PUBLIKATION

Festschrift "STARK" ZKF

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

6.6.2013

STICH FüR STICH ZUM STRANDKLEID

 

Vom Stringtanga bis zum gefütterten Wintermantel: Im Nähkurs sind Ideen, Geduld und Talent gefragt. Ihren grossen Auftritt haben die Kleider an einer grandiosen Modeschau.

 

Die Tür zum Zimmer im Untergeschoss des alten Kantonsspitals ist kaum offen, und schon sind sie da: die fleissigen und konzentrierten, kreativen und ambitionierten Näherinnen. Heute Morgen kommt die Donnerstaggruppe, ein heterogener, bunter Haufen.


Annamarie, 71, spannt eine schwarze Tunika, die gekürzt werden soll, unter die Maschine – mit dem „Overlock“ kein Problem. Sara, 46, ist am „fädle“ und begutachtet das Jerseykleid, das einer Änderung  bedarf, weil es um die Hüfte zu sehr spannt.  Lourdes, 46, streift den Stoff  eines petrolfarbenen Tops glatt, dessen Saum abgesteckt wird, und Carla, 45, sucht das Messband, mit dem sie die Längen des hauchdünnen Sommerkleides überprüfen will, das dereinst ihre  Tochter tragen wird. Kursleiterin Ursula Keller, 64, steht mit Rat und Tat zur Seite.


Die meisten Frauen, die hier wirken, sind keine Anfängerinnen. Manche nähen schon seit zehn, zwanzig oder gar dreissig Jahren. Der Kurs aber macht es möglich, dass sie sich auch mal an  schwierigere Unterfangen wagen.  Jeannette, 72, zum Beispiel, die gerade die Teile einer komplex anmutenden schwarz-grauen Bluse zusammensetzt, ist immer mal wieder froh um Ursulas Hilfe, sei es beim Anbringen von Reissverschlüssen an Hosen oder beim Zuschneiden komplizierter Kragen. „Da sitzt man sonst zu Hause im stillen Kämmerlein, probiert und probiert, ist entmutigt oder verliert die Geduld“, erzählt sie. Hier könne sie jederzeit nach Ursula rufen. Die beliebte Kursleiterin mit dem grauenmelierten Pferdeschwanz und der floral gemusterten Kurzarmbluse eilt an diesem sonnigen Junitag geschäftig von einem Arbeitsplatz zum andern und ist behilflich im Umgang mit den topmodernen Nähmaschinen, die gar nicht so einfach zu bedienen sind.


Seit zwanzig Jahren organisiert Ursula Keller den ZKF-Nähkurs, und dies leidenschaftlich gerne. Maximal zehn Leute können pro Kurs teilnehmen. Werbung ist nicht nötig. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert bestens. Der Nähkurs ist ein Renner. Vorschriften, wer was zu nähen hat, gibt es keine. „Wir sind hier nicht in der Schule“, stellt Ursula klar. Jede näht also nach ihrem Gusto. Manchmal wünscht sich die Kursleiterin allerdings, die Frauen wären etwas mutiger. Probieren geht über Studieren! „Jetzt frag nicht schon wieder, mach einfach“, wird Sara ermuntert, die mit der Naht am Jerseykleid nicht zurecht kommt und ratlos auf die unschöne Stoffbeule schaut, die im Taillenbereich entstanden ist.  „Einfach machen?“, wiederholt sie und  rollt mit den Augen: „ Die Frage ist bloss wie…!“ Eine Viertelstunde später ist sie dann trotzdem fertig und präsentiert stolz ihr blaubraungemustertes Kleid, dessen Stoff sich locker an die Hüften schmiegt. Es hat sich gelohnt.


Genäht wird im ZKF-Nähkurs alles, vom Stringtanga mit Spitzen bis zum gefütterten Wintermantel. Ferner Negligés, Seidenblusen, Leinenhosen, Abend-, Freizeit-, Strand- und Wickelkleider, Fasnachtsgewänder, Kinderpyjamas, Ponchos, aber auch Stofftaschen und  Halstücher. Ihren grossen Aufritt haben die Kleider dann an der Modeschau, die alle drei Jahre stattfindet -  ein grandioses Spektakel, das in einer Turnhalle über die Bühne geht und vom Publikum euphorisch beklatscht wird. Jede Show steht jeweils unter einem Motto, beispielsweise „Rund um die Welt“, „Filmklassiker“, „Mode aus verschiedenen Jahrhunderten“ oder „Die vier  Jahrzeiten“. Die Näherinnen verwandeln sich an diesen Shows in Models und präsentieren ihr Können zu passender Musik und farbiger Beleuchtung. Die Einnahmen des Abends bewegen sich zwischen 6000 und 7000 Franken, fliessen in die ZKF-Kasse und kommen einem guten Zweck zu Gute.  Jedes Jahr organisiert die ZKF-Kursleiterin zudem einen Ausflug nach Como, wo sich die Frauen mit exquisiten Stoffen eindecken.


Was auffällt: Im Kurs wird konzentriert gearbeitet, und es herrscht trotzdem eine lockere Stimmung. Unvermittelt stehen die Frauen in Slip und BH da, schlüpfen husch in ihre halbfertigen Kleider, zupfen da und dort und holen Meinungen ein. „Was meinst Du, passt das? Zu eng? Sag ehrlich!“ Die Geschmäcker sind verschieden. Umso besser, denn umso vielseitiger fallen die Frauenbund-Kollektionen aus! Die Bluse von Jeannette muss nicht nach Annamaries Geschmack sein, die Hose von Madeleine nicht Andreas Stil entsprechen. Was zählt, ist der soziale Aspekt. Brigitte, 50, zum Beispiel, ist gerade stellenlos und freut sich jede Woche auf den ungezwungenen Nähmorgen, wo bei Kaffee und Brötchen auch Zeit für Zwischenmenschliches bleibt. Von den flippigen, winzigen Bébéfinklein hat sie  bereits ein Dutzend angefertigt und diese im Freundeskreis oder per Internet verkauft, als kleiner Zusatzverdienst zum Arbeitslosengeld. Auch für Carla  gibt es keine Alternative zum Nähkurs des Frauenbundes. Eigentlich, gesteht sie, würde auch ihre Schwägerin Nähkurse anbieten, „aber ich gehe lieber zu Ursula.“


Wer kurz von der Nähmaschine aufblickt hat freie Sicht auf den Zugersee, oder  schaut ins Grüne, auf den ehemaligen, mit Unkraut überwucherten Helikopter Landeplatz, wo einst die Rega landete.  Zwischendurch bleibt Zeit für das intensive Studieren der „Burda“. Die reich bebilderte deutsche Kreativzeitschrift ist eine Art Bibel unter Näherinnen und enthält alles Wissenswerte über Passformen und Textilien, inklusive Schnittmuster und detaillierter Anleitungen.


Komplimente sind der Lohn für die Phantasie und Geduld, die in einem von A bis Z selbst gemachten Kleidungsstück stecken. Wie oft werden die Näherinnen des ZKF-Kurses beim Tragen ihrer Kreationen gefragt, wo sie denn dieses tolle Teil herhaben. In die Antwort mischt sich Stolz und Freude, wenn sie entgegen: „Selbst gemacht!“