PUBLIKATION

Zuger Neujahrsblatt

ZUSAMMENARBEIT

Heidi Ambiel (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.1.2008

LEGENDäRE SENNHüTTE

 

Von der Käserei zur Brandruine und vom Familienheim zur Drogenentzugsstation. Die Vergangenheit der Zuger Sennhütte ist legendär, unkonventionell und ziemlich abenteuerlich.

 

Das rot lackierte Tonschild hängt noch immer - wohl aus Sympathie zum ehemaligen Besitzer und Bewohner - neben der Eingangstür zur Sennhütte, auch wenn dieser sich längst vom Berg verabschiedet hat: «F. Hotz», seht da. Der Zuger Zahnarzt, engagierte Lokalpolitiker und grüne Bürgerliche mit Vornamen Franz kommt sofort ins Schwärmen, wenn man ihn auf die Sennhütte anspricht. «Ja, das war ein Abenteuer, der Zugerberg und die Sennhütte. Angefangen hat alles, weil ich nicht Pfarrer werden wollte.»

 

Pfarrer? Ja doch, Franz sollte –wie zuvor schon sein Grossonkel Franz Xaver Uttiger - in der Kantonsschule brav Griechisch lernen, dann Theologie studieren und später  der katholischen Kirche dienen. Aber dazu hatte er keine Lust. Statt Griechisch besuchte er Englischlektionen und schloss mit diesem Fach die Maturität ab. Forstingenieur oder Zahnarzt wollte er werden, entschied sich dann für letzteres. Doch Hotz verlor das Interesse an Wald und Landschaft nie. Als er einem Bauer einen Zahn ziehen musste, erzählte dieser von einem verlockenden Angebot. Ein Stück Wiesland war zu kaufen, auf dem Urihof, 6000 Quadratmeter, das heute zu einem Drittel mit Wald und Hecken bestockt ist. Man schrieb das Jahr 1964. Und was hat das alles mit der Sennhütte zu tun? Auf Hotz’ neu erworbener Parzelle lastete ein Servitut. Somit wurde Franz Hotz nicht nur Landbesitzer sonder auch automatisch Mitglied  der «Sennhütten Genossenschaft Hintergrüt».

 

Diese war für die Käseproduktion und den Schweinestallbetrieb in der Sennhütte verantwortlich. Dann passierte etwas Eigentümliches. Am Morgen des 1. Juni 1973, kurz nach 6 Uhr loderten in der Nachbarschaft Riesenflammen aus der 1880 erbauten Sennhütte. Orangene Zungen, meterhoch, entwichen gegen Himmel. Ein Nachbar alarmierte die Feuerwehr und die war auch gleich zur Stelle. Man legte Schläuche und spritzte Wasser und fragte sich, wie es zum Feuer kommen konnte. Eine brennende Kerze, ein Kurzschluss oder etwa Brandstiftung? «Der Holzwurm war drin», hiess es bei der Genossenschaft, den man mit Gift und Glut ausräuchern wollte.» Von Absicht könne keine Rede sein. Es sei einfach dumm gelaufen. Niemand trage die Schuld.

 

Doch die Gebäudeversicherung interessierte sich sehr wohl für die näheren Umstände des Brandes. Fahrlässigkeit konnte sie nicht nachweisen, hingegen kam man zum Schluss, dass es kein Vollbrand war. Der Giebel stand noch. Statt 250 000 Franken erhielten die Käser von der Versicherung darum nur 150 000 Franken mit der Auflage, die Sennhütte wieder aufzubauen: Dieser Aufbau würde allerdings weitere 100 000 Franken kosten, und dieses Geld hatte die Genossenschaft nicht. Franz Hotz jedoch sah im Wiederaufbau eine einmalige Gelegenheit, mit seiner Frau und den vier Kindern auf den Zugerberg zu ziehen und bot sich den Käsern als Bauherr an. Wohnen im Grünen, weg von der Zivilisation, das hatte sich Naturfreak Hotz schon immer erträumt. Architekt Urs Keiser realisierte den Wiederaufbau und am 26. August 1977 war es soweit. Susi und Franz Hotz luden zur Hausräuke. Die Einladung, ins Fotoalbum geklebt, zeugt vom geselligen, feuchtfröhlichen Anlass: «Mitbringen: Gute Laune und Tanzbein, Hunger und Durst.»

 

Es zogen ein: Das Ehepaar Franz und Susy, Christoph, Ursula, Beni und Ruedi und eine Menge Tiere: Gänse, Schafe, Hunde und Katzen. Schliesslich war auch diese Nutzung mit Auflagen verbunden. Nur die Hälfte der Immobilie durfte von der Familie bewohnt werden, die andere Hälfte musste - im weitesten Sinne - einen landwirtschaftlich Zweck erfüllen. Während der Zahnarzt sein abgelegenes Zuhause als Kontrapunkt zu seiner Berufstätigkeit schätzte, erfuhr der Rest der Familie auch die Schattenseiten der unkonventionellen Wohnlage. Lange und umständliche Schul- und Einkaufswege prägten den Alltag. Ohne Auto kam man nicht weit, es sei denn, man hatte Lust und Zeit, die steilen zwei Kilometer nach Zug zu Fuss zurückzulegen. Der Schulbus verkehrte selten, und wenn, dann nur vom Tal zum Berg.

 

«Solltest Du eines Tages von der Sennhütte wegzuziehen, dann gib mir Bescheid». An diesen Satz erinnerte sich Zahnarzt Hotz, als er und seine Familie sich mit einem Wegzug befassten. Heinz Greter, Kantonsschullehrer und in seiner Eigenschaft als Schülerberater Mitglied der Kantonalen Drogen- und Suchtmittelkommission, hatte eine Idee im Kopf: Die Sennhütte als Therapiehaus für aussteigunswillige Drogenabhängige. Franz Hotz war skeptisch: Ein Haus für Fixer? Drögeler? Randständige? Kriminelle? Natürlich hatte er mitbekommen, dass das Drogenelend zunahm und war auch der Meinung, dass Handlungsbedarf bestand. Aber selber mit der Sache konfrontieren wollte er sich nicht. Bis er sich die Problematik auf dem Zürcher Platzspitz vor Ort ansah und nach dem Augenschein zum Schluss kam: «Diese Menschen brauchen professionelle Hilfe und unser Kanton kann etwas dazu beitragen.»

 

Als Troubleshooter  gelang es dem Zahnarzt, zwischen dem «linken» Drogenforum, dem «rechten» Kanton und der Gemeinnützigen Gesellschaft, die als Trägerin der Entzugsstation fungieren sollte, zu vermitteln. Auch gegen den erbitterten Widerstand  der bäuerlichen Nachbarschaft musste gekämpft werden. Schliesslich wurde man sich einig. Im Herbst 1985 konnte die therapeutische Wohngemeinschaft  als Mieterin der Sennhütte einziehen. Elf Jahre später erwarb der Kanton das Haus und vermittelte Franz Hotz den Erwerb der Stolzengraben Liegenschaft in Oberwil.

 

Der mittlerweile pensionierte, aber nicht minder engagierte Zahnarzt hat bis heute einen guten Draht zur Sennhütte und behandelte über Jahre hinweg deren Klientinnen und Klienten, wenn zahnmedizinischer Bedarf bestand. Eine Geschichte, die das Leben schrieb und dies alles - Gott sei’s gedankt- weil Franz Hotz nicht Pfarrer wurde.