PUBLIKATION

100 Jahre Zuger Frauenbund

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

6.6.2013

SCHICKSALSGENOSSINNEN UNTER SICH

 

Alleinerziehende sind heute zwar keine Exoten. Trotzdem schätzen sie das Freizeitprogramm des Zuger Frauenbundes. Hier wird geschnitzt, gebastelt, gekocht, gewandert und gefeiert.

 

Eine Haus- und Geschäftsfrau, die dreifache Mutter ist, nebenbei noch strickt und Sport treibt,  wird – so sollte man meinen – zu 100 % ausgelastet sein. Nicht so Irina Mercurio. Die grossgewachsene, 44-jährige Powerfrau war bereit für eine neue  Herausforderung, als sie sich 2010 spontan beim ZKF meldete: „Ich rief dort an und fragte, ob man mich brauchen könne, ich hätte am Wochenende freie Kapazität.“, erinnert sie sich. Am anderen Ende des Drahtes zögerte man keine Sekunde und betonte, dass ihr Anruf genau zu richtigen Zeitpunkt  käme. Die bisherige Leiterin der IG Alleinerziehenden hatte kurz vorher ihr Mandat abgeben.  Eine Nachfolgerin musste her.

 

Welchen Aktivismus Irina Mercurio seither an den Tag legt, dokumentiert der dicke Ordner, den sie  vor sich liegen hat. Darin stapeln sich Briefe, Konzepte, Abrechnungen, Einladungen, Flyer und Adresslisten.  Für jedes Jahr stellt sie ein vielseitiges und attraktives Programm mit Veranstaltungen zusammen, lädt ein zu Vorträgen, zum Spaghettiplausch, Lottomatch, Osterbrunch, Kürbisschnitzen, Eierfärben, Steinbemalen und Pizzabacken.  Im Sommer werden gemeinsam Erdbeeren gepflückt, Waldspaziergänge oder Schnitzeljagden unternommen. Im Winter  trifft man sich zu einer gemeinsamen Samichlausfeier  oder kreiert zuckersüsse Hexenhäuser aus Lebkuchen. Dass sie selber glücklich verheiratet ist, sieht sie nicht als Nachteil in ihrem Engagement. Fühlt sich nicht mache verheiratete Mutter, die einen beruflich viel beschäftigten Mann  hat, manchmal ein wenig alleinerziehend?

 

Die Lokalitäten im Quartiertreff Guthirt am Lüssiweg in Zug eignen sich  ideal für die kreativen Bastel- und Plauderstunden. Zwei- oder dreimal im Jahr unternimmt die Gruppe einen Ausflug, etwa in die Hergiswiler Glasi, in den Küssnachter Seilpark, ins Luzerner Naturmuseum, ins Verkehrshaus,  in die Kambly-Fabrik nach Trubschachen, oder sie stattet der Feuerwehr einen Besuch ab. Eine treue und unternehmungslustige  Stammgruppe aus zwölf Personen ist eigentlich immer dabei. Manchmal melden sich gar gegen zwanzig Leute an.

 

Als sich die IG Alleinerziehende unter dem Dach des ZKF vor über 30 Jahren die formierte, waren Geschiedene noch um Randgruppe, eine Minderheit, die gesellschaftlich einen schweren Stand hatte. Dies ist, bedingt durch eine Scheidungsquote von über 50 %, heute definitiv nicht mehr der Fall. Doch dürfen die Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen: Eine Scheidung oder Trennung ist für Betroffene – vor allem wenn Kinder da sind - auch heute noch eine einschneidende Erfahrung, die nicht von heute auf morgen verarbeitet werden kann . Wer vom Freundes- und Familienkreis nicht automatisch aufgefangen wird, fühlt sich verunsichert, aus der Bahn geworfen.  „Da tut es gut, zu realisieren, dass  es im Umkreis noch andere Menschen gibt, die sich in einer ähnlichen Situation befinden“, erzählt Irina Mercurio.

 

Neben der Möglichkeit, Spass zu haben und vom Alltag abzuschalten, bietet die IG Alleinerziehende den „Schicksalsgenossen und -genossinnen“ auch eine wichtige Plattform für Gespräche und Diskussionen. Wenn sich die Teilnehmenden etwas besser kennen, vertrauen sie sich durchaus  auch mal ihre Sorgen an, reden über finanzielle Engpässe, Verletzungen und Enttäuschungen oder berichten über neue Ziele, Pläne und Begegnungen.  Seit kurzem zählen sogar zwei alleinerziehende Väter zum harten Kern und schätzen das unkomplizierte und niederschwellige Angebot.  Um die Veranstaltungen noch bekannter zu machen, ist  Irina Mercurio eifrig am Akquirieren, verteilt Flyer in Arztpraxen und Bibliotheken und ist an Veranstaltungen präsent. Als sie den ZKF am Rischer Dorfmarkt mit einem Infostand vertrat, sorgte sie gleichzeitig für die Hauptattraktion vor Ort. Diese bestand aus einem automatisch betriebenen, wilden, texanischen „Riding Bull“, auf den sich mutige  Besucher schwangen. Die Botschaft der IG Alleinerziehenden: Wenn Dich das Leben aus dem Sattel wirft, steh auf, halte Dich fest und reite weiter!

 

Irina Mercurio sieht sich als Organisatorin von Anlässen, nicht als Ratgeberin oder gar Psychologin. Wird sie nach ihrer Meinung gefragt,  hält sie damit aber nicht zurück. Eine junge Frau, die bereits zum Kern der Gruppe zählt, erzählte ihr neulich, dass sie vom Buschauffeur zu einem Kaffee eingeladen worden sei, und nun nicht wisse, wie sie auf diese Einladung reagieren solle. „Annehmen!“, meinte Irina Mercurio ohne Zögern.  Zwei andere Frauen, die zur Gruppe stiessen und sich sympathisch waren, diskutierten darüber, wohin und vor allem mit wem sie in die Sommerferien fahren sollten. Irina Mercurio hörte mit einem Ohr mit und meinte spontan: „Fahrt doch zusammen!“ Kurz darauf buchten die beiden alleinerziehenden Mütter ihre Ferien und verreisten mit den Kindern gemeinsam für eine Woche in ein Reka-Feriendorf.

 

Solche Erlebnisse zeigen, wie wertvoll die Anlässe des ZKF sind. Mit einem Minibudget von jährlich 3000 Franken gelingt es, den Alleinerziehenden in der Region Zug ein paar unbeschwerte Stunden des Zusammenseins zu schenken. Stunden, in denen schon viele Freundschaften fürs Leben entstanden sind.