind das Verhältnis Text und Bild.
Andrea Näpflin: Die Redaktionen wollen häufig zu viel Inhalt auf eine Seite packen. Wir Gestalter plädieren eher dazu, Ballast abzuwerfen. Abstände, Schriften, Gliederung: Dies alles macht die visuelle Qualität eines Lehrmittels aus.


Für den Klett und Balmer Verlag haben Sie 1999 / 2000 die erste Generation des Mat-hebuchs «Das Zahlenbuch» Band 5 und 6 gestaltet; ein Klassiker im Kanon der Lehrmittel, der schon diverse Neuauflagen erfahren hat. Hängt dieser Erfolg auch mit der guten Gestaltung zusammen?
Daniel Christen: Das wäre erfreulich! Allerdings haben bei den zahlreichen Überarbeitungen, die das Zahlenbuch seit 1999 erfuhr, auch noch andere gute Gestalter mitgewirkt. Unbestritten ist: das Zahlenbuch wurde ein Bestseller. Mit Ausnahme der Kantone Zürich, der beiden Appenzell und Graubünden dient es inzwischen in der ganzen Deutschschweiz als Lehrmittel. Ich erinnere mich noch gut an die Startphase. Der Auftrag wurde ausgeschrieben, denn der Verlag wollte aus mehreren Ideen die beste auswählen. Wir haben die Ausschreibung gewonnen. Das damalige Autorenteam war top besetzt. Ihm gehörten unter anderem Heinz Amstad und Gregor Wieland an. Die Projektleitung lag bei Rolf Kugler, ehemaliger Zuger Stadtrat. Die Zusammenarbeit war sensationell. Wir debattierten endlos, zogen uns für Sitzungen in tagelangen Retraiten zurück und waren leidenschaftlich bei der Sache. Das Zahlenbuch war revolutionär. Denn erstmals setzte man konsequent auf das Visuelle. Brüche, Masse und Räume wurden so beispielhaft erfahrbar. Bis heute wurden mit dem Schweizer Zahlenbuch weit über 500'000 Primarschulkinder in die Welt der Zahlen, Muster und Formen eingeführt.


Im Auftrag von Klett und Balmer haben Sie auch das Französisch-Lehrmittel «Ça bouge» für die 5. und 6. Klasse gestaltet. In Arbeit sind die Bände für die Oberstufe. Wie gross sind die Chancen, dass auch dies ein Bestseller wird?
Andrea Näpflin: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Die Bücher der 5. und 6. Klasse befin-den sich noch in der Erprobung. Damit «Ça bouge» auf dem Markt eine Chance hat, ist es wichtig, dass die Oberstufenbücher innert nützlicher Frist fertig sind. Darum stehen wir ein wenig unter Zeitdruck. Als Gestalterin bin ich gefordert und froh, dass mich eine erfahrene Kollegin, die schon Lehrmittel gestaltet hat und früher einmal Lehrerin war, dabei unterstützt. Mein Ziel bei der Gestaltung von «Ça bouge» ist es, die Lehrpersonen der jungen Generation zu begeistern. Die Zusammenarbeit mit Klett und Balmer ist sehr motivierend. Das wird sich mit Sicherheit positiv auf das Endprodukt auswirken.


Für den Verlag Sabe Sauerländer haben Sie ab 2003 die Reihe «Sprache zur Sache» von der 2. bis in die 9. Klasse entwickelt. Der Markterfolg des Buches blieb zwar aus, aber in gestalterischer Hinsicht wurde die Buchreihe wegweisend für viele andere Deutschbücher.
Daniel Christen: Ja, diese Schulbuchreihe wurde vom Bundesamt für Kultur im Rahmen des Wettbewerbs «Schönste Schweizer Bücher des Jahres 2003» ausgezeichnet. Die Jury war angetan von der neuartigen Bildhaftigkeit, die wir ins Fach Deutsch brachten. Für mich selber war der Auftrag vor allem auch deshalb so einzigartig, weil er uns erlaubte, über alle reali-sierten Bände hinweg und während sieben Jahren mit fast 40 Illustratoren zusammenzuarbei-ten. Wir hatten unglaublich viele Freiheiten, boten die halbe Luzerner Comic-Szene auf und spannten viele Leute ein, die heute Rang und Namen haben: Martin Woodtli, Vera Egger-mann, Anna Sommer, Andreas Gefe, François Chalet und viele andere.
Andrea Näpflin: Gerade bei den Illustrationen muss man das Alter der Kinder vor Augen haben. Einen Zweitklässler kann man nicht mit den gleichen Illustrationen ansprechen, wie ein Oberstufenschüler. Wenn man die Bände 2 bis 9 der Reihe «Sprache zur Sache» durchblättert, werden die Unterschiede offenkundig und man sieht, dass die Illustrationen zielgruppenorientiert und stufengerecht daherkommen.


Welche Erinnerungen haben Sie selber an die Primarschulzeit? Fiel Ihnen das Lernen einfach? Waren Sie gute Schüler?
Daniel Christen: Die Schule war für mich eine schwierige Zeit. Ich habe gestottert und dies hat sich in meiner Leistung, vor allem in den Sprachen, nicht positiv ausgewirkt. Also habe ich viel gezeichnet, dies war meine Form mich mitzuteilen. Was ich bedaure: das heutige Schulsystem ist immer noch stark defizitorientiert. Zwar heisst es immer, man fordere und fördere, aber im Grunde genommen wird den Kindern in der Schule vor allem gesagt, was sie alles falsch machen. Der Ansatz ist meist negativ. Und noch etwas ärgert mich: Ständig wird über Lerninhalte geredet. Dass Lernen aber nur funktioniert, wenn Lehrer und Schüler eine Beziehung zu einander aufbauen, wird meines Erachtens im Studium viel zu wenig vermittelt. Ein Lehrmittel ist darum für mich nicht primär ein Produkt für die Stoffvermittlung, sondern ein Kommunikationsmittel zwischen Lehrer und Schüler.
Andrea Näpflin: Als Legasthenikerin fiel mir das Lesen und Schreiben während der Schulzeit eher schwer. Meine Erinnerungen an die Schule sind daher mit gemischten Gefühlen verbun-den. Erst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel fühlte ich mich sicherer, weil ich mich mit visuellen Mitteln ausdrücken konnte.